„Etwas Schrecklicheres als das, was auf Cromsag passiert ist, gibt es nicht“, antwortete Lioren lauter als beabsichtigt.
„Dann ist die Gogleskanerin fast erleichtert, das zu hören“, sagte Khone. „Liegt es daran, daß der Tarlaner befürchtet, seine Äußerungen könnten an andere weitergegeben werden und Verlegenheit hervorrufen? Er sollte wissen, daß ein Arzt von Goglesk zu anderen nicht über solche Dinge spricht, bevor er nicht die Erlaubnis dazu erhalten hat. Der Auszubildende braucht also nicht beunruhigt zu sein.“
Einen Moment lang schwieg Lioren, da er dachte, seine vollkommene und bis zur Selbstaufgabe gehende Hingabe an die Heilkunst und die sich selbst auferlegte Disziplin, von denen sein bisheriges Leben bestimmt worden war, hätten ihm weder die Zeit gelassen noch die Neigung in ihm wachgerufen, emotionale Beziehungen anzuknüpfen. Erst nach der Verhandlung vor dem Militärgericht, als jeder Gedanke an einen weiteren Karrieresprung geradezu lächerlich und die Fortsetzung des Lebens zur grausamsten aller Strafen geworden war, hatte er damit begonnen, sich für Lebewesen auch aus anderen Gründen als allein aufgrund ihres Gesundheitszustands zu interessieren. Trotz ihrer seltsamen Gestalten und ihrer noch eigenartigeren Denkvorgänge hielt er einige von ihnen allmählich für Freunde.
Vielleicht gehörte diese FOKT auch dazu.
„Auf vielen Planeten sind die Ärzte einem ähnlichen Gesetz verpflichtet, aber trotzdem bedankt sich der Auszubildende“, sagte er. „Gewisse andere Informationen sind zurückgehalten worden, weil der Betreffende nicht möchte, daß sie verraten werden.“
„Das ist begreiflich und erweckt zusätzliche Neugier auf den Auszubildenden“, fahr Khone fort. „Hat denn das wiederholte Sprechen über diese Dinge die emotionalen Qualen, die durch den Vorfall auf Cromsag verursacht worden sind, verringert?“
Einen Augenblick lang schwieg Lioren; dann antwortete er: „In dieser Sache kann man unmöglich objektiv sein. Den Auszubildenden beschäftigen noch viele andere Dinge, so daß die Erinnerung zwar weniger häufig zurückkehrt, ihn aber nach wie vor bedrückt. Im Moment fragt sich der Auszubildende, ob die Gogleskanerin oder der Tarlaner besser in der Psychologie fremder Spezies geschult ist.“
Khone stieß einen kurzen, pfeifenden Laut aus, der nicht übersetzt wurde. „Der Auszubildende hat Auskünfte erteilt, die es einem bekümmerten Gemüt ermöglichen, den eigenen Sorgen für eine Weile zu entfliehen, denn auch der gogleskanischen Ärztin gehen Gedanken durch den Kopf, die sie lieber nicht hätte. Mittlerweile kommt ihr der tarlanische Besucher überhaupt nicht mehr eigenartig oder gar bedrohlich vor, nicht einmal in den entferntesten Winkeln des Unterbewußtseins, das nur empfindet und reagiert, aber nicht denkt, und dafür ist sie ihm etwas schuldig. Jetzt wird sie die Fragen des Auszubildenden beantworten.“
Lioren bedankte sich in unpersönlichen Worten und erkundigte sich erneut nach der Funktionsweise und besonders nach den Symptomen, die bei einem Versagen der telepathischen Fähigkeiten einer Gogleskanerin auftreten. Doch von ihren telepathischen Kräften zu hören bedeutete, im Grunde alles über die FOKTs zu erfahren.
Die Lage auf dem rückständigen Planeten Goglesk stellte das genaue Gegenteil der Situation auf Groalter dar. Die Föderation war schon immer nach dem Grundsatz vorgegangen, daß der intensive Kontakt mit einer technologisch eher unterentwickelten Zivilisation gefährlich sein konnte, weil man sich, wenn die Monitorkorpsschiffe und die Kontaktspezialisten wie aus heiterem Himmel auf die Planetenoberfläche fielen, nie sicher sein konnte, ob man den Bewohnern in technologischer Hinsicht eine erstrebenswerte Zukunft bieten oder bei ihnen einen vernichtenden Minderwertigkeitskomplex auslösen würde. Doch die Gogleskaner waren trotz ihrer Rückständigkeit in den Naturwissenschaften und ihrer verheerenden Rassenpsychose, die sie am Fortschritt hinderte, zumindest als Individuen psychologisch gefestigt, und ihr Planet hatte viele tausend Jahre lang keinen Krieg mehr erlebt.
Für das Korps wäre es die einfachste Lösung gewesen, sich zurückzuziehen, die gogleskanische Kultur so weitermachen zu lassen, wie sie es seit Beginn der Geschichtsschreibung getan hatte, und ihre Probleme als unlösbar abzuschreiben. Nichtsdestoweniger hatten die Spezialisten eins ihrer seltenen Zugeständnisse gemacht und einen kleinen Stützpunkt zur Beobachtung, langfristigen Nachforschung und begrenzten Kontaktaufnahme errichtet.
Der Fortschritt ist bei jeder intelligenten Spezies von der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Einzelwesen, Familien oder Stämmen abhängig. Auf Goglesk hatte jedoch schon immer jeder enge Kooperationsversuch zeitweilig einen starken Rückgang der Intelligenz, blinde Zerstörungswut und ernste körperliche Verletzungen zur Folge gehabt, so daß sich die Gogleskaner gezwungenermaßen zu einer Spezies von Individualisten entwickelt hatten, die nur für die Dauer des Zeitraums, in dem die Fortpflanzung möglich oder die Betreuung der Kleinkinder notwendig war, miteinander engen Körperkontakt aufnahmen.
Diese Umstände hatten sich den Gogleskanern vor der Entwicklung von Intelligenz aufgedrängt, als sie noch die Hauptnahrungsquelle sämtlicher Raubtiere gewesen waren, von denen es in den gogleskanischen Meeren wimmelte. Obwohl sie körperlich klein und schwächlich waren, konnten sie natürliche Angriffs- und Verteidigungswaffen entwickeln: Stacheln, die kleinere Lebensformen lähmten oder töteten, und lange Fühler auf dem Kopf, mit denen sie durch Berührung telepathischen Kontakt herstellen konnten. Wurden sie von großen Raubtieren bedroht, schlossen sie ihre Körper und Gehirne zusammen, bis sie die erforderliche Größe hatten, um mit ihren vereinten Stacheln jeden Angreifer zu töten.
Nach fossilen Funden auf Goglesk zu urteilen, hatten die FOKTs Millionen Jahre lang einen erbitterten Überlebenskampf gegen eine Spezies riesiger und besonders wilder Meeresraubtiere geführt. Den Sieg trugen am Ende die FOKTs davon, doch dafür hatten sie einen furchtbaren Preis zahlen müssen.
Um eins der gewaltigen Raubtiere einzukreisen und zu Tode zu stechen, hatten sich Hunderte von noch nicht intelligenten FOKTs körperlich und telepathisch zusammenschließen müssen. Bei jeder derartigen Begegnung waren sehr viele von ihnen umgekommen, zerrissen oder gefressen worden, und den sich daraus ergebenden Todeskampf, der sich bei jedem Sterbenden wiederholte, nahm aufgrund der telepathischen Verbindung jedes einzelne Mitglied der Gruppe am eigenen Leibe wahr. Daraufhin hatte sich ein natürlicher Mechanismus entwickelt, durch den dieses Leiden geringfügig verringert worden war, indem er die in der Gruppe telepathisch übertragenen Schmerzen durch die Entwicklung blinder Zerstörungswut abgeschwächt hatte, die sich unterschiedslos gegen alles richtete, was sich in der Nähe befand und kein FOKT war. Doch obwohl die Gogleskaner weit intelligenter und zivilisierter geworden waren, als es von einer primitiven Kultur, in der nur Ackerbau und Fischfang betrieben wurden, zu erwarten stand, wollten ihre in der Vorgeschichte erhaltenen seelischen Wunden nicht verheilen.
Das von Gogleskanern in Not ausgestoßene hohe akustische Signal, das einen Gruppenzusammenschluß einleitete, konnte weder bewußt noch unterbewußt verdrängt werden. Dieser Ruf, sich zusammenzuschließen, bedeutete nur eins: die Bedrohung durch äußerste Gefahr. Und das war selbst in der heutigen Zeit, wo derartige Bedrohungen nur eingebildet oder unbedeutend waren, nicht anders. Der Zusammenschluß führte zwangsläufig zur blinden Zerstörung von allem, was sich in unmittelbarer Nähe befand und die FOKTs als Individuen hatten bauen, schreiben, schaffen oder züchten können: Häuser, Fahrzeuge, Getreide, Vieh, technische Anlagen, Bücher und Kunstobjekte.
Aus diesem Grund erlaubten es die heutigen Gogleskaner, außer unter den Umständen, die Khone bereits erwähnt hatte, niemandem, sie zu berühren, sich ihnen zu nähern oder sie auch nur ansatzweise mit persönlichen Worten anzusprechen, während sie hilflos und — bis Diagnostiker Conway vor kurzem Goglesk besucht hatte — hoffnungslos gegen die ihnen von der Evolution aufgezwungenen Lebensbedingungen ankämpften.