„Das ist auch gut so“, merkte Tarsedth an, deren Fell sich vor starkem Mitgefühl kräuselte; denn zu ihrem beweglichen silbernen Fell hatten kelgianische DBLFs die gleiche Einstellung wie melfanische ELNTs zu ihren prächtig gezeichneten Panzern. „Aber schauen Sie sich doch nur mal an,
wie der auf das Operationsfeld einhackt, manchmal mit dem bloßen Schnabel, wie ein astigmatischer Geier!“
Seldals Instrumentenkasten hing direkt hinter dem Operationsfeld senkrecht von oben herab und war somit für den Schnabel des Chirurgen leicht zu erreichen. In jedem Fach steckte ein spezielles Instrument mit einem hohlen, kegelförmigen Griff, der es dem Nallajimer ermöglichte, die obere oder untere Schnabelhälfte oder auch den ganzen Schnabel hineinzustecken und die Instrumente mit verblüffender Schnelligkeit zu nehmen, zu benutzen, zu wechseln oder wieder in das entsprechende Fach zu stecken. Hin und wieder näherte sich Seldal auch nur mit den beiden langen, zylindrischen Linsen dem Operationsfeld, die für die Dauer der Operation vor seine winzigen Augen geschnallt waren und sich fast bis zur Schnabelspitze erstreckten, um die Weitsichtigkeit zu korrigieren, zu der er wie alle vogelartigen Lebensformen neigte. Mit den Krallen an den drei Beinen klammerte er sich an der Stange fest, die am Operationsgestell angebracht war, und um sich zusätzliche Stabilität zu verschaffen, wenn er mit dem Schnabel zustieß, schlug er ständig mit den verkümmerten Stummelflügeln.
„Sowohl die Eier als auch die eierlegenden Insekten, die in früheren Zeiten aus dem Körper der Patienten entfernt werden mußten, sind eßbar, und damals hat man es für richtig gehalten, daß der Chirurg sie gegessen hat“, erklärte der Hudlarer. „Melfanisches Zellgewebe wäre für einen Nallajimer nicht schädlich, und aus der Grundausbildung werden Sie noch wissen, daß keiner der ELNT-Krankheitserreger, die vielleicht darin enthalten sind, ein Lebewesen befallen oder infizieren könnte, das sich auf einem anderen Planeten entwickelt hat. Doch in einem Krankenhaus mit vielfältigen Umweltbedingungen wie dem Orbit Hospital kann der Verzehr von Teilen eines Patienten, wie klein diese Partikel auch sein mögen, auf Zuschauer äußerst abstoßend wirken. Deshalb werden Sie feststellen, daß solche Stellen aus dem Video herausgeschnitten werden, bevor die Aufzeichnung allgemein zugänglich gemacht wird. Ziel der Operation ist die Entfernung von.“
„Was mich trotz der vorhin geschilderten Vorteile, die eine Operation durch einen Nallajimer für einen ELNT hat, überrascht“, fiel ihm Lioren ins Wort, um zu versuchen, das Gespräch wieder von der Operation weg auf den Chirurgen selbst zu lenken, „ist, daß man den Eingriff keinem Chirurgen derselben Spezies, wie zum Beispiel Chefarzt Edanelt, übertragen hat, sondern einer Lebensform, der das erforderliche physiologische Wissen erst durch ein melfanisches Schulungsband vermittelt werden muß, bevor sie.“
„Das wäre ja dasselbe, als würde man von Diagnostiker Conway erwarten, auf alle Operationen an fremden Spezies zu verzichten, bis er die terrestrischen DBDGs im Hospital behandelt hat“, unterbrach ihn Tarsedth. „Seien Sie doch nicht albern, Lioren. Patienten einer fremden Spezies zu operieren ist weit interessanter und spannender als einen Angehörigen der eigenen Art, und je mehr physiologische Unterschiede es gibt, desto größer ist die berufliche Herausforderung. Aber das wissen Sie doch selbst am besten. Schließlich haben Sie auf Cromsag ja auch eine Spezies behandelt, die.“
„Es ist nicht nötig, mich an die Folgen zu erinnern“, schnitt ihr Lioren in scharfem Ton das Wort ab. Obwohl ihm klar war, daß die Kelgianerin nichts dafür konnte, andere aufzuregen, ärgerte er sich. „Ich wollte damit sagen, daß bei Seldal, der im Gegensatz zu einem ELNT einen Schnabel, aber keine Arme hat, keinerlei Anzeichen für geistige Verwirrung zu bemerken sind, obwohl sich sein Verstand zum Teil unter der Kontrolle eines Wesens befindet, das gewohnt ist, sechs Gliedmaßen zu benutzen, mit denen es völlig unterschiedliche Handgriffe ausführen kann. Da muß Seldal doch unter beträchtlichem psychischen und emotionalen Druck stehen, ganz zu schweigen von den Impulsen, die von den nicht willkürlich innervierten Muskeln ausgehen.“
„Das stimmt allerdings“, pflichtete ihm der Hudlarer bei. „Offensichtlich hat er beide Gehirne gut im Griff. Aber ich frage mich, wie ich mich, als jemand der ebenfalls sechs Extremitäten besitzt, umgekehrt fühlen würde, wenn ich ein nallajimisches Band im Kopf speichern müßte. Ich besitze nichts, was auch nur entfernt einem Schnabel ähnelt, ja nicht einmal einen Mund.“
„Vergeuden Sie keine Zeit damit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen“, riet ihm Tarsedth. „Schulungsbänder werden nur dieser lernbegierigen, hochintelligenten und charakterlich gefestigten Sorte von Mitarbeitern angeboten, die zur Beförderung zum Chefarzt oder in eine noch höhere Position in Betracht gezogen werden. Können Sie sich vorstellen, daß einem von uns jemals ein solches Schulungsband angeboten wird, Lioren? Ich meine, so, wie er ständig an unserer Arbeit herumkrittelt, ist das doch wohl eher unwahrscheinlich, oder finden Sie nicht?“
Lioren entgegnete erst einmal nichts darauf. Zwar hatte sich im Orbit Hospital schon viel Merkwürdigeres ereignet — aus den Personalakten ging beispielsweise hervor, daß Thornnastors erste Assistentin, die zur physiologischen Klassifikation DBDG gehörende terrestrische Pathologin Murchison, am Hospital als Lernschwester angefangen hatte — , aber in der psychologischen Abteilung war es strenge Vorschrift, mit Auszubildenden, die für eine langfristige Beförderung ins Auge gefaßt wurden, weder über dieses Thema zu sprechen noch — außer in ganz allgemeinen Worten — irgendwelche Probleme zu erörtern, die mit dem Schulungsbandverfahren zusammenhingen.
Das Hauptproblem, von dem alle anderen Schwierigkeiten herrührten, bestand darin, daß, obwohl das Orbit Hospital die notwendige Ausstattung besaß, jede bekannte intelligente Lebensform zu behandeln, kein einzelnes Wesen auch nur einen Bruchteil der für diesen Zweck benötigten physiologischen Daten hätte im Kopf behalten können. Chirurgisches Geschick war eine Frage der Begabung, der Ausbildung und der Erfahrung, doch sämtliches Wissen über die physiologische Beschaffenheit eines Patienten konnte einzig und allein künstlich durch ein sogenanntes Schulungsband vermittelt werden. Auf einem solchen Band waren die Gehirnströme einer medizinischen Kapazität aufgezeichnet worden, die derselben oder einer ähnlichen Spezies angehörte wie der zu behandelnde Patient.
Wenn zum Beispiel ein melfanischer Arzt einen kelgianischen Patienten zu behandeln hatte, speicherte er ein DBLF-Physiologieband im Gehirn und behielt es so lange bei sich, bis die Behandlung abgeschlossen war. Danach ließ er es wieder löschen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Regel stellten Chefärzte wie Seldal dar, deren Charakterfestigkeit erwiesen war, sowie die Diagnostiker.
Ein Diagnostiker war eines jener seltenen Wesen, dessen Psyche und Verstand als ausreichend stabil erachtet wurden, permanent sechs, sieben und in einem Fall sogar bis zu zehn Bänder gleichzeitig im Kopf gespeichert zu haben. Ihren mit Daten vollgestopften Hirnen oblag in erster Linie die Aufgabe, medizinische Grundlagenforschung zu leisten und neue Krankheiten bislang unbekannter Lebensformen zu diagnostizieren und zu behandeln.