„Na schön“, sagte O'Mara, als klar wurde, daß Lioren ansonsten nichts hinzufügen wollte. „Wenn Sie schon zu dumm und aufsässig sind, um auf den Wunsch eines Vorgesetzten einzugehen, dann sind Sie vielleicht wenigstens intelligent genug, Vorschläge anzunehmen. Fragen Sie den Patienten, wie er sich die Verletzungen zugezogen hat, falls Sie das nicht schon getan haben und mir die Antworten verheimlichen. Und fragen Sie Hellishomar, ob er es selbst gewesen ist oder jemand anders, der das Schweigen der Groalterri gebrochen hat, um medizinische Hilfe zu erbitten. Den Kontaktspezialisten sind die Umstände des Notrufs ein Rätsel, und sie wünschen, darüber aufgeklärt zu werden.“
„Ich habe bereits versucht, ihm diese Fragen zu stellen“, sagte Lioren. „Aber der Patient ist in Erregung geraten und hat mir lediglich zu verstehen gegeben, er persönlich habe nicht um Hilfe gebeten.“
„Was genau hat er denn gesagt?“ hakte O'Mara schnell nach. „Wie lauteten seine Worte?“
Lioren schwieg.
Der Chefpsychologe stieß einen kurzen unübersetzbaren Laut aus und lehnte sich im Sessel zurück. „Der Auftrag, den Sie bezüglich Seldal erhalten haben, ist an sich nicht wichtig, aber die Einschränkungen, die Ihnen auferlegt worden sind, waren das ganz bestimmt. Mir ist von vornherein klar gewesen, daß Sie sich alle Patienten von Seldal würden vornehmen müssen, um Erkundigungen einzuziehen, und auch, daß es sich bei einem der Patienten um Mannon gehandelt hat. Indem ich Sie beide zusammengebracht habe — den Patienten, der vor seinem Tod emotionale Qualen leidet und jeglichen Kontakt mit Freunden und Kollegen verweigert, und einen Tarlaner, gegen dessen Probleme Mannons wirklich unbedeutend aussehen — , hatte ich gehofft, er würde sich wenigstens so weit öffnen, daß ich ihm möglicherweise seelischen Beistand leisten könnte. Ohne ein weiteres Eingreifen meinerseits haben Sie Erfolge erzielt, die viel größer sind, als ich es mir hätte träumen lassen, und ich bin Ihnen wirklich dankbar. Meine Dankbarkeit und die Geringfügigkeit der Angelegenheit haben es mir gestattet, Ihre lästige Aufsässigkeit zu übersehen, doch diesmal liegen die Dinge anders.
Daß Sie mit dem Groalterri sprechen sollten, war Seldals Idee, nicht meine, und ich habe erst hinterher davon erfahren“, fuhr O'Mara fort. „Bisher weiß ich nichts von dem, was Sie beide miteinander gesprochen haben, und ich will jetzt alles wissen. Der Inhalt Ihrer Gespräche ist nämlich auch für eine Erstkontaktsituation mit einer Spezies von Bedeutung, die nicht nur hochintelligent ist, sondern bis jetzt auch tiefstes Schweigen bewahrt. Doch Sie haben es geschafft, sich mit einem Mitglied dieser Spezies zu unterhalten, und haben aus irgendeinem Grund in ein paar Tagen mehr erreicht als das Monitorkorps in genauso vielen Jahren. Ich bin beeindruckt, und das wird man beim Korps auch sein. Dennoch müssen Sie endlich einsehen, daß es dumm und geradezu kriminell ist, Informationen zurückzuhalten, die — egal, welcher Art sie sind — helfen könnten, den Kontakt auszuweiten.
Verdammt noch mal, das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für moralische Spielchen“, schloß O'Mara mit leiserer Stimme. „Dafür ist das Ganze viel zu wichtig, finden Sie nicht auch?“
„Bei allem Respekt, aber ich.“, begann Lioren, als ihn O'Mara mit einer plötzlichen Handbewegung zum Schweigen brachte.
„Das heißt also ̃̄„nein““, sagte der Chefpsychologe verärgert. „Vergessen Sie diese ganzen Höflichkeitsfloskeln. Also, warum stimmen Sie dem nicht zu, Lioren?“
„Weil ich nicht die Erlaubnis erhalten habe, diese Art von Informationen weiterzugeben, und weil ich es für wichtig halte, mich weiterhin den Wünschen des Patienten gemäß zu verhalten“, antwortete Lioren prompt.
„Hellishomars Bereitschaft, Auskünfte über Groalter zu erteilen, nimmt zu, zumindest was solche Angaben betrifft, die allgemein bekannt gemacht werden dürfen. Hätte ich nicht von Anfang das in mich gesetzte Vertrauen erfüllt, hätten wir wahrscheinlich überhaupt keine Information irgendwelcher Art von ihm erhalten. Ich werde noch viel mehr Einzelheiten über die Groalterri erfahren, aber nur, wenn Sie und das Korps Geduld haben und ich Schweigen bewahre, bis mir der Patient ausdrücklich andere Anweisung gibt. Wenn ich Hellishomars Vertrauen breche, wird der Informationsfluß versiegen.“
Während Liorens Erklärung hatte O'Maras Gesichtsfarbe wieder einen dunklen Rosaton angenommen. Im Bemühen, das abzuwenden, was nach seinen Erfahrungen ein stärkerer Gefühlsausbruch zu werden versprach, fuhr Lioren fort: „Für mein aufsässiges Verhalten möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, aber mein fortgesetzter Ungehorsam ist weniger auf einen Mangel an Respekt zurückzuführen, sondern wird mir vielmehr vom Patienten aufgezwungen. Das ist Ihnen gegenüber äußerst unfair, Sir, weil Sie dem Patienten nur helfen wollen. Auch wenn ich es nicht verdient habe, wäre mir jede Hilfe oder jeder Ratschlag willkommen, die oder den Sie mir zu geben bereit sind.“
Unter O'Maras starrem ungerührten Blick wurde Lioren recht unbehaglich zumute. Er hatte das Gefühl, die Augen des Majors konnten ihm direkt in den Kopf blicken und jeden einzelnen Gedanken darin lesen. Das war natürlich unsinnig, weil die terrestrischen DBDGs nicht zu den telepathischen Spezies gehörten. Die Gesichtsfarbe des Chefpsychologen war zwar wieder etwas heller geworden, doch ansonsten zeigte er keinerlei Reaktion.
„Als ich vorhin gesagt habe, das Verhalten des Groalterris gehe über mein Verständnis hinaus, da haben Sie mich berichtigt, indem Sie anführten, daß das Verhalten lediglich über mein gegenwärtiges Verständnis hinausgehe“, sagte Lioren. „Wollten Sie damit andeuten, daß es eine solche Situation schon einmal gegeben hat?“
Inzwischen hatte O'Maras Gesicht wieder die normale Farbe angenommen. Kurz entblößte er die Zähne. „Die hat es sogar schon häufig gegeben, fast immer dann, wenn die Föderation eine neue Spezies entdeckt, doch Sie haben zu sehr in der Situation dringesteckt, um sie auch von außen zu sehen. Denken Sie bitte mal an die Folge von Ereignissen, die sich beim Wachstum eines Embryos zwischen dem Zeitpunkt der Empfängnis und der Geburt abspielt, obwohl ich diese Vorkommnisse aus naheliegenden Gründen so beschreiben werde, wie sie bei meiner eigenen Spezies ablaufen.“
Der Chefpsychologe faltete locker die Hände auf dem Schreibtisch und nahm die ruhige, sachliche Haltung eines Vortragenden an. „Die Wachstumsveränderungen des Embryos im Mutterleib folgen ziemlich genau der evohjtionsgeschichtlichen Entwicklung der Spezies insgesamt, wenn auch in einem kürzeren Zeitraum. Das Ungeborene beginnt als ein blinder und primitiver Wasserbewohner ohne Gliedmaßen, der in einem Meer aus Fruchtwasser treibt, und endet als kleines, körperlich hilfloses und dummes Ebenbild eines Erwachsenen, verfügt jedoch über einen Verstand, der dem seiner Eltern in relativ kurzer Zeit ebenbürtig oder überlegen ist. Auf der Erde ist der evolutionsgeschichtliche Weg, der zum vierbeinigen Landlebewesen geführt hat, aus dem schließlich das denkende Wesen namens ̃̄„Mensch“ geworden ist, sehr lang gewesen. Zudem hat er viele fruchtlose Abzweigungen genommen, die auf Lebensformen hinausgelaufen sind, die zwar eine ähnliche Gestalt wie der Mensch gehabt haben, nicht aber seine Intelligenz.“
„Ich verstehe“, warf Lioren ein. „Auf Tarla war das auch so. Aber welche Rolle spielt das für diesen Fall?“
„Auf der Erde wie auch auf Tarla hat es in der Entwicklung zu einer vollkommen intelligenten, sich selbst bewußten Lebensform ein Zwischenstadium gegeben“, fuhr O'Mara fort, ohne auf Liorens Zwischenfrage einzugehen. „Auf unserem Planeten haben wir den weniger intelligenten Altmenschen ̃̄„Neandertaler“ genannt und die Form, die durch Gewalt an seine Stelle getreten ist, den ̃̄„Cromagnontypus“. Zwar haben zwischen den beiden geringe körperliche Abweichungen bestanden, doch der entscheidende Unterschied war nicht sichtbar. Obwohl der Cromagnontypus erst wenig mehr als ein wildes Tier war, besaß er das, was als der ̃̄„neue Verstand“ bezeichnet wird, jene Art von Verstand, die es Zivilisationen ermöglicht, zu wachsen und zu gedeihen und nicht nur eine Welt zu bereisen, sondern viele. Hätte der Cromagnontypus versuchen sollen, den Neandertaler über dessen Lernfähigkeit hinaus zu unterrichten, oder hätte er ihn einfach in Ruhe lassen sollen? Die Ureinwohner haben in der Vergangenheit auf der Erde mit den sogenannten zivilisierten Menschen viele unheilvolle Erfahrungen gemacht.“