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Zuerst verstand Lioren nicht, warum O'Mara in solch allzu stark vereinfachten Gemeinplätzen sprach, doch auf einmal erkannte er, worauf der Major hinauswollte.

„Wenn wir zur Ähnlichkeit zwischen der pränatalen Entwicklung des Embryos und der vorgeschichtlichen Evolution zurückkehren und davon ausgehen, daß die Schwangerschaftsperiode der Groalterri im proportionalen Verhältnis zu ihrer Lebensspanne steht, ist es dann nicht möglich, daß die FLSUs diese frühere Entwicklungsstufe, auf der die Intelligenz geringer gewesen ist, ebenfalls durchlaufen haben?“ setzte der Chefpsychologe seine Ausführungen fort. „Nehmen wir jedoch zusätzlich an, die jungen Nachkommen der FLSUs durchlaufen diese Phase nicht vor, sondern nach ihrer Geburt. Das würde bedeuten, die Kleinen gehören in der Zeit von der Geburt bis zur Vorpubertät vorübergehend einer anderen Spezies an als ihre Eltern, einer Spezies, die von den erwachsenen FLSUs für wild und grausam gehalten wird und der sie — relativ gesehen — nur geringe Intelligenz und verminderte Sensitivität zugestehen. Doch bei diesen jungen und wilden Groalterri handelt es sich um die heißgeliebten Nachkommen dieser Eltern.“

Erneut entblößte O'Mara die Zähne. „Die hochintelligenten und äußerst empfindlichen Eltern gehen den Kleinen so oft wie möglich aus dem Weg, weil der telepathische Kontakt mit derart jungen und aus ihrer Sicht unterentwickelten Gehirnen vermutlich überaus unangenehm wäre. Wahrscheinlich ist auch, daß die Eltern deshalb nicht in telepathischen Kontakt mit den Kleinen treten, da die Gefahr bestünde, den jungen Verstand zu schädigen und die spätere philosophische Entwicklung der Nachkommen dadurch zu hemmen, daß die jungen Groalterri unterwiesen werden, bevor ihre unreifen Gehirne physiologisch genügend entwickelt sind, um die Lehren der Erwachsenen zu verstehen.

Hierbei handelte es sich um jenes Verhalten, das wir von einem liebenden und verantwortungsbewußten Elternteil erwarten.“

Lioren wandte dem ältlichen Terrestrier sämtliche Augen zu und versuchte vergeblich, respektvolle und bewundernde Worte zu finden, die dem Anlaß gerecht geworden wären. Schließlich sagte er: „Ihre Äußerungen sind keine bloßen Vermutungen. Ich glaube, sie entsprechen in allen wesentlichen Punkten genau den Tatsachen. Diese Informationen werden mir sehr helfen, Hellishomars emotionale Qualen besser zu verstehen. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Sir.“

„Es gäbe da eine Möglichkeit, wie Sie mir Ihre Dankbarkeit beweisen könnten“, entgegnete O'Mara.

Lioren schwieg.

O'Mara schüttelte den Kopf und blickte an Lioren vorbei auf die Bürotür. „Bevor Sie gehen, gibt es noch etwas, das Sie wissen sollten, Lioren. Außerdem möchten wir, daß Sie dem Patienten eine bestimmte Frage stellen. Wer hat für ihn um medizinische Hilfe gebeten und wie? Die normalen Funkfrequenzen sind nicht benutzt worden, und Telepathie soll, da sie sozusagen von einem organischen, ungerichteten Sender mit ganz geringer Leistung stammt, auf Entfernungen von über ein paar hundert Metern angeblich nicht möglich sein. Außerdem verursacht es einem Nichttelepathen großes geistiges Unbehagen, wenn ein Telepath versucht, die Verständigung mit ihm zu erzwingen.

Doch die Sache ist die, daß Captain Stillson, der Kommandant des Kontaktschiffs, das sich gegenwärtig auf der Umlaufbahn um Groalter befindet, davon berichtet hat, genau solch einen eigenartigen Eindruck gehabt zu haben“, fuhr der Chefpsychologe fort. „Er ist das einzige Besatzungsmitglied, das von diesem Gefühl ergriffen wurde, und er hegte den Verdacht, auf der Planetenoberfläche stimme irgend etwas nicht. Bis dahin hatte niemand auch nur mit dem Gedanken gespielt, ohne Erlaubnis der Planetenbewohner auf Groalter zu landen. Doch Stillson flog mit seinem Schiff haargenau zu der Stelle hinunter, wo der verletzte Helishomar auf Rettung wartete, und leitete unverzüglich den Transport des Patienten zum Orbit Hospital in die Wege, und das alles nur, weil er den überwältigenden Eindruck hatte, diese Maßnahmen ergreifen zu müssen. Der Captain beteuert, zu keiner Zeit unter irgendeinem äußeren Einfluß gestanden oder auch nur eine Sekunde lang die Kontrolle über den eigenen Verstand verloren zu haben.“

Lioren versuchte noch, diese Neuigkeiten zu verdauen, und fragte sich, ob er sie an den Patienten weitergeben sollte oder nicht, als O'Mara schon fortfuhr.

„Was die geistigen Fähigkeiten der erwachsenen Groalterri betrifft, gibt mir das schon zu denken“, sagte er mit einer so leisen Stimme, daß es sich durchaus um ein Selbstgespräch hätte handeln können. „Falls sie, wie es jetzt erwiesen scheint, mit ihren eigenen Nachkommen nicht kommunizieren, weil die Gefahr besteht, die spätere geistige und philosophische Entwicklung der Kleinen zu hemmen, dann muß das gleichzeitig der Grund sein, weshalb sie jeden Kontakt mit den vermeintlich fortschrittlichen Zivilisationen der Föderation ablehnen.“

17. Kapitel

Liorens nächster Besuch bei Hellishomar war sowohl sehr nützlich als auch äußerst frustrierend. Der Groalterri erzählte Lioren viel über das Leben und das Verhalten der Kleinen und gestattete ihm, diese Informationen auch mit anderen zu erörtern, doch schien er sich zu ausführlich über ein Thema zu äußern, das ihm überhaupt nicht am Herzen lag. Zwar dürften die Einzelheiten, die Lioren über die Gesellschaft der Kleinen auf Groalter erfuhr, beim Monitorkorps auf Begeisterung stoßen, doch gewann der Tarlaner den nachhaltigen Eindruck, daß der Patient nur redete, um zu vermeiden, über ein anderes Thema sprechen zu müssen. Nachdem sich Lioren drei Stunden lang Informationen angehört hatte, die sich allmählich wiederholten, verlor er schließlich die Geduld.

In der nächsten Pause warf er rasch ein: „Hellishomar, ich freue mich und bin Ihnen für diese Auskünfte über Ihren Heimatplaneten genauso dankbar, wie es meine Kollegen sein werden. Aber ich würde lieber etwas über Sie hören, und ich habe den Eindruck, Sie würden es ebenfalls vorziehen, über sich selbst zu sprechen.“

Der Groalterri schwieg.

Lioren zwang sich zur Geduld und versuchte, die passenden ermutigenden Worte zu finden. Indem er langsam sprach und viele Pausen einlegte, um Hellishomar jede denkbare Gelegenheit zu bieten, auf seine Fragen einzugehen, erkundigte er sich: „Sind Sie wegen Ihrer Verletzungen beunruhigt? Das ist unnötig, denn wie mir Seldal versichert, schreitet die Behandlung gut voran, auch wenn sie sich aufgrund des Größenunterschieds zwischen Chirurg und Patient ein wenig in die Länge zieht. Jedenfalls ist Ihr Leben durch die Infektion, die sich in Ihrem ganzen Körper ausgebreitet hat, nicht mehr bedroht. Sie sind doch selbst ein geschickter Messerheiler und werden von den Kleinen bestimmt außerordentlich geschätzt, die Sie bald wieder auf Ihrem Planeten willkommen heißen werden, damit Sie sich von neuem daran machen können, das Leben der Eltern zu verlängern, nicht wahr? Zweifellos müssen diese leidenden Eltern Sie wegen Ihres chirurgischen Geschicks ebenfalls sehr achten, das Sie ja nach wie vor anwenden können, wenn.“

„Ich bin zu groß geworden, um den Eltern zu helfen oder als Messerheiler weiterzuarbeiten“, fiel ihm Hellishomar plötzlich ins Wort. „Die Kleinen werden mich auch nicht mehr wollen. Für die bin ich nichts weiter als ein Versager, dessen sich alle schämen müssen, und ich selbst schäme mich wegen der großen Sünde, die ich begangen habe, gleich doppelt.“

Lioren wünschte sich, mehr Zeit zu haben, um über die ganze Tragweite dieser Mitteilung nachzudenken, und sein Bedürfnis, Hellishomar eingehender zu diesem Punkt zu befragen, war wie ein großer geistiger Hunger. Doch damit drang er in einen empfindlichen Bereich ein, auf den er schon einmal erfolglos zu sprechen gekommen war. Zu viele Fragen zu diesem Thema könnten Hellishomar wie ein Verhör vorkommen und ihn sogar zu dem Schluß kommen lassen, Lioren hätte vor, ihn zu verurteilen oder ihm irgendeine Schuld anzulasten. Liorens Instinkte sagten ihm, daß dies nicht der richtige Zeitpunkt für weitere Fragen war, sondern eher für weitere moralische Unterstützung.