Khones Fell stand in steifen, borstigen Büscheln vom Körper ab, sie sagte jedoch nichts.
„Der Tarlaner ist sich des Folgenden nicht sicher und möchte nur eine Bemerkung machen“, fuhr Lioren fort. „Vielleicht durchlaufen alle Spezies eine Phase, in der sie glauben, sie wüßten auf alles eine Antwort, nur um schließlich zu einer richtigeren Erkenntnis des Ausmaßes ihrer Unwissenheit zu gelangen. Wenn die intelligenteste und philosophisch fortschrittlichste Spezies, die bisher von der Föderation entdeckt worden ist, an einen Gott und an ein Leben nach dem Tod glaubt, dann.“
„Es reicht!“ schnitt ihm Khone das Wort ab. „Um die mögliche Existenz eines Gottes geht es hier nicht. Die Frage, der der Tarlaner auszuweichen versucht, indem er andere und interessantere Themen zur Diskussion stellt, ist immer noch offen. Warum verhält sich dieser allmächtige, gerechte und mitleidsvolle Gott seinen Geschöpfen gegenüber so grausam und ungerecht? Für die Gogleskanerin ist die Antwort wichtig. Sie ist nämlich äußerst betrübt und verunsichert.“
Aber was genau glauben oder bezweifeln Sie denn? fragte sich Lioren ratlos. Wenn ich das nicht weiß, wie kann ich dann versuchen, Ihren Kummer zu lindern?
Da er nicht an den Nutzen von Gebeten glaubte, hoffte er verzweifelt auf eine Eingebung, doch bei allen Gesprächsthemen, die ihm einfielen, handelte es sich um die religiösen Überzeugungen anderer, die er sich kürzlich angelesen hatte.
„Von den Absichten und dem Verhalten des Gottes weiß der Tarlaner nichts, und er versteht sie auch nicht“, sagte er. „Der Gott ist der Schöpfer aller Dinge und muß daher über einen Verstand verfügen, der dem aller seiner Geschöpfe unendlich überlegen und viel komplexer ist. Doch gewisse Tatsachen sind in bezug auf dieses übernatürliche Wesen allgemein anerkannt, und die helfen vielleicht, ein Verhalten zu verstehen, das, wie die Ärztin bemerkt hat, sehr oft im Widerspruch zu dem steht, was für die Absichten des Gottes gehalten wird.
Beispielsweise wird geglaubt, dieser allwissende Schöpfer aller Dinge sei wie ein Elternteil um das Wohl jedes einzelnen Wesens in seiner Schöpfung besorgt, obwohl diese Liebe nach dem allgemeineren Glauben hauptsächlich seinen denkenden Geschöpfen vorbehalten ist“, fuhr Lioren fort. „Dennoch scheint er sich nur allzuoft nicht wie ein liebender, sondern wie ein verärgerter, unvernünftiger oder gleichgültiger Elternteil zu verhalten. Außerdem gibt es den weitverbreiteten Glauben, der Schöpfer verwirkliche seine Absicht bei allen denkenden Geschöpfen, ob sie nun an seine Existenz glauben oder nicht.
Ein weiterer von den Mitgliedern der meisten Spezies vertretener Glaube besagt, der Gott habe sie nach seinem eigenen Bild geschaffen und sie selbst würden eines Tages in einem zukünftigen Leben, das so viele Bezeichnungen trägt, wie es bewohnte Planeten gibt, mit ihrem Schöpfer glückselig bis in alle Ewigkeit zusammenleben. Dieser Glaube ist vielen Denkern besonders lästig, da er durch die Vielfalt der physiologischen Klassifikationen der intelligenten Lebensformen, auf die man in der bekannten Galaxis trifft, zu einer logischen und physikalischen Unmöglichkeit wird.“
„Der Tarlaner gibt keine Antwort, sondern formuliert dieselbe Frage neu“, sagte Khone plötzlich.
Lioren beachtete den Einwand einfach nicht. „Doch dann gibt es wieder welche, die mittlerweile einen anderen Glauben teilen und überzeugt sind, einen anderen Gott zu kennen. Die Vertreter dieser Richtung sind nicht so intelligent wie die Groalterri, deren Ansicht zu diesem Thema uns unbekannt ist und wahrscheinlich auch immer sein wird. Mit der Vorstellung, daß solch ein kompliziertes, aber auch perfekt geordnetes Gefüge wie das Universum rund um sie herum keinen Zweck hat und durch einen Zufall entstanden ist, waren sie nicht glücklich. Es hat sie gestört, daß es an ihrem Himmel wahrscheinlich mehr Sterne gegeben hat als einzelne Sandkörner an den Stranden rings um Goglesks Inselkontinent. Je mehr sie über die subatomare Unwirklichkeit herausgefunden haben, die die Grundlage der realen Welt bildet, desto mehr Hinweise hat es auf eine unermeßliche und komplexe Makrostruktur an den Grenzen der Auflösung ihrer empfindlichsten Teleskope gegeben, und das hat sie beunruhigt. Auch daß intelligente, sich selbst bewußte Lebewesen mit einer wachsenden Neugier und dem zunehmenden Bedürfnis, das Universum, in dem sie wohnen, zu erklären, entstanden sind, hat sie gestört. Sie haben sich zu glauben geweigert, daß solch ein gewaltiges, kompliziertes und wohlgeordnetes Gefüge zufällig entstanden sein könnte, folglich mußte es einen Schöpfer haben. Doch sie selbst sind ebenfalls Teil dieser Schöpfung gewesen, der einzige Teil, der sich aus sich selbst bewußten Lebewesen zusammengesetzt hat, Geschöpfen, die verstanden und wußten, daß sie verstehen, weshalb sie alles intelligente Leben für den wichtigsten Teil der Schöpfung gehalten haben, soweit es den Schöpfer betraf.
Das war keine neue Vorstellung, denn viele andere haben an einen Gott geglaubt, der sie erschaffen hat, sie liebt und über sie wacht, und der sie zur gegebenen Zeit zu sich nehmen wird“, fuhr Lioren fort. „Doch diese Gläubigen haben sich nun wieder durch die untypischen Taten des liebenden Gottes gestört gefühlt, weshalb sie ihre Vorstellung von seiner Absicht geändert haben, um das Verhalten des Gottes leichter erklären zu können.
Ihrem Glauben nach hat der Gott alle Dinge erschaffen, sie selbst eingeschlossen“, sagte Lioren langsam, „doch das Werk der Schöpfung ist noch nicht vollendet.“
Khone war so reglos und still geworden, daß Lioren ihre normalerweise geräuschvolle Atmung nicht mehr hören konnte. Er fuhr fort: „Das Werk sei noch nicht vollendet, behaupten sie, weil es mit der Erschaffung des Universums begonnen habe, das noch jung sei und möglicherweise nie vergehe. Wie genau es begonnen habe, sei nicht bekannt, doch im Moment enthalte es viele Spezies, die hohe Intelligenz entwickelt hätten und sich friedlich zwischen den Sternen ausbreiteten. Aber der Aufstieg vom Tier zum denkenden Wesen, der fortlaufende Schöpfungs- oder Evolutionsprozeß, sei, wenn man ein Ungläubiger ist, kein angenehmer Vorgang. Er ziehe sich lange hin, verlaufe langsam, und oft käme es zwischen denen, die ein Teil von ihm sind, zu unnötigen Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten.
Darüber hinaus sind die bestehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Physiologien und Umweltbedürfnissen ihrem Glauben nach unerheblich, da die Evolution — oder Schöpfung — zu gesteigertem Empfindungsvermögen und einer verminderten Abhängigkeit von spezialisierten Organen führt“, setzte Lioren seine Darstellung fort. „Als Folge davon werden sich die denkenden Wesen in ferner Zukunft über die momentane Notwendigkeit hinaus entwickelt haben, einen stofflichen Körper zu besitzen, der den Geist beherbergt. Dann werden sie unsterblich sein und sich zusammenschließen, um Ziele zu erreichen, die sich die heutigen halbtierischen Lebewesen nicht einmal vorstellen können. Sie werden gottähnlich und, wie ihnen verheißen wurde und ist, das getreue Ebenbild des Wesens werden, das sie erschaffen hat. Auch die Geister oder Seelen der geistig und philosophisch unreifen Lebewesen, die dieses Universum bewohnt haben und noch viele kommende Äonen bewohnen werden, sollen in dieser Zukunft an der Unsterblichkeit teilhaben und mit ihrem Gott eins sein, denn man hält es für philosophisch unsinnig, daß sich der Schöpfer aller Dinge der wichtigsten, wenn auch momentan unvollständigen Teile seiner Schöpfung entledigen sollte.“
Lioren machte eine Atempause, um Khones Reaktion abzuwarten; dann kam ihm noch ein weiterer Gedanke. „Die Groalterri verfügen über eine äußerst hohe Intelligenz und sind in irgendeiner Weise gläubig, wollen aber mit Wesen von geringerer Intelligenz nicht über ihren Glauben oder sonst etwas sprechen, damit sie keinem unreifen Verstand Schaden zufügen. Möglicherweise muß jede intelligente Spezies ihren eigenen Weg zu Gott finden, und die Groalterri haben schon eine größere Strecke zurückgelegt als der Rest.“