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Aber Vertrauen erweckt Vertrauen, und langsam fragte sich Lioren, ob er, wo er als einziges Mitglied der tarlanischen Spezies beim Hospitalpersonal schon einmal dabei war, sich so offen mit der einzigen sommaradvanischen Mitarbeiterin zu unterhalten, nicht dasselbe Bedürfnis verspürte. Nach und nach entwickelte sich ein beiderseitiger Gedankenaustausch, in dem die Fragen und Antworten in der Tat sehr persönlich wurden.

Lioren ertappte sich dabei, wie er Cha Thrat von seinen Empfindungen während und nach dem Vorfall auf Cromsag berichtete, von seinen Schuldgefühlen, die unglaublich und unbeschreiblich schrecklich gewesen waren, und von seiner hilflosen Wut auf den Monitorkorps und O'Mara, weil sie ihm den voll und ganz verdienten Tod verweigert und ihn statt dessen zur allergrößten Grausamkeit des Lebens verurteilt hatten.

An diesem Punkt lenkte Cha Thrat, die seine wachsende emotionale Anspannung gespürt haben mußte, das Gespräch zielstrebig auf O'Mara und die Gründe des obersten Zauberers, sie und Lioren in die psychologische Abteilung aufzunehmen, und von dort aus weiter auf die Aufgabe, die Lioren in der Hoffnung hierhergeführt hatte, Auskünfte von einem Patienten einzuholen, der zweifellos nicht in der Verfassung war, diese zu erteilen.

Sie unterhielten sich immer noch über Seldal und fragten sich gerade laut, ob es nicht besser wäre, am nächsten Tag noch einmal einen Versuch zu unternehmen, mit Mannon zu sprechen, falls er noch so lange leben sollte, als der vermeintlich bewußtlose Patient die Augen aufschlug und die beiden ansah.

„Ich, das heißt, wir möchten uns entschuldigen, Sir“, sagte Cha Thrat schnell. „Wir hatten angenommen, Sie seien bewußtlos, weil Sie seit unserer Ankunft mit geschlossenen Augen dagelegen und die Biosensoren keine Veränderung angezeigt haben. Ich kann nur vermuten, daß Sie unseren Irrtum bemerkt haben und, weil sich unser Gespräch um vertrauliche Dinge gedreht hat, aus Höflichkeit weiterhin so getan haben, als würden Sie schlafen, um uns nicht in große Verlegenheit zu bringen.“ Langsam bewegte sich Mannons Kopf von einer Seite zur anderen, eine Geste, die bei Terrestriern ̃̄„nein“ bedeutete, und es schien, als wären die Augen, mit denen er sie von unten musterte, auf irgendeine medizinisch unerklärliche Weise jünger als die unglaublich runzligen Züge und der von der Zeit schwer gezeichnete Körper. Als er sprach, klangen seine Worte wie das Flüstern des Winds in hochwüchsigen Pflanzen; durch die Anstrengung beim Sprechen wurden sie zudem gebremst.

„Eine weitere. falsche Vermutung“, sagte er. „Ich bin. nie höfich.“

„Höflichkeit verdienen wir auch gar nicht, Diagnostiker Mannon“, rügte sich Lioren selbst, indem er seine Stimme und Gedanken aus einem großen, tiefen Meer der Verlegenheit an die Oberfläche zerrte. „Ich allein bin für diesen Besuch verantwortlich, und die Schuld dafür liegt ganz und gar bei mir. Der Grund für unser Kommen scheint mir nicht mehr einleuchtend zu sein, deshalb werden wir sofort gehen. Nochmals Entschuldigung.“

Eine der dürren, abgezehrten Hände, die neben der Bettdecke lagen, zuckte schwach, als hätte der Terrestrier sie, wenn die Armmuskulatur kräftig genug gewesen wäre, erhoben, um wortlos um Ruhe zu bitten. Lioren schwieg.

„Ich weiß, warum. Sie gekommen sind“, sagte Mannon mit einer Stimme, die kaum laut genug war, um die paar Zentimeter bis zum Translator neben dem Bett zurückzulegen. „Ich habe alles. gehört, was Sie. über Seldal und. sich selbst. gesagt haben. Das war sehr interessant. Aber die Anstrengung, die. es mich. gekostet hat, Ihnen. fast zwei Stunden lang. zuzuhören, hat mich. erschöpft, und bald wird mein Schlaf. nicht mehr bloß Verstellung sein. Sie müssen jetzt gehen.“

„Sofort, Sir“, sagte Lioren.

„Und falls Sie. wiederkommen möchten, suchen Sie sich eine. bessere Zeit dafür aus“, fuhr Mannon fort, „denn ich möchte Ihnen nicht nur zuhören, sondern. auch Fragen stellen. Aber warten Sie nicht. zu lange mit Ihrem Besuch.“

„Ich verstehe“, sagte Lioren. „Ich werde schon sehr bald wiederkommen.“

„Vielleicht kann ich Ihnen. bei der Sache mit Seldal helfen, und als Gegenleistung. können Sie mir von Cromsag erzählen. und mir noch einen anderen kleinen Gefallen tun.“

Der Terrestrier Mannon war viele Jahre lang Diagnostiker gewesen. Seine Hilfe und sein Verständnis für das Problem mit Seldal wären unschätzbar, weil er sie vor allem bereitwillig leisten würde und Lioren keine Zeit damit zu vergeuden brauchte, die Gründe für seine Fragen zu verheimlichen. Aber der Tarlaner wußte auch, daß der Preis, den er selbst für diese Hilfe zu bezahlen hätte, nämlich als Gegenleistung von den Ereignissen auf Cromsag zu erzählen, höher wäre, als es dem Patienten klar war.

Bevor Lioren darauf etwas erwidern konnte, verzogen sich Mannons Lippen und Gesichtszüge langsam zu der eigenartigen terrestrischen Grimasse, die manchmal entweder eine Reaktion auf etwas Witziges oder der stumme Ausdruck von Freundschaft oder Zuneigung sein konnte. „Und ich dachte, ich hätte Probleme“, seufzte Mannon.

11. Kapitel

Liorens nachfolgende Besuche bei Mannon verliefen, länger, vollkommen ungestört und nicht annähernd so schmerzlich, wie er befürchtet hatte.

Er hatte Hredlichi, die Oberschwester auf Mannons Station, gebeten, ihn immer sofort zu informieren, wenn der Patient bei Bewußtsein war und sich in der Verfassung befand, Besucher zu empfangen, egal, wie spät am Tag oder in der Nacht es nach der willkürlich festgelegten Zeit des Hospitals war. Vor ihrer Zustimmung hatte Hredlichi beim Patienten nachgefragt, der mit Ausnahme der Visite seines Chirurgen bisher jeglichen Besuch abgelehnt hatte oder sich einfach schlafend zu stellen pflegte, wenn sich trotzdem jemand nicht davon abhalten ließ, das Krankenzimmer zu betreten. Entsprechend war die Oberschwester äußerst überrascht gewesen, als sich Mannon einverstanden erklärt hatte, Lioren als einzigen nichtmedizinischen Besucher zu empfangen.

Wie Cha Thrat dem Tarlaner erklärt hatte, sei sie zwar nicht genügend motiviert, um für die Untersuchung in Sachen Seldal — die schließlich in Liorens Verantwortungsbereich falle — immer sofort den Schlaf zu unterbrechen oder andere, dringendere Beschäftigungen aufzugeben, aber solange es dem Terrestrier keine größeren persönlichen Unannehmlichkeiten bereite, werde sie Lioren auch weiterhin in jeder Hinsicht unterstützen. Aus diesem Grund war Liorens erster Besuch bei Mannon der einzige geblieben, auf dem ihn die Sommaradvanerin begleitet hatte.

Beim dritten Besuch war Lioren zwar erleichtert, daß sich Mannon nicht ausschließlich über die Cromsaggi unterhalten wollte, aber gleichzeitig enttäuscht, weil er Seldals Verhalten noch keinen Deut besser verstand, und verlegen, da der Patient bei jedem Besuch immer länger über sich selbst sprach.

„Bei allem Respekt, Doktor“, sagte Lioren nach einer besonders strittigen Selbstdiagnose Mannons, „ich habe weder ein terrestrisches Schulungsband im Kopf gespeichert, durch das ich mir in Ihrem Fall eine Meinung bilden könnte, noch darf ich als Mitarbeiter der psychologischen Abteilung als Arzt praktizieren. Der für Sie verantwortliche Mediziner ist Seldal, und der.“

„Sie reden mit mir, als ob ich. ein plapperndes Kleinkind wäre“, unterbrach ihn Mannon. „Beziehungsweise ein verängstigter Patient. der im Sterben liegt. Wenigstens. versuchen Sie nicht, mir eine. tödliche Überdosis. Mitleid einzuflößen. Sie sind hier, um. Auskünfte über Seldal einzuholen und als Gegenleistung dafür. meine Neugier über Sie zu befriedigen. Nein, ich habe nicht so sehr Angst davor zu sterben. sondern vielmehr davor. zuviel Zeit zu haben, darüber nachzudenken.“