„Aber das Krankheitsbild.“, wollte Lioren einwenden.
„.hat sich nicht verändert“, beendete Seldal den Satz für ihn. „Aber der Patient fühlt sich besser.
Hredlichi hat mir außerdem erzählt, Sie hätten auch meine anderen Patienten zu dem Plan befragt, das Ambiente der Station zu verbessern, mit Ausnahme des isolierten Patienten, bei dem Besuche und jeder medizinische Kontakt, der nicht direkt mit seiner Behandlung zu tun hat, verboten sind. Bei diesem Patienten handelt es sich um ein junges und deshalb relativ kleines Mitglied einer körperlich gewaltigen Spezies. Aus diesem Grund bestünde für jede Lebensform von mehr oder weniger normaler Körpergröße, die sich in seine Nähe begibt, ein gewisses Risiko. Falls Sie es dennoch wollen, haben Sie jetzt meine Erlaubnis, diesen Patienten zu besuchen, wann immer Sie möchten.“
„Danke, Chefarzt Seldal“, sagte Lioren, dessen Dankbarkeit ein wenig von der Verwirrung über den Verlauf, den das Gespräch nahm, überschattet wurde. „Natürlich bin ich auf das Geheimnis neugierig, das diesen besonderen Patienten umgibt.“
„So, wie jeder andere im Hospital, der nicht unmittelbar an der Behandlung beteiligt ist, die, wie ich zugeben muß, nicht gerade gut verläuft“, fiel ihm Seldal ins Wort. „Aber ich will nicht nur Ihre Neugier befriedigen, ich möchte Sie auch um einen Gefallen bitten.
Meine letzten Gespräche mit Mannon und die Art, wie er von Ihnen spricht, haben mich nämlich auf die Frage gebracht, ob die Veränderung, die Sie bei unserem ehemaligen Diagnostiker hervorgerufen haben, beim jungen Patienten von Groalter vielleicht wiederholbar wäre, zumal dessen Krankheitsverlauf durch nichtmedizinische Faktoren, über die er partout nicht sprechen will, nachteilig beeinflußt wird. Mein Gedanke dabei war, der Groalterri könnte möglicherweise ebenfalls von der Erkenntnis profitieren, daß seine Probleme verglichen mit Ihren eigenen unbedeutend sind. Falls Sie mir jedoch lieber nicht helfen möchten, habe ich volles Verständnis dafür.“
„Es wäre mir ein Vergnügen, Ihnen zu helfen, wo ich kann“, sagte Lioren, der seine Aufregung und laute Stimme nur mit Mühe zügeln konnte. „Ein. ein Groalterri? Hier im Hospital? Ich habe noch nie einen gesehen, ja sogar Zweifel an der Existenz dieser Spezies gehabt. Ich wäre Ihnen sogar dankbar für diese Aufgabe.“
„Lioren, Sie sollten sich mehr Zeit nehmen, um darüber nachzudenken“, riet ihm der Nallajimer. „Wie bei Mannon werden Sie sich auch beim Groalterri schmerzliche Erinnerungen ins Gedächtnis zurückrufen müssen. Aber ich habe den Eindruck, Sie nehmen diese Schmerzen bereitwillig als eine gerechte Strafe hin, der Sie sich nicht entziehen dürfen. Das halte ich für falsch und völlig unnötig. Gleichzeitig muß ich diese Einstellung akzeptieren und sie mir wie auch Ihre Person zum Wohl meines Patienten zunutze machen, wie ich mich aller anderen chirurgischen Instrumente bedienen würde. Trotzdem tut es mir leid, Ihnen diese zusätzliche Strafe aufzuerlegen.“
In jedem von uns steckt ein kleiner Psychologe, dachte Lioren und versuchte, das Thema zu wechseln. „Darf ich meine Besuche bei Doktor Mannon ebenfalls fortsetzen?“
„So oft Sie wollen“, willigte Seldal ein.
„Und auch mit ihm diesen neuen Fall erörtern?“ fragte Lioren.
„Könnte ich Sie denn davon abhalten?“ antwortete Seldal mit einer Gegenfrage. „Weiter möchte ich mich aber nicht über diesen Fall äußern, damit ich durch meine Ansichten nicht die Ihren beeinflusse. Zur Krankenakte des Patienten von Groalter wie auch zu den wenigen Informationen, die es über den Heimatplaneten dieser Spezies gibt, werden Sie Zugang erhalten.“
Es war schon äußerst eigenartig, dachte Lioren, als er den Versammlungsraum der Nallajimer verließ, daß der Chefarzt ihn als Instrument bei der Behandlung eines schwierigen Patienten einsetzen wollte, während er selbst die Patienten des Chefarztes als Werkzeuge bei seiner Untersuchung von Seldals Verhalten benutzte — mit der er allerdings keine großen Fortschritte machte.
Lioren schaute noch kurz bei Mannon vorbei, um ihm von dieser neuen Entwicklung zu berichten und um dessen allzu verwaistem Verstand noch etwas mehr Möglichkeiten zum Nachdenken zu geben, und kehrte erst dann in die psychologische Abteilung zurück. Chefpsychologe O'Mara war noch nicht wieder da, und Lieutenant Braithwaite und Cha Thrat benahmen sich, als vollzögen sie für ihren Kollegen eine leicht verfrühte Totenfeier. Zu ihrem Erstaunen erzählte ihnen Lioren, daß er sich nicht in Schwierigkeiten befinde, sondern von Chefarzt Seldal um einen Gefallen gebeten worden sei, den zu tun er selbstverständlich versprochen habe, weshalb er sich jetzt einige Unterlagen zur späteren Durchsicht in der Unterkunft kopieren müsse.
„Der Patient von Groalter!“ rief Braithwaite auf einmal aus, und als sich Lioren umdrehte, sah er, daß Cha Thrat und der Lieutenant bereits hinter ihm standen und die Angaben auf seinem Bildschirm lasen. „Eigentlich sollen wir nicht mal wissen, daß er sich überhaupt im Hospital befindet, und Sie haben jetzt schon mit ihm zu tun. Was wird nur Major O'Mara davon halten?“
Lioren kam zu der Überzeugung, daß es sich bei Braithwaites letzter Bemerkung um das handeln mußte was Terrestrier als eine ̃̄„rhetorische Frage“ bezeichnen und setzte seine Arbeit ungerührt fort.
13. Kapitel
Seit ihrer Gründung durch die ursprünglich vier zum interstellaren Raumflug befähigten Zivilisationen von Traltha, Orligia, Nidia und der Erde, die das später aus vielen verschiedenen Spezies bestehende Monitorkorps ins Leben gerufen hatten, dessen Aufgabe es war, als Exekutivorgan dem Gesetz Geltung zu verschaffen, hatte sich die galaktische Föderation immer weiter ausgedehnt. Mittlerweile gehörten ihr als Mitglied fünfiindsechzig intelligente Spezies an, und von ihrer Bevölkerungszahl und der Größe ihres Einflußbereichs her hielt sie allmählich das, was ihr ursprünglicher und ein wenig hochtrabender Name einst versprochen hatte. Doch nicht zu allen Planetenzivilisationen, die von Vermessungsschiffen des Korps entdeckt worden waren, wurde uneingeschränkter Kontakt hergestellt, denn einige von ihnen hätten daraus keinen Nutzen gezogen.
Dabei handelte es sich um die Zivilisationen, deren technische und philosophische Entwicklung sehr rückständig war. Das Auftauchen riesiger Schiffe am Himmel sowie deren plötzliche Landung und die seltsamen allmächtigen Wesen, die mit ihren wundersamen Waffen aussteigen würden, hätten bei den noch in der Entwicklung begriffenen Kulturen einen derartigen sich auf die gesamte Spezies erstreckenden Minderwertigkeitskomplex ausgelöst, daß ihre zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten stark eingeschränkt worden wären. Und dann gab es noch einen Planeten, bei dem die Entscheidung, uneingeschränkten Kontakt herzustellen, von der galaktischen Föderation nicht als erstes getroffen werden konnte.
Wie es sich für eine Zivilisation gehörte, die schon alt und weise gewesen war, als sich die Bewohner der Erde und von Orligia und Traltha noch durch den Urschlamm geschlängelt hatten, hatten sich die Groalterri in dieser Frage sehr diplomatisch verhalten. Dennoch hatten sie ganz unzweideutig zu verstehen gegeben, daß sie weder gewillt waren, die Anwesenheit der Föderation in ihrer Erwachsenendomäne zu dulden, noch ihre reifen und fein gesponnenen Gedankengänge von einer Horde plappernder und geistesgestörter Kleinkinder, für die sie die anderen Spezies hielten, durcheinanderbringen zu lassen. Um das durchzusetzen, verfügten die Groalterri sowohl als Individuen wie auch als Spezies über genügend philosophisches und physiologisches Gewicht.