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Am Nebentisch tat Cha Thrat so, als hörte sie nicht zu, indem sie sich noch stärker auf ihren Bildschirm konzentrierte. Aus irgendeinem Grund waren die Probleme, mit denen sich Lioren durch seinen Auftrag konfrontiert sah, sowie einige der Lösungen, die er vorgeschlagen hatte, in den vergangenen Tagen Anlaß für beträchtliche Belustigung gewesen, doch diesmal sollten Braithwaite und die Sommaradvanerin eine Enttäuschung erleben.

„Ich bin die ganze Zeit so schweigsam gewesen, weil ich mich darauf konzentriert habe, die Routinearbeiten zu erledigen, damit mir mehr Zeit für Seldal zur Verfügung steht“, antwortete Lioren. „Ein spezielles Problem habe ich nicht, mich entmutigt nur, daß ich in keiner Richtung irgendwelche Fortschritte erziele.“

Braithwaite nahm die Hände vom Schreibtisch, richtete sich auf und fragte mit entblößten Zähnen: „In welcher Hinsicht kommen Sie denn am wenigsten voran?“

Mit zwei seiner mittleren Glieder machte Lioren eine ungeduldige Geste. „Negative Fortschritte zu messen ist schwierig“, antwortete er. „In den vergangenen Tagen habe ich Seldal bei größeren Operationen beobachtet und mit anderen Zuschauern Gespräche über sein Verhalten geführt, in deren Verlauf sich Informationen ergeben haben, die aus seiner psychologischen Akte nicht hervorgegangen sind. Allerdings beruhen diese Neuigkeiten auf unbestätigten Gerüchten und entsprechen vielleicht nicht ganz den Tatsachen. Bei seinen medizinischen Untergebenen ist Seldal äußerst geachtet und beliebt. Diese Beliebtheit scheint er jedoch nicht bewußt angestrebt, sondern sich eher verdient zu haben. Ich kann an Seldal einfach nichts Unnormales feststellen.“

„Aber offenbar ist das nicht Ihre endgültige Schlußfolgerung, denn sonst würden Sie ja nicht versuchen, sich mehr Zeit für die weitere Untersuchung zu verschaffen“, meinte Braithwaite. „Wie beabsichtigen Sie denn diese Zeit zu verbringen?“

Lioren dachte kurz nach und entgegnete dann: „Da es nicht für immer und ewig möglich sein wird, Zuschauer bei den Operationen oder Seldals OP-Personal auszuhorchen, ohne die Gründe für meine Fragen zu verraten, werde ich mich an.“

„Nein!“ fiel ihm Braithwaite in scharfem Ton ins Wort, wobei sich die buschigen Halbmonde in seinem Gesicht so weit senkten, daß sie fast die Augen verdeckten. „Seldal selbst dürfen Sie auf keinen Fall direkt fragen. Sollten Sie irgendeine Unstimmigkeit entdecken, berichten Sie O'Mara davon, und erwähnen Sie sie Seldal gegenüber mit keinem Wort. Denken Sie bitte stets daran.“

„Was das letztemal passiert ist, als ich die Initiative ergriffen habe, werde ich wohl kaum vergessen können“, erwiderte Lioren leise.

Einen Augenblick lang waren Cha Thrat und Braithwaite wie erstarrt und sagten keinen Ton, aber das Gesicht des Terrestriers hatte eine deutlich dunklere Farbe angenommen.

„Ich wollte eben sagen, daß ich mich an Seldals Patienten wenden muß, und zwar diskret“, fuhr Lioren fort. „Durch belanglose Plaudereien mit ihnen erfahre ich vielleicht, ob an Seldals Verhalten bei seinen Visiten vor und nach den Operationen irgendwelche ungewöhnlichen Veränderungen stattgefunden haben. Dafür brauche ich eine Liste der Patienten, die Seldal operiert hat, und Angaben darüber, auf welchen Stationen sie gegenwärtig liegen. Außerdem muß ich wissen, zu welchen Zeiten er seine Rundgänge durch die Stationen macht, damit ich mit den Patienten sprechen kann, ohne Seldal persönlich zu begegnen. Um Gerede beim Personal der betreffenden Stationen zu vermeiden, wäre es besser, wenn nicht ich, sondern jemand anders um diese Auskünfte bitten würde.“

Braithwaite nickte. „Eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme. Aber unter welchem Vorwand wollen Sie mit diesen Patienten sprechen, noch dazu über Seldal?“

„Als Grund für meinen Besuch werde ich den Patienten gegenüber angeben, daß ich mich nach Anmerkungen oder eventueller Kritik zum Ambiente der verschiedenen Genesungsstationen erkundigen möchte, da die Umgebung einen wichtigen nichtmedizinischen Beitrag zur Genesung leiste und die Abteilung derartige Kontrollen von Zeit zu Zeit durchführe“, antwortete Lioren. „Nach ihrem Gesundheitszustand und ihrem Chirurgen werde ich die Patienten gar nicht fragen. Aber ich habe keine Zweifel, daß beide Themen ganz automatisch zur Sprache kommen, und dann werde ich, während ich mich völlig desinteressiert gebe, so viele Informationen wie möglich sammeln.“

„Eine glänzend inszenierte, ausgeklügelte und gut kaschierte Beschwörung“, lobte ihn Cha Thrat, bevor Braithwaite etwas sagen konnte. „Kompliment, Lioren. Schon jetzt zeigen Sie erste Ansätze, mal ein großer Zauberer zu werden.“

Braithwaite nickte erneut. „Sie scheinen alle Eventualitäten bedacht zu haben. Gibt es noch weitere Informationen oder Hilfsmittel, die Sie benötigen?“

„Im Moment nicht“, antwortete Lioren.

Ganz ehrlich war er nicht, denn er wäre gern über Cha Thrats Kompliment aufgeklärt worden, das für einen hochqualifizierten ehemaligen Arzt wie ihn an eine Beleidigung gegrenzt hatte. Vielleicht bedeuteten ̃̄„Beschwörung“ und ̃̄„Zauberer“ — Begriffe, die Cha Thrat häufig benutzte — auf Sommaradva etwas anderes als auf Tarla. Doch hatte es ganz den Anschein, daß seine Neugier schon bald befriedigt werden sollte, denn die Sommaradvanerin wollte es sich nicht nehmen lassen, einem tarlanischen Zauberlehrling bei der Arbeit zuzusehen.

Den ersten Patienten hatte Lioren gezwungenermaßen ausgewählt, weil für die anderen beiden gerade die angeordnete Schlafenszeit begonnen hatte und Mitarbeiter der psychologischen Abteilung nicht befugt waren, sich in laufende medizinische Behandlungen einzumischen, wozu auch gehörte, nicht den Schlaf eines Patienten zu stören. Von den vier Kranken, die ihm Braithwaite aufgelistet hatte, versprach das Gespräch mit diesem Patienten das schwierigste und kitzligste zu werden.

„Sind Sie sich wirklich sicher, daß Sie sich mit dem hier unterhalten wollen, Lioren?“ fragte Cha Thrat mit den leichten Bewegungen der oberen Gliedmaßen, die, wie Lioren gehört hatte, große Besorgnis ausdrückten. „Das ist ein äußerst heikler Fall.“

Lioren antwortete nicht sofort. Auf jedem bewohnten Planeten der Föderation war es eine Binsenwahrheit, daß Ärzte die schlechtesten Patienten abgaben. Dieser hier war nicht nur ein Arzt von bestem fachlichen Ruf, obendrein würde das Gespräch mit großer Vorsicht geführt werden müssen, weil der Patient Mannon unheilbar krank war.

„Für Zeitvergeudung habe ich nichts übrig, und eine Gelegenheit lasse ich mir genauso ungern entgehen“, erwiderte Lioren schließlich.

„Heute vormittag haben Sie Braithwaite noch gesagt, daß Sie Ihre Lektion gelernt hätten, was das voreilige Ergreifen von Initiative betrifft“, gab Cha Thrat zu bedenken. „Bei allem Respekt, Lioren, am Vorfall auf Cromsag waren in erster Linie Ihre Ungeduld und Ihre Weigerung, Zeit zu verlieren, schuld.“ Lioren antwortete nicht.

Mannon war ein terrestrischer DBDG, der sich für seine vergleichsweise kurzlebige Spezies in einem fortgeschrittenen Alter befand. Er war ans Orbit Hospital gekommen, nachdem er seine Ausbildung an einem der führenden medizinischen Lehrinstitute seines Heimatplaneten mit den höchsten Auszeichnungen abgeschlossen hatte. Rasch war er erst zum Chefarzt und wenige Jahre später zum Chefausbilder befördert worden, zu dessen Schülern solch illustre Mitarbeiter wie Conway, Prilicla und Edanelt gehört hatten, die heute in der medizinischen Hierarchie ganz oben standen, bevor er diese Stellung wegen seiner Beförderung zum Diagnostiker Cresk-Sar hatte überlassen müssen. Schließlich war unvermeidlicherweise die Zeit gekommen, wo die fortschrittlichsten medizinischen und mechanischen Hilfsmittel des Hospitals sein Leben nicht mehr verlängern konnten, auch wenn sein Verstand so scharfsinnig und klar wie der eines jungen Erwachsenen geblieben war.