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„Das haben die geschafft, indem sie ihre Schnäbel in die unmöglichsten Dinge gesteckt haben“, unterbrach ihn Tarsedth, deren Fell vor Ungeduld in heftige Bewegung geriet. „Wollen Sie sich die Operation ansehen oder sich über den Chirurgen unterhalten?“

Sowohl als auch, dachte Lioren, sprach es aber nicht laut aus.

Bei der physiologischen Klassifikation MSVK, zu der Seldal gehörte, handelte es sich um eine Spezies von warmblütigen Sauerstoffatmern, die sich auf Nallajim entwickelt hatte, einem Planeten, auf dem aufgrund der hohen Rotationsgeschwindigkeit, der dichten Atmosphäre und der geringen Schwerkraft in den äußerst fruchtbaren Gebieten am Äquator Umweltbedingungen entstanden waren, die flugfähigen Lebensformen eine starke Vermehrung ermöglicht hatten. Dank dieser äußeren Umstände konnten sich sehr große Raubvogelarten entwickeln, die zwar sehr unterschiedlich waren, jedoch alle über so viele natürliche Waffen und eine derart schwere Panzerung verfügten, daß sie sich schließlich nach und nach gegenseitig ausrotteten. Im Verlauf des Jahrtausends, in dem sich diese gewaltsamen Vorgänge abspielten und schließlich von selbst ein Ende fanden, waren die relativ kleinen MSVKs dazu gezwungen, ihren Lebensraum in der Luft und ihre in großer Höhe gebauten und relativ ungeschützten Nester zu verlassen und Zuflucht in Bäumen, tiefen Schluchten und Höhlen zu suchen.

Sehr schnell paßten sie sich daran an, den Lebensraum auf und über dem Boden mit den kleinen Tieren und Insekten zu teilen, die vorher ihre Beute gewesen waren.

Nach und nach verloren die Nallajimer die Fähigkeit, längere Zeit zu fliegen, und ihre Evolution als Spezies war bereits zu weit fortgeschritten, als daß sich ihre Flügel noch zu Armen hätten entwickeln können oder auch nur eine Aufspaltung der Flügelspitzen in Finger möglich gewesen wäre, die sich für die Herstellung von Werkzeugen oder Waffen geeignet hätten. Doch die große, sinnlose und ständige Bedrohung durch kleine und große Insekten, die über das Land herfielen und es durch ihre bloße Masse beherrschten, so, wie die großen Raubvögel den Aufstieg in die Luft unmöglich machten, rief die kleinen Veränderungen im Knochenbau und an der Schnabelmuskulatur hervor, durch die die Nallajimer letztendlich Intelligenz entwickelten.

Ohne Hände, aber nicht mehr hilflos, waren die MSVKs dazu gezwungen worden, ihren Kopf zu benutzen.

Auf Nallajim waren die Fluginsekten, die in Schwärmen auftraten und ihre Beute zu Tode stachen, gegenüber denjenigen Insekten in der Minderheit, die in Löchern in der Erde lebten und die Eier tief im Körper ihrer schlafenden Opfer ablegten. Die einzige Möglichkeit, diese in der Erde lebenden Insekten aus dem Körper zu entfernen, bestand für die Nallajimer darin, sie mit dem langen, dünnen und äußerst biegsamen Schnabel herauszupicken.

Anfangs nur ein einfaches Mittel, um sich in der Familie oder im Stamm gegenseitig von Schädlingen zu befreien, hatte sich der Schnabel bald so weit entwickelt, daß die MSVKs mit ihm ziemlich komplizierte, vor Insekten geschützte Wohnungen, Werkzeuge, Waffen zum Töten von Insekten, Städte und schließlich Raumschiffe hatten bauen können.

„Seldal arbeitet ja ungeheuer schnell“, staunte Lioren nach einem besonders komplizierten chirurgischen Eingriff voller Bewunderung, „und er erteilt dem OP-Personal außerordentlich wenige Anweisungen.“

„Haben Sie keine Augen im Kopf?“ fragte ihn Tarsedth. „Er braucht gar nicht erst mit dem Personal zu sprechen, weil es sowieso mehr damit beschäftigt ist, dem Patienten beizustehen als dem Chirurgen. Sehen Sie sich nur mal an, mit welcher Geschwindigkeit Seldals Schnabel überall auf den Instrumentenkasten einsticht. In der Zeit, in der er der Schwester die entsprechende Anweisung gegeben hätte und ihm das richtige Instrument in den Schnabel gesteckt worden wäre, kann sich Seldal das Instrument selbst nehmen, den Schnitt durchführen und sich schon auf den nächsten Schritt vorbereiten.

Bei diesem Chirurgen ist es die genaue Auswahl und die richtige Anordnung der Instrumente in den Fächern, die zählt“, fuhr die Kelgianerin fort. „Da gibt es kein Jonglieren mit Klammern und Messern, keine Ablenkungen durch irgendwelche Bemerkungen oder Zwischenlager und keine Wutanfälle, weil irgendeine OP-Schwester zu langsam ist oder wieder mal etwas falsch versteht. Ich glaube, mit diesem flügellahmen Chefarzt würde ich gerne zusammenarbeiten.“

Allmählich entfernte sich das Gespräch von der Operation und ging zu Seldal selbst über, was genau das war, worauf Lioren gehofft hatte. Doch bevor er die Lage ausnutzen konnte, versuchte sich der Hudlarer, der zweifellos ebenfalls ein begeisterter Anhänger nallajimischer Operationskunst war, nützlich zu machen, indem er nun seine Fachkenntnis an den Tag legte.

„Der Eingriff geht sehr schnell vor sich und mag Ihnen verwirrend erscheinen, Lioren“, sagte er, „besonders deshalb, weil Sie, wie Sie uns erzählt haben, bisher über keine chirurgische Erfahrung mit melfanischen ELNTs verfügen. Wie Sie sehen, sind die sechs Gliedmaßen und der gesamte Körper des Patienten von einem Ektoskelett umhüllt. Die lebenswichtigen Organe befinden sich innerhalb dieses Knochenpanzers und sind derart gut geschützt, daß gewaltsame Verletzungen nur selten auftreten, obwohl diese Organe bedauerlicherweise für mehrere Funktionsstörungen anfällig sind, die einen operativen Eingriff erfordern.“

„Langsam klingen Sie schon wie Cresk-Sar“, unterbrach ihn Tarsedth, deren Fell sich zu verärgerten Stacheln aufrichtete.

„Tut mir leid“, entschuldigte sich der Hudlarer. „Ich wollte nur erklären, was Seldal gerade getan hat, und keineswegs unangenehme Erinnerungen an unseren Ausbilder wachrufen.“

„Ach, machen Sie sich deswegen keine Gedanken“, beschwichtigte ihn Lioren. Zwar waren die FROBs von Hudlar körperlich die anerkanntermaßen kräftigste Lebensform in der galaktischen Föderation und besaßen die undurchdringlichste Haut, doch emotional hatten sie ein äußerst dünnes Fell. „Fahren Sie bitte ruhig fort — solange Sie mir hinterher keine Fragen stellen, um zu überprüfen, ob ich auch alles verstanden habe“, fügte er hinzu.

Aus der vibrierenden Sprechmembran des Hudlarers drang ein unübersetzbarer Laut. „Keine Angst, das werde ich nicht. Aber ich hatte gerade zu erklären versucht, weshalb Geschwindigkeit bei der Operation an einem Melfaner so eine große Rolle spielt. Die wichtigen inneren Organe schwimmen zur Dämpfung von Erschütterungen in einer Körperflüssigkeit und sind nur lose mit der Innenseite des Panzers und der Körperunterseite verbunden. Wird diese Flüssigkeit vor der Operation vorübergehend abgelassen, werden die Organe nicht mehr abgestützt und senken sich aufeinander, wodurch sie zusammengedrückt und verformt werden, was unter anderem wiederum die Blutzufuhr einschränkt. Dabei treten bleibende Veränderungen auf, die zum Tod des Patienten führen können, wenn man diesen Zustand länger als ein paar Minuten andauern läßt.“

Mit einer Intensität, die seinen Sinnesapparat wie eine gewaltsame Verletzung erschütterte, verspürte Lioren plötzlich den Wunsch nach dem Unmöglichen, nach seiner jüngsten Vergangenheit, die es ihm, wenn es nicht für ihn zu solch einer tragischen Wendung gekommen wäre, ermöglicht hätte, die Begeisterung dieses Auszubildenden für die Chirurgie fremder Spezies zu teilen, anstatt ein erniedrigendes und wahrscheinlich unergiebiges Interesse für den Verstand eines Chirurgen hegen zu müssen. Der Gedanke, daß dieser Kummer, egal, wie groß er war und wie oft er auch wiederkehren mochte, immer noch sehr viel geringer sein würde, als er ihn wegen seines Verbrechens verdiente, war dabei nur ein geringer Trost.

„Normalerweise braucht man für den operativen Eingriff an einem ELNT ein großes Operationsfeld und viele Assistenten, deren Hauptaufgabe es ist, die nicht mehr in der Flüssigkeit schwimmenden Organe mit speziell geformten Pfannen abzustützen, während der leitende Chirurg die eigentliche Operation durchführt“, fuhr der Hudlarer fort. „Solch ein Eingriff hat den Nachteil, eine unnötig große Öffnung in den Panzer sägen zu müssen, damit die Pfannen unter die Organe geführt werden können. Zudem verläuft die Heilung einer derartigen Wunde nur langsam und hinterläßt manchmal an der Stelle, an dem das Panzerstück vorübergehend entfernt worden war, häßliche Vernarbungen und Verfärbungen. Das wiederum kann beim Patienten zu einem schweren seelischen Trauma führen, da der Panzer, der Reichtum und die Abstufungen seiner Farben und die Besonderheit seiner Muster bei der Partnersuche eine wichtige Rolle spielen. Operiert jedoch ein einzelner Nallajimer, verringert sich durch die höhere Geschwindigkeit des Eingriffs und die kleinere Zugangsöffnung im Panzer sowohl die Größe als auch die Wahrscheinlichkeit einer nach der Operation auftretenden Verunstaltung erheblich.“