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Plötzlich war das Unbehagen verflogen, und das ungehörte Getöse löste sich auf und wurde zu einem tiefen, ruhigen Meer geistigen Schweigens, auf das der äußere Lärm auf der Station keinen Einfluß ausübte. Dann drangen aus der Stille unausgesprochene Worte eines Wesens, das zwar keinen Namen hatte, dessen Verstand und ungewöhnliche Persönlichkeit jedoch so einzigartig waren, daß man das dazugehörige Individuum niemals mehr mit jemand anders hätte verwechseln können.

„Sie sind äußerst beunruhigt, mein Freund“, stellte Prilicla fest. „Hat der Beschützer Kontakt zu Ihrem Verstand aufgenommen?“

Der hat meinen Verstand eher überwältigt, antwortete Lioren in Gedanken. „Ja, er hat eine Verbindung hergestellt und schnell wieder abgebrochen. Ich habe ihm zu helfen versucht, indem ich ihm vorgeschlagen habe, daß wir. Jedenfalls hat er mich um einen weiteren Besuch zu einem späteren Zeitpunkt gebeten. Können wir jetzt gehen?“

Wortlos flog ihm Prilicla auf den Korridor voran, doch Lioren brauchte keine empathischen Fähigkeiten, um die heftige Neugier des Cinrusskers zu bemerken.

„Mir ist bisher nicht klar gewesen, daß man in solch kurzer Zeit derart viel Wissen austauschen kann“, sagte Lioren. „Worte teilen einen Sinn wie ein Rinnsal mit, Gedanken dagegen wie eine riesige Flutwelle, und letztere machen einem sofort und in sämtlichen Einzelheiten die vorhandenen Probleme nachvollziehbar. Ich brauche Zeit, um allein über alles nachzudenken, was mir der Beschützer mitgeteilt hat, damit ich ihm keine wirren und halbfertigen Antworten gebe. Einen Telepathen zu belügen ist unmöglich.“

„Oder einen Empathen“, fügte Prilicla hinzu. „Möchten Sie den Besuch bei der Gogleskanerin vielleicht verschieben?“

„Nein. Allein und ungestört nachdenken kann ich auch heute abend noch. Wird Khone mit mir in telepathischen Kontakt treten?“

Aus irgendeinem Grund wurde Priliclas Flug einen Augenblick lang unruhig, dann gewann er die Fassung zurück. „Das will ich nicht hoffen.“

Wie ihm der Empath erklärte, benutzten erwachsene Gogleskaner eine Form der Telepathie, für die enger Körperkontakt erforderlich war, taten jedoch alles mögliche, um eine solche Berührung zu vermeiden, es sei denn, ihr Leben war bedroht. Das lag nicht an einer simplen Xenophobie, sondern an der pathologischen Angst, sich irgendeinem großen Lebewesen zu nähern — einschließlich den Angehörigen der eigenen Spezies, die nicht zur Familie gehörten. Die Gogleskaner verfügten über eine fortgeschrittene gesprochene und geschriebene Sprache, die ihnen die für die Entwicklung der Zivilisation notwendige Zusammenarbeit als Individuen oder in der Gruppe ermöglichte. Doch sie sprachen nur selten miteinander und wenn, dann aus größtmöglicher Entfernung und in ganz unpersönlichen Worten. Daß ihr technologischer Stand auf niedrigem Niveau geblieben war, überraschte nicht.

Der Grund für ihr abnorm furchtsames Verhalten war eine Rassenpsychose, von der sie in ihrer vorgeschichtlichen Vergangenheit befallen worden waren. Lioren erhielt die strenge Anweisung, auf dieses Thema nur mit äußerster Vorsicht zu sprechen zu kommen.

„Sonst riskieren Sie es, die Patientin zu beunruhigen, und gefährden das Vertrauen, das nach und nach zwischen Khone und dem für die Behandlung verantwortlichen medizinischen Personal aufgebaut worden ist“, sagte Prilicla, als er in der Luft über dem Eingang der Nebenstation schweben blieb, die Gogleskanern vorbehalten war. „Da ich Khone nicht der emotionalen Belastung eines Besuchs von zwei Fremden aussetzen will, werde ich Sie jetzt verlassen. Die Ärztin Khone ist zwar ängstlich und schüchtern, aber auch außerordentlich neugierig. Versuchen Sie, wie ich es Ihnen schon empfohlen habe, sich mit ihr in unpersönlichen Worten zu unterhalten, mein Freund, und denken Sie immer erst gut nach, bevor Sie etwas sagen.“

Eine Wand aus dickem, durchsichtigen Kunststoff, die sich vom Boden bis zur Decke erstreckte, teilte den Raum in zwei gleiche Hälften. In der Wand befanden sich Öffnungen, die wie leere weiße Bilderrahmen scheinbar frei in der Luft schwebten und zum Durchreichen von Essen und für ferngesteuerte Greif- und Untersuchungsvorrichtungen bestimmt waren. Die für die Behandlung vorgesehene Hälfte der Station enthielt die üblichen medizinischen Untersuchungsinstrumente, die zum Gebrauch aus größerer Entfernung modifiziert waren, und drei Bildschirme. Davon konnte die erwachsene Gogleskanerin nur zwei sehen, denn beim dritten handelte es sich um einen Repeaterschirm für den Patientenmonitor, der sich im Kontrollraum der Hauptstation befand. Da es Lioren nicht riskieren wollte, Khone zu beleidigen, indem er sie direkt anstarrte, konzentrierte er sich auf das Bild auf dem Repeaterschirm.

Wie er auf den ersten Blick sah, gehörte die gogleskanische Ärztin zur physiologischen Klassifikation FOKT. Ihr aufgerichteter, eiförmiger Körper war von dichtem, farbenprächtigem Haar und biegsamen Stacheln bedeckt, von denen einige kleine, knollenförmige Schutzkappen am Ende trugen und zu Fingerbüscheln gruppiert waren, damit die FOKT Eßgeräte, Werkzeuge oder medizinische Instrumente greifen und handhaben konnte. Auch die vier langen blassen Fühler, die unter dem buntscheckigen Haupthaar lagen und bei telepathischem Kontakt benutzt wurden, konnte Lioren erkennen. Den Kopf umgab ein dünnes Metallband, das als Stütze für eine Korrekturlinse diente, die sich vor einem der vier gleichmäßig um den Kopf verteilten,

tieffiegenden Augen befand. Rings um den Unterkörper zog sich ein dickes Muskelband, auf dem die Gogleskanerin saß, und immer, wenn sie den Körper in eine andere Stellung brachte, streckte sie vier kurze Beine unter dem Rand dieses Muskelbands hervor. Ihrem Kind gegenüber, das fast unbehaart, ansonsten aber das verkleinerte Ebenbild seiner Mutter war, gab sie unübersetzbare jammernde Laute von sich, bei denen es sich nach Liorens Ansicht um wortlose Musik handeln konnte. Die Stimme schien aus einer Zahl schmaler, senkrechter Atemöffnungen zu kommen, die sich um die Hüfte herumzogen.

Hinter der durchsichtigen Wand war die Metallverkleidung mit einer Vertäfelung abgedeckt worden, die anscheinend aus dunklem, ungeschliffenem Holz bestand, und entlang der drei Innenwände waren niedrige Möbel und Regale aus demselben Material verteilt. Der Raum war mit Büscheln von Duftpflanzen geschmückt, und die Beleuchtung reproduzierte den gedämpften orangefarbenen Schein des gogleskanischen Sonnenlichts, das durch hohe Zweige fiel. Khones Unterkunft war so heimisch, wie es die Techniker für Umweltbedingungssysteme des Hospitals nur hatten bewerkstelligen können, wenngleich die Gogleskanerin ohnehin zu schüchtern war, um sich über irgend etwas zu beklagen, außer über die plötzliche und unmittelbare Annäherung eines Fremden.

Als ein schüchternes Wesen, das ständig Angst hatte und außerordentlich neugierig war, hatte Prilicla sie beschrieben.

„Ist es dem Auszubildenden Lioren gestattet, sich die medizinischen Aufzeichnungen über die Patientin und Ärztin Khone anzusehen?“ fragte er in der vorgeschriebenen unpersönlichen Form. „Das dient lediglich der Absicht, die Neugier zu stillen, nicht, eine medizinische Untersuchung durchzuführen.“

Wie ihm Prilicla mitgeteilt hatte, durfte ein Eigenname nur ein einziges Mal genannt werden, um sich bei der ersten Begegnung auszuweisen und vorzustellen, und mit Ausnahme eines etwaigen Schriftwechselverkehrs nie wieder erwähnt werden. Khones Körperbehaarung bewegte sich unruhig hin und her und stand einen Augenblick lang senkrecht vom Körper ab,

wodurch die kleine Gogleskanerin doppelt so groß erschien, wie sie in Wirklichkeit war. Außerdem wurden bei diesem Vorgang die langen, unter den Schutzkappen mit scharfen Spitzen versehenen Stacheln entblößt, die sich zuckend an die Wölbung des Unterkörpers schmiegten. Bei diesen Stacheln handelte es sich zwar um die einzigen natürlichen Waffen der Gogleskaner, doch das Gift, das sie absonderten, war für die Metabolismen sämtlicher warmblütigen Sauerstoffatmer augenblicklich tödlich.