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Der ausschlaggebende Grund für den Aufstieg der Beschützer zur dominanten Lebensform ihres Planeten war, daß die Jungen schon lange vor der Geburt sämtliche Überlebenstechniken gelernt hatten. Am Anfang ihrer Evolution hatte diese Entwicklung auf genetischer Ebene als einfache Vererbung von vielen komplexen Überlebensinstinkten begonnen, aber das enge Nebeneinander der Gehirne des Elternteils und des sich entwickelnden Embryos führte zu einer ähnlichen Wirkung, wie wir sie von der Auslösung von Gedanken durch elektrochemische Vorgänge kennen. Die Folge war, daß die Embryos die Fähigkeit zur Telepathie über kurze Strecken entwickelten und alles empfingen, was der Elternteil sah oder spürte.

Und noch bevor der Embryo zur Hälfte ausgewachsen war, entstand in diesem der nächste Embryo, der sich ebenfalls in zunehmendem Maße der brutalen Welt außerhalb seines selbstbefruchtenden Großelternteils bewußt war. Schließlich vergrößerte sich nach und nach die telepathische Reichweite, bis sie die Kommunikation zwischen Embryos ermöglichte,

deren Elternteile sich bis auf Sichtweite einander genähert hatten.

Um die Schäden an den inneren Organen des Elternteils auf ein Minimum zu reduzieren, war der heranwachsende Embryo in der Gebärmutter gelähmt. Durch die vor der Geburt stattfindende Aufhebung der Lähmung verlor der Embryo sowohl die Intelligenz als auch die Fähigkeit zur Telepathie. Denn ein neugeborener Beschützer würde in seiner unglaublich grausamen Umwelt nicht lange überlebt haben, wenn er durch das Vermögen zu denken gehandikapt gewesen wäre.

Da sie nichts anderes zu tun hatten, als Eindrücke von der Außenwelt zu gewinnen, Gedanken mit anderen Ungeborenen auszutauschen und zu versuchen, die Grenzen ihrer telepathischen Fähigkeiten durch den Kontakt mit verschiedenen nichtintelligenten Lebewesen in ihrer Umgebung auszuweiten, entwickelten die Embryos einen Verstand von großer Kraft und Intelligenz. Sie konnten jedoch nichts Gegenständliches erschaffen, in irgendeiner Form technische Forschungen betreiben oder überhaupt etwas zur Beeinflussung der Betätigungen ihrer Elternteile und Beschützer tun, die zur Versorgung ihrer immer wachen Körper und den in ihnen enthaltenen Ungeborenen unaufhörlich kämpfen, töten und fressen mußten.

„Das sind die Umstände gewesen, bevor es Freund Conway gelungen ist, ein Ungeborenes ohne den Verlust der Intelligenz zur Welt zu bringen“, fuhr Prilicla fort. „Jetzt gibt es den ursprünglichen Beschützer und seinen Nachkommen, der selbst ein junger Beschützer ist, und in beiden wachsen Embryos heran. Bis auf den ursprünglichen Elternteil stehen sie alle miteinander in telepathischer Verbindung. Ihre Station, die den heimischen Umweltbedingungen der FSOJs nachgebildet ist, liegt hinter der nächsten Öffnung auf der linken Seite. Möglicherweise werden Sie sich an dem Anblick stören, mein Freund, der Lärm, der dort veranstaltet wird, ist auf jeden Fall entsetzlich.“

Mehr als die Hälfte der Station wurde von einem hohlen Endloszylinder aus ungeheuer stabilem Gitterwerk eingenommen. Diese Konstruktion war vom Durchmesser gerade groß genug, um den FSOJ-Patienten, die sich in ihr befanden, einen ständigen ungehinderten Durchgang in einer Richtung zu ermöglichen, und verlief serpentinenartig, damit die Beschützer die gesamte verfügbare Bodenfläche der Station, die nicht für den Eingang für das Pflegepersonal oder für Geräte zur Aufrechterhaltung der Umweltbedingungen benötigt wurde, zur Bewegung nutzen konnten. Der Zylinderboden bildete von der Form her die unebene Oberfläche und die natürlichen Hindernisse nach wie zum Beispiel die beweglichen und gefräßigen Wanderwurzeln, die auf dem Heimatplaneten des Beschützers vorzufinden waren, und durch die Öffnungen zwischen den Gitterstäben hatten die Patienten ständig Sicht auf die rings um die Außenfläche des Zylinders aufgestellten Bildschirme. Über diese Schirme liefen bewegte dreidimensionale Bilder heimischer tierischer und pflanzlicher Lebensformen, denen die Patienten auf ihrem Planeten unter normalen Umständen begegnet wären.

Dem Pflegepersonal ermöglichte die offene Zylinderkonstruktion zudem, die Patienten in den Genuß der positiveren Seiten des Lebenserhaltungssystems zu bringen. Zwischen den Bildschirmen waren nämlich die Mechanismen aufgestellt, deren einziger Zweck darin bestand, die sich schnell durch den Zylinder bewegenden Körper der Patienten so rasch und so heftig wie nötig zu schlagen, zu rupfen, zu zwicken oder zu stoßen.

Wie Lioren feststellen konnte, hatte man offenbar alles Erdenkliche getan, um es den Beschützern so richtig gemütlich zu machen.

„Werden die Beschützer uns hören können?“ schrie er über den Lärm hinweg in Richtung des Empathen. „Oder wir sie?“

„Nein, mein Freund“, antwortete der Prilicla. „Die Schreie und die grunzenden Laute, die sie ausstoßen, sind keine sprachlichen Äußerungen, sondern lediglich ein Mittel, um natürliche Feinde einzuschüchtern. Bis zu der kürzlich erfolgreichen Geburt sind die intelligenten Ungeborenen im Körper des nicht vernunftbegabten Beschützers geblieben und haben nur die inneren organischen Geräusche des Elternteils gehört. Sprechen konnten sie nicht, und es ist auch unnötig gewesen. Die einzige Form der Verständigung, die uns offensteht, ist die Telepathie.“

„Ich bin aber kein Telepath“, wandte Lioren ein.

„Das sind Conway, Thornnastor und die anderen, zu denen der damalige Ungeborene Kontakt aufgenommen hatte, auch nicht“, stellte Prilicla klar. „Die wenigen bekannten Spezies, die über telepathische Fähigkeiten verfügen, haben organische Sender und Empfänger entwickelt, die sich mit denen ihrer Artgenossen automatisch in Übereinstimmung befinden. Aus diesem Grund ist der telepathische Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener telepathischer Spezies nicht immer möglich. Kommt zwischen einem dieser Wesen und einem Nichttelepathen eine geistige Verbindung zustande, bedeutet das normalerweise, daß der Nichttelepath eher über schlummernde oder verkümmerte als über gar keine telepathischen Kräfte verfügt. Wird ein solcher Kontakt hergestellt, kann das für den Nichttelepathen zwar ein äußerst unangenehmes Erlebnis sein, aber an dem betroffenen Gehirn treten weder physische Veränderungen noch bleibende psychologische Schäden auf.

Gehen Sie ruhig näher an den Laufkäfig heran, mein Freund“, forderte ihn Prilicla auf. „Können Sie fühlen, wie der Beschützer mit Ihrem Geist Verbindung aufnimmt?“

„Nein.“

„Ich spüre Ihre Enttäuschung, Lioren“, sagte der Empath. Sein Körper zitterte leicht, und er führ fort: „Aber ich nehme auch die emotionale Ausstrahlung des jungen Beschützers wahr, die ganz typisch für heftige Neugier und angestrengte Konzentration ist. Er bemüht sich ernsthaft, mit Ihnen in Verbindung zu treten.“

„Tut mir leid, ich spüre noch immer nichts“, sagte Lioren.

Kurz sprach Prilicla in seinen Kommunikator, dann sagte er: „Ich habe die Heftigkeit des Angriffsmechanismus steigern lassen. Dadurch wird der Patient nicht etwa verletzt. Vielmehr haben wir herausgefunden, daß die Denkvorgänge durch die Auswirkungen erhöhter Aktivität und drohender Gefahr auf das innere Sekretionssystem unterstützt werden. Versuchen Sie, Ihr Gehirn aufnahmefähig zu machen.“

„Immer noch nichts“, sagte Lioren, wobei er sich mit einer Hand an die Seite des Kopfs faßte. „Außer einem leichten Unbehagen im Schädel, das langsam sehr.“ Der Rest war ein unübersetzbarer Laut, der es von der Lautstärke her mit dem Geschrei aufnehmen konnte, das aus dem Lebenserhaltungssystem des Beschützers drang.

Die Empfindung, die Lioren hatte, war wie ein heftiger Juckreiz tief im Gehirn, zu dem sich eine Art mißtönendes, unhörbares Geräusch gesellte, das immer lauter wurde.

So wie jetzt muß es sein, wenn eine schlummernde Fähigkeit wachgerufen und gezwungen wird, sich zu entfalten, dachte Lioren hilflos. Wie bei einem lange nicht benutzten Muskel kam es zu Schmerzen, Steifheit und einer Art Protest gegen die Veränderung der alten bequemen Ordnung der Dinge.