In beruhigendem Ton sagte der diensthabende hudlarische Krankenpfleger: „Untersuchungen, bei denen er angesehen oder berührt wird, und selbst Operationen stören den Patienten nicht, aber auf Versuche, sich mit ihm zu unterhalten, reagiert er in recht asozialer Weise. Wahrscheinlich wollte er Sie eher abschrecken als verletzen.“
„Hätte er mich verletzen wollen“, sagte Lioren, wobei er daran dachte, wie die riesige organische Axt haarscharf an seinem Kopf vorbeigezischt war, „wäre mir mein Anzug nicht von besonderem Nutzen gewesen.“
„Meine normalerweise undurchdringbare hudlarische Haut auch nicht“, fügte der Krankenpfleger hinzu. „Zwar gehört Doktor Seldal zu einer feingliedrigen Spezies, bei der Feigheit ein wesentliches, weil zum Überleben unerläßliches Merkmal darstellt, aber er lehnt es ab, einen Schutzanzug zu tragen. Die wenigen anderen Besucher, die hierherkommen, dürfen für sich selbst entscheiden.
Wie ich festgestellt habe, spricht der Patient wahrscheinlich eher mit jemandem, der keinen Schutzanzug trägt, weil er Besucher in Anzügen offenbar für zum Teil mechanische Wesen von geringer Intelligenz hält“, fuhr der Hudlarer fort. „Dagegen richtet er an ungeschützte Besucher zwar nur wenige Worte, die zudem nie höflich sind, aber immerhin spricht er manchmal mit ihnen.“
Lioren dachte über den kurzen Satz nach, den er vom Patienten gehört hatte, nachdem er von ihm durch den vorgetäuschten Angriff so erschreckt worden war, daß er beinahe an Herzversagen gestorben wäre, und machte sich daran, den ohnehin nicht schützenden Anzug auszuziehen. „Für Ihren Ratschlag bin ich Ihnen sehr dankbar. Helfen Sie mir doch mal bitte aus diesem Ding raus, dann werde ich es noch mal versuchen. Und falls es noch etwas gibt, das Sie mir sagen möchten, werde ich Ihnen mit Vergnügen zuhören.“
Als der FROB an ihn herantrat, um ihm zu helfen, sagte er mit vibrierender Sprechmembran: „Sie haben mich nicht wiedererkannt, Lioren. Aber ich kenne Sie und bin Ihnen auch dankbar, und zwar für die hilfreichen Worte, die Sie zu meiner kelgianischen Freundin, der Krankenpflegeschülerin Tarsedth, vor und bei unserem letzten Besuch in Ihrer Unterkunft gesagt haben. Offen gesagt, bin ich ziemlich überrascht, daß Seldal Ihnen erlaubt hat hierherzukommen. Falls es aber noch irgend etwas gibt, womit ich Ihnen helfen kann, brauchen Sie mich nur zu fragen.“
„Das ist wirklich sehr nett von Ihnen“, bedankte sich Lioren.
Er dachte gerade daran, daß die ihm von O'Mara übertragene Aufgabe, Seldals Verhalten zu untersuchen, und seine unorthodoxe Methode, dieser nachzugehen, zu völlig unerwarteten Ergebnissen führte. Aus Gründen, die Lioren nicht begreifen konnte, schien er sich offenbar Freunde zu machen.
Als sich Lioren zum zweitenmal dem Kopf des FLSU näherte, trug er am Körper nur den Translator und ein Düsenaggregat, das ihm dabei half, sich in der Schwerelosigkeit zu bewegen. Wieder ließ er sich in die Nähe eines der gewaltigen, geschlossenen Augen treiben und sprach den Patienten an.
„Ich bin weder insgesamt noch teilweise eine Maschine“, sagte er. „Noch einmal frage ich Sie mit allem Respekt: Darf ich mit Ihnen sprechen?“
Erneut öffnete sich das Augenlid wie ein riesiges Fallgitter aus Fleisch, doch diesmal reagierte der FLSU prompt.
„Daß Sie die Fähigkeit besitzen, mit mir zu sprechen, daran haben wir ja wohl beide keinerlei Zweifel“, antwortete er mit einer Stimme, die die Übersetzung wie ein tiefer, gedämpfter Trommelwirbel begleitete. „Doch falls Sie Ihre Frage nur nachlässig formuliert haben, wie es hier bei vielen Äußerungen der Fall ist, und eigentlich wissen wollen, ob ich Ihnen zuhören und antworten werde, dann bezweifle ich das.“
Einer der riesigen Tentakel direkt unter Lioren begann sich unruhig in dem zerrissenen Netz zu regen und verfiel dann wieder in Bewegungslosigkeit. „Ihre Gestalt ist mir zwar neu, aber Sie werden höchstwahrscheinlich das gleiche fragen und sich genauso verhalten wie alle anderen. Sie werden mir Fragen stellen, deren Antworten durch vorherige Beobachtung bereits bekannt sein müßten. Sogar dieser kleine Messerstecher namens Seldal, der in mir herumstochert und mir seltsame Chemikalien in die Wunden füllt, fragt mich, wie es mir geht. Wenn der es nicht weiß, wer dann? Und alle benehmen sich mir gegenüber, als hätten sie die Gewalt und die Autorität von Eltern und als wäre ich der kleine Nachkomme, der getröstet werden muß. Das ist, als würden Insekten vorgeben, klüger und größer als ein groalterrisches Elternteil zu sein, und das ist unglaublich lächerlich.
Ich spreche Ihnen gegenüber von diesen Dingen in ganz einfachen Worten, weil ich hoffe, daß Sie die Macht haben, dieser albernen Verstellung ein Ende zu bereiten, und mich ungestört sterben lassen.
Und jetzt verschwinden Sie“, beendete der FLSU seine Ausführungen, „und zwar sofort!“
Das große Auge schloß sich, als wollte es Lioren aus dem Blick und den Gedanken verbannen, doch der Tarlaner rührte sich nicht von der Stelle. „Ihre Wünsche in dieser Angelegenheit werden unverzüglich an diejenigen weitergeleitet werden, die sich mit Ihrer Behandlung befassen, da unsere Unterhaltung aufgenommen wird, und zwar für eine spätere Untersuchung durch.“
Lioren verstummte. Sämtliche Tentakel des FLSU schlängelten und wanden sich im Netz hin und her, das an mehreren Stellen geräuschvoll riß, bevor sie sich wieder entspannten.
„Meine Äußerungen sind Ausdruck meiner Gedanken, die ich Ihnen wie auch meinen vorherigen Gesprächspartnern auf diese Weise mitgeteilt habe“, meldete sich der Patient erneut zu Wort. „Ohne meine ausdrückliche Erlaubnis, die ich zu jedem solcher Anlässe neu geben muß, dürfen diese Gedanken mit keinem Wesen geteilt werden, das nicht anwesend ist, weil dessen Verstand die Bedeutung und den Sinn meiner Worte höchstwahrscheinlich mißversteht und verfälscht. Falls dies trotzdem geschieht, werde ich keinen Ton mehr von mir geben. Und jetzt verschwinden Sie endlich.“
Lioren rührte sich immer noch nicht von der Stelle. Statt dessen stellte er seinen Translator auf die Frequenz des Stationszimmers ein und schickte sich an, noch einmal in der Manier eines Oberstabsarztes zu sprechen.
„Pfleger“, sagte er, „schalten Sie bitte sämtliche Aufnahmegeräte aus und löschen Sie alles, was seit meinem Eintreffen gesprochen worden ist. Mit den früheren Gesprächen zwischen Doktor Seldal und dem Patienten verfahren Sie bitte genauso. Alle persönlichen Dinge, die Sie heute oder früher vom Patienten gehört haben, sind als vertrauliche Mitteilungen zu behandeln und an niemand anderen weiterzugeben. Von diesem Moment an werden Sie, sofern Ihnen der Patient selbst nicht die Erlaubnis dazu erteilt, kein Gespräch mehr zwischen dem Patienten und irgendwem sonst mithören und auch nicht Ihre eigenen organischen Schallsensoren dazu benutzen. Haben Sie meine Anweisungen voll und ganz verstanden? Bestätigen Sie das bitte.“
„Ich habe verstanden“, antwortete der Hudlarer. „Aber wird das auch bei Chefarzt Seldal der Fall sein?“
„Wenn ich den Chefarzt darauf aufmerksam mache, wie sehr der Patient es ablehnt, daß von seinen Äußerungen unerlaubte Aufnahmen gemacht werden, wird auch er Verständnis dafür haben. Bis dahin übernehme ich die volle Verantwortung.“
„In Ordnung, dann unterbreche ich jetzt die Tonverbindung“, bestätigte der Pfleger.
Wie Lioren wußte, war nur die Tonverbindung unterbrochen, denn der Pfleger würde die Vorgänge nicht nur weiterhin auf den medizinischen Kontrollgeräten verfolgen und aufzeichnen, sondern Lioren sogar noch aufmerksamer als vorher auf den Bildschirmen beobachten, falls er mit den Traktorstrahlen aus erneuten Schwierigkeiten herausgeholt werden müßte. Lioren wandte seine Aufmerksamkeit dem Auge des Patienten zu, das inzwischen wieder geschlossen war.
„Wir können jetzt miteinander reden, ohne daß unser Gespräch von jemandem belauscht oder aufgenommen wird“, sagte Lioren. „Außerdem werde ich ohne Ihre ausdrückliche Erlaubnis nicht eine Silbe von dem, was Sie sagen, vor anderen wiederholen. Stellt Sie das zufrieden?“