Von Anfang an hatte Lioren das Gefühl gehabt, daß Khone etwas sehr bedrückte, auch wenn ihm die genaue Art ihres Problems immer noch unklar war. Da er keine Ahnung hatte, worum es sich drehte, konnte er natürlich auch keine Ratschläge erteilen.
„Der Tarlaner verhält sich vorsichtig und ausweichend“, stellte Khone fest.
„Da hat die Gogleskanerin recht“, stimmte ihr Lioren zu.
Es trat eine kurze Stille ein, und dann fuhr Khone fort: „Na gut. Die Gogleskanerin fürchtet sich und ist verzweifelt. Außerdem ist sie über den Teufel böse, der in den Köpfen der Gogleskaner lebt, sie pausenlos quält und sie in einem Zustand gefangenhält, der an Barbarei grenzt. Ihr wäre es lieber, nicht von den seelischen Krücken zu sprechen, durch die sich ihre Artgenossen trösten und sich selbst Mut machen, da sie als Ärztin die Wirksamkeit nichtmaterieller Heilmittel bezweifelt. Sie fragt nochmals: An welche Art Gott glaubt der Tarlaner?
Handelt es sich um einen großen, allwissenden und allmächtigen Schöpfer, der Leid und Unrecht zuläßt oder sich gar nicht darum kümmert?“ fragte Khone weiter, bevor Lioren antworten konnte. „Ist es ein Gott, der einige wenige Spezies mit unverdientem Unglück überhäuft, während er die meisten mit Frieden und Zufriedenheit segnet? Hat dieser Gott einsichtige oder sogar göttliche Gründe, solche schrecklichen Ereignisse wie die Vernichtung der Bevölkerung von Cromsag oder die Falle der Evolution, die die Beschützer der Ungeborenen gefangenhält, oder die furchtbare Plage, die er über die Gogleskaner verhängt hat, zuzulassen? Kann irgendeine in der Vergangenheit begangene Sünde so schwer sein, daß sie eine derartige Bestrafung verdient? Verfügt dieser Gott über Intelligenz, und hat er für ein solch offensichtlich dummes und unsittliches Verhalten moralische Gründe, und würde der Tarlaner sie bitte erklären?“
Darauf hat der Tarlaner keine Erklärungen, dachte Lioren, weil er wie Sie selbst ein Ungläubiger ist. Doch wie er instinktiv wußte, war das nicht die Antwort, die Khone hören wollte, denn wenn sie tatsächlich ungläubig war, wäre sie über den Gott, an den sie nicht glaubte, nicht so verärgert gewesen. Dies war der richtige Augenblick für nachsichtige Antworten.
20. Kapitel
„Wie schon erwähnt, wird der Tarlaner zwar Auskunft geben, aber nicht versuchen, den Glauben oder Unglauben anderer zu beeinflussen“, sagte Lioren leise. „Die Religionen auf den meisten Planeten der Föderation und der von ihren Anhängern verehrte Gott haben viele Gemeinsamkeiten. Bei diesem Gott handelt es sich, wie schon gesagt, um den allwissenden, allmächtigen und allgegenwärtigen Schöpfer aller Dinge, der außerdem für gerecht, barmherzig, mitleidsvoll und um das Wohl aller intelligenten Lebewesen, die er geschaffen hat, für zutiefst besorgt gehalten wird und der ihnen die Sünden, die sie begangen haben, vergibt. Nach allgemeinem Glauben gibt es dort, wo ein Gott ist, auch einen Teufel oder irgendein böses, weniger klar umrissenes Wesen oder eine Macht, die oder das ständig danach trachtet, Gottes Werk unter seinen denkenden Geschöpfen zunichte zu machen, indem dieses Böse sie zu verleiten versucht, sich so instinktiv wie die Tiere zu verhalten, von denen sie sich, wie sie selbst wissen, unterscheiden. Dieser ständige Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht, wird in jedem denkenden Wesen ausgetragen. Manchmal scheint der Teufel oder der Hang zu tierischem Verhalten, der in allen denkenden Wesen steckt, zu gewinnen und Gott sich nicht darum zu kümmern. Doch selbst auf Goglesk hat das Gute erste Siege über das Böse errungen, so klein sie auch sein mögen. Wäre das nicht der Fall gewesen, würde sich die gogleskanische Ärztin jetzt nicht hier aufhalten und Anweisungen zum Gebrauch der Klangverfälscher erhalten, die einen Gruppenzusammenschluß verhindern. Da es überdies heißt, Gott helfe selbst denen, die nicht an seine Existenz glauben.“
„Und er bestraft diejenigen, die das tun“, fiel ihm Khone ins Wort. „Bleibt immer noch die Frage: Wie erklärt der Tarlaner einen mitleidsvollen Gott, der eine derart große Grausamkeit zuläßt?“
Da Lioren keine Antwort darauf wußte, überhörte er die Frage einfach. „Oft heißt es auch, der Glaube an Gott sei eher eine Frage der Überzeugung als eines physikalischen Beweises und hänge nicht von der Intelligenz des Gläubigen ab. Gerade wenn die Denkfähigkeit schwach ist, sei der Glaube stärker und überzeugter. Demgemäß würden nur die relativ Dummen an das Metaphysische oder das Übernatürliche oder an ein Leben nach dem fleischlichen Tod glauben, während es die intelligenteren Lebewesen besser wüßten und nur an sich selbst, an die körperliche Realität, die sie rings um sich erfahren, und an ihre Fähigkeit glauben würden, sie zum Besseren hin zu verändern.
Für die Kompliziertheiten dieser äußeren Realität — von den Galaxien, die sich ins Unendliche erstrecken, bis hin zu den gleichermaßen komplizierten Mikrouniversen, aus denen sie bestehen — werden wissenschaftliche Erklärungen gefunden, die nur wenig mehr als intelligente Annahmen darstellen, die ständig abgewandelt werden. Am wenigsten überzeugend von allen sind die Erklärungen der Existenz von Lebewesen, die sich in dem Bereich zwischen Makro- und Mikrokosmos entwickelt haben, Geschöpfe, die denken und wissen und wissen, daß sie wissen, und die das große Ganze zu verstehen versuchen, von dem sie nichts als ein winziger Teil sind, während sie sich bemühen, es zum Besseren hin zu verändern. Für die wenigen aufgeklärten unter diesen Denkern gilt es als richtig, sich freundschaftlich gegeneinander zu verhalten und als Individuen, als Volk und als Spezies von verschiedenen Planeten zusammenzuarbeiten, damit für die Mehrheit der Lebewesen Frieden, Zufriedenheit und wissenschaftliche und philosophische Leistungen erzielt werden. Alle Wesen, Gruppen oder Gedankengebäude, die diesen Prozeß aufhalten, befinden sich nach dieser Auffassung im Unrecht. Doch für die Mehrheit dieser Denker stellen Gut und Böse abstrakte Begriffe und Gott und der Teufel nichts als den Aberglauben weniger intelligenter Köpfe dar.“
Lioren machte eine Pause und versuchte, sich einen Anstrich von Sicherheit zu geben, indem er sich bemühte, die richtigen, beruhigenden Worte zu einem Thema zu finden, bei dem er sich sehr unsicher fühlte. „Zum erstenmal in ihrer Geschichte ist die galaktische Föderation von einer hochgradig intelligenten und philosophisch fortschrittlichen, technologisch jedoch rückständigen Spezies kontaktiert worden, die sich ̃̄„Groalterri“
nennt. Dieser Kontakt ist indirekt hergestellt worden, da eine direkte geistige Verbindung nach der Überzeugung der Groalterri die philosophische Weltanschauung von Spezies, die sich bislang für äußerst intelligent gehalten haben, nachhaltig ins Wanken bringen würde. Passiert ist folgendes: Ein junger Groalterri hatte sich Verletzungen zugezogen, die die erwachsenen nicht behandeln konnten, und da haben sie das Orbit Hospital gebeten, diesen Groalterri als Patienten aufzunehmen. Gleichzeitig haben sie versichert, der junge Groalterri sei noch nicht so intelligent, daß die geistige Verbindung mit ihm zu psychologischen Schäden führen könne. Im Laufe der Gespräche mit diesem Patienten hat der Tarlaner unter anderem herausgefunden, daß es sich bei ihm und den hochgradig intelligenten erwachsenen Mitgliedern seiner Spezies keineswegs um ungläubige Wesen handelt.“