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Der gewaltige Körper des Patienten blieb reglos, der FLSU selbst sagte keinen Ton, und das Auge öffnete sich nicht. Lioren mußte an seinen ersten Besuch beim ehemaligen Diagnostiker Mannon denken und daran, daß sich dieser Patient hier ebenfalls nicht regte, nach den Anzeigen der medizinischen Kontrollgeräte jedoch genau wie Mannon bei Bewußtsein war. Vielleicht schliefen die FLSUs nicht, denn der Föderation gehörten mehrere Spezies an, die vor der Entwicklung von Intelligenz fortwährend in äußerster Lebensgefahr geschwebt hatten, so daß ein Teil ihres Verstands noch heute ständig wachsam blieb. Möglicherweise beachtete der Patient ihn aber auch nicht mehr, zumal er einer Spezies angehörte, die von allen bisher entdeckten Zivilisationen als die in philosophischer Hinsicht fortschrittlichste angesehen wurde, und weil er Lioren bereits zweimal aufgefordert hatte, ihn in Ruhe zu lassen, und zu zivilisiert war, um seiner Bitte körperlich Nachdruck zu verleihen.

In Mannons Fall war es die eigene Neugier gewesen, die den Patienten schließlich veranlaßt hatte, sein Schweigen zu brechen.

„Sie haben mir mitgeteilt, daß die Aufmerksamkeit und die Fragen der medizinischen Mitarbeiter Sie ärgern, weil die wie winzige Insekten einen Riesen umschwärmen und sich benehmen, als würden sie über die Macht groalterrischer Eltern verfügen. Haben Sie sich eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, daß diese Wesen sich trotz ihrer geringen Größe die gleichen Sorgen um Sie machen und dasselbe Bedürfnis, Ihnen zu helfen, verspüren wie Ihre leiblichen Eltern? Übrigens ist mir der Vergleich mit Insekten genauso unangenehm wie Ihren anderen Besuchern, falls Sie denen auch so etwas erzählt haben, denn wir sind keine vernunftlosen Insekten.

Ich ziehe bei weitem den Vergleich vor, nach dem ein hochintelligentes Lebewesen eine Kreatur von geringerer Intelligenz als einen Freund gewonnen hat oder auch nur als eine Art Schoßtier, falls die Groalterri sich unter diesem Begriff etwas vorstellen können“, fuhr Lioren fort. „Zwei solche Wesen können oft eine starke, nichtkörperliche Bindung zueinander eingehen, und — so albern die Vorstellung auch erscheinen mag — falls das Wesen mit der höheren Intelligenz verletzt wird oder in irgendeine Bedrängnis gerät, wird das andere es trösten wollen und traurig sein, wenn es tatenlos mit ansehen muß, daß es nicht helfen kann.

Verglichen mit Ihrem ist der Intelligenzgrad der anderen Wesen in Ihrer Umgebung gering. Aber wir sind nicht hilflos, und unser Ziel hier im Hospital ist, viele verschiedene Arten von Leiden zu heilen oder zumindest zu lindern.“

Der Patient gab keine Antwort, und Lioren fragte sich, ob seine Worte vom FLSU nur als das Summen eines lästigen Insekts betrachtet wurden. Doch sein Stolz wollte sich mit diesem Gedanken nicht abfinden. Er hielt sich vor Augen, daß dieser Patient zwar einer überaus intelligenten Spezies angehörte, aber eben ein sehr junges Wesen war, was schon ein gutes Stück weiterhelfen müßte, den Unterschied zwischen ihnen beiden auszugleichen; und ein wichtiges Merkmal junger Angehöriger sämtlicher Spezies war ihre Neugier auf alles.

„Wenn Sie die Neugier, die ich Ihnen gegenüber empfinde, nicht stillen möchten, weil man Ihre früheren Äußerungen ohne Ihr Wissen oder Ihre Zustimmung anderen mitgeteilt hat“, sagte Lioren, „dann sind Sie vielleicht selbst auf eins der Wesen neugierig, die Ihnen zu helfen versuchen, nämlich auf mich. Ich heiße übrigens Lioren.“

Auf Seldals Bitte hin befand er sich hier, weil es eine uralte und in der ganzen Galaxis bekannte Binsenweisheit war, daß es an einem Ort der Heilung immer andere gibt, die sich in einer noch schlechteren Verfassung befinden als man selbst, und daß derjenige, dem es nicht ganz so schlecht geht, seinem weniger glücklichen Mitpatienten seelischen Beistand leistet und davon im nichtklinischen Bereich sogar selbst zu profitieren scheint. Ganz offensichtlich erhoffte sich der nallajimische Chefarzt von seinem Patienten eine ähnliche Reaktion, doch Lioren fragte sich, ob ein Lebewesen, das sowohl körperlich als auch intellektuell derart gewaltig und so ungeheuer langlebig wie dieser FLSU war, überhaupt die Fähigkeit besaß, Mitleid mit dem dummen, kurzlebigen Insekt zu empfinden, das über seinem geschlossenen Auge schwebte.

Den FLSU über alles ins Bild zu setzen dauerte viel länger als bei Mannon, weil der ehemalige Diagnostiker über die Föderation, das Monitorkorps und das Militärgericht genausogut Bescheid gewußt hatte wie über den Schwarm intelligenter Insekten, die Cromsaggi hießen und die von Lioren um ein Haar ausgerottet worden waren. Während der Tarlaner aufgrund des Berichts die furchtbaren Vorgänge auf Cromsag noch einmal durchlebte, büßte seine Erzählweise oft die nüchterne Objektivität ein, und mehrmals mußte er sich vor Augen halten, daß seine Erinnerungen wie als psychologisches Instrument eingesetzt wurden, das seinem Benutzer Schmerzen bereitete; doch schließlich war die Tortur vorbei.

Lioren wartete und war insgeheim froh darüber, daß der Patient nicht reagierte, denn dadurch konnte er die grauenhaften Bilder vertreiben und seiner Gedanken wieder Herr werden.

„Lioren“, reagierte der Groalterri plötzlich, ohne das Auge zu öffnen, „ich hatte keine Ahnung, daß es einem kleinen Wesen möglich ist, solch ein großes Leid zu ertragen. Nur indem ich Sie nicht anblicke, kann ich das auch weiterhin glauben, denn vor meinem geistigen Auge sehe ich ein altes und außerordentlich unglückliches Elternteil, das Hilfe sucht. Doch ich kann Ihnen genausowenig helfen wie Sie mir, Lioren, weil ich ebenfalls schuldig bin.“

Die Stimme des Groalterris war so leise geworden, daß der Translator auf höchste Eingangsempfindlichkeit gestellt werden mußte, um die einzelnen Sprachlaute noch aufzulösen, als er mit den Worten schloß: „Ich habe mich einer großen und furchtbaren Sünde schuldig gemacht.“

14. Kapitel

Mehr als eine Stunde verging, bevor Lioren ins Stationszimmer zurückkehrte, wo er bereits von Seldal erwartet wurde, der sich aufplusterte und mit den nicht ganz verkümmerten Flügeln schlug, was bei Nallajimern ein Zeichen für Zorn war.

„Wie mir der Pfleger berichtet hat, haben Sie angeordnet, die Geräte zur Aufzeichnung der Gespräche auszuschalten und die früheren Unterhaltungen mit dem Patienten zu löschen“, beschwerte sich der Chefarzt, bevor Lioren etwas sagen konnte. „Damit haben Sie Ihre Befugnisse weit überschritten, Lioren, und das ist eine schlechte Angewohnheit von Ihnen. Ich habe geglaubt, daß Sie nach dem Vorfall auf Cromsag so etwas endgültig abgelegt hätten. Aber Sie haben sich mit dem Patienten länger unterhalten als alle medizinischen Mitarbeiter seit seiner Ankunft zusammengenommen. Was hat er Ihnen erzählt?“

Einen Augenblick lang schwieg Lioren, dann antwortete er: „Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ein Großteil der Auskünfte sind persönlicher Natur, und ich habe mich noch nicht entschieden, was ich verraten kann und was nicht.“

Seldal stieß ein lautes, ungläubiges Zwitschern aus. „Sie müssen vom Patienten Auskünfte erhalten haben, die mir bei der Behandlung helfen könnten. Zwar kann ich keinem Mitarbeiter Ihrer Abteilung befehlen, sensible Informationen über die Psyche eines anderen Lebewesens preiszugeben, dennoch kann ich O'Mara bitten, dies anzuordnen.“

„Chefarzt Seldal, ob das nun der Chefpsychologe persönlich macht oder sonst jemand, der über eine entsprechende Machtbefugnis verfügt, meine Antwort bleibt immer dieselbe“, beharrte Lioren.

Der hudlarische Pfleger hatte sich inzwischen zurückgezogen, um seinen Stationschef nicht dadurch in Verlegenheit zu bringen, daß er ein Streitgespräch verfolgte, in dem dieser unterlag.

„Kann ich davon ausgehen, daß ich noch Ihre Erlaubnis habe, den Patienten auch weiterhin zu besuchen?“ fragte Lioren leise. „Möglicherweise gelingt es mir, durch Beobachtungen, Schlußfolgerungen und die Feststellung von Tatsachen zu Erkenntnissen über den FLSU selbst oder über seine Spezies zu gelangen, die nicht persönlich sind und somit auch Ihnen behilflich sein könnten. Aber dabei ist äußerste Vorsicht geboten, damit der Patient uns das nicht übelnimmt, denn dem Inhalt seiner Gedanken und der Äußerungen, durch die er diese mitteilt, mißt er großen Wert bei.“