Wieder entstand ein langes Schweigen; dann fragte Khone sehr leise: „Ist das dann der Gott, an den der Tarlaner glaubt?“
Wie Lioren dem Ton der Gogleskanerin entnahm, hätte seine Antwort ̃̄„ja“ lauten sollen, denn er war sich jetzt sicher, daß es sich bei ihr um eine Zweiflerin handelte, die sich maßlos danach sehnte, ihre Zweifel zerstreuen zu lassen. Außerdem war ihm klar, daß er die Lage ausnutzen sollte, indem er die Patientin rasch beruhigte, wenn er die gewünschten Auskünfte zur Telepathie erhalten wollte. Doch ein Ungläubiger, der in der Hoffnung lügt, eine Zweiflerin zum Glauben zu verleiten, war unehrenhaft und unehrlich. Es war seine Pflicht, die Gogleskanerin soweit wie möglich zu beruhigen, aber lügen wollte er nicht.
Einen recht langen Augenblick dachte Lioren nach, und als er antwortete, stellte er mit Überraschung fest, daß er jedes einzelne Wort ernst meinte.
„Nein“, sagte er, „aber es bleibt ein Rest an Unsicherheit.“
„Ja, eine gewisse Unsicherheit bleibt immer“, pflichtete ihm Khone bei.
21. Kapitel
Liorens Antwort hatte Khone zufriedengestellt oder seine Zweifel in ihren Augen hinreichend untermauert, denn sie stellte ihm keine weiteren Fragen über Gott.
Deshalb wechselte sie das Thema und sagte: „Vorhin hat der Tarlaner von seiner Neugier bezüglich der organischen Struktur, die mit den telepathischen Fähigkeiten der Gogleskaner zusammenhängt, und der Gründe für einen möglichen Verlust oder für ein Nachlassen der Funktion gesprochen. Wie der Tarlaner bereits weiß, hat die einzelgängerische Veranlagung der gogleskanischen Lebensform die Entwicklung komplizierter Operationstechniken verhindert, und nur sehr wenige Ärzte haben sich dazu durchringen können, die Leiche eines Gogleskaners von innen zu untersuchen. Die vorhandenen Informationen sind spärlich, und jede zugefügte Enttäuschung wird bedauert. Doch es steht noch eine Schuld offen, und jetzt ist es Pflicht der Gogleskanerin, nicht mehr Fragen zu stellen, sondern sie zu beantworten.“
„Danke“, sagte Lioren.
Khones Haare zuckten, sträubten sich und stellten sich am ganzen Körper in langen, ungleichmäßigen Büscheln auf — ein deutliches Zeichen für die seelischen Anstrengungen, die die Gogleskanerin unternehmen mußte, um über persönliche Angelegenheiten zu sprechen. Doch wie Lioren rasch bemerkte, war diese körperliche Reaktion auch als eine veranschaulichende Geste gedacht.
„Zur Telepathie durch Berührung kommt es nur bei zwei Gelegenheiten“, klärte Khone ihn auf. „Als Reaktion auf einen Ruf nach Zusammenschluß innerhalb einer Gemeinschaft, wenn eine wirkliche, häufiger jedoch nur eingebildete Gefahr droht, oder zum Zweck der Fortpflanzung. Wie schon erwähnt wurde, kann dieser Notruf emotional äußerst leicht ausgelöst werden. Eine geringfügige Verletzung, ein überraschendes Ereignis, eine plötzliche Veränderung der normalen Umstände oder eine unerwartete Begegnung mit einem Fremden können diesen Mechanismus ungewollt in Gang setzen, woraufhin sich durch das Verflechten der Körperbehaarung und der telepathischen Fühler eine Gruppe bildet. Dieses durch Angst zur Raserei getriebene Gruppenwesen reagiert nun auf die wirkliche oder eingebildete Bedrohung, indem es alles zerstört, was sich in seiner unmittelbaren Nähe befindet und kein Artgenosse ist. Dabei ziehen sich einzelne Mitglieder der Gruppe Verletzungen zu. In solchen Momenten wird es durch den Geisteszustand unmöglich, objektiv zu beurteilen, wie gut oder schlecht die telepathischen Fähigkeiten funktionieren, da das Vermögen, nüchtern zu beobachten oder auch nur zusammenhängende Gedanken zu fassen, durch die Kurzschlußhandlung außer Kraft gesetzt wird.
Ganz bestimmt weiß der Tarlaner aus eigener Erfahrung, daß es bei der geschlechtlichen Vereinigung zwischen den beiden Partnern zu einem ähnlichen, aber sehr viel angenehmeren Aufruhr der Gefühle kommt. Doch in diesem Fall stellt die telepathische Verbindung der Gogleskaner sicher, daß die Beteiligten ihre Empfindungen miteinander teilen und sie doppelt so stark wahrnehmen. Geringfügige Veränderungen oder ein Nachlassen dieser Gefühle wären, falls überhaupt vorhanden, nur schwer festzustellen, und man kann sie sich im nachhinein auch nicht ins Gedächtnis zurückrufen.“
„Der Tarlaner verfügt auf diesem Gebiet über keinerlei Erfahrungen“, merkte Lioren an. „Von den Heilern auf Tarla, die einen Aufstieg in hohe Positionen ihres Berufsstands erwarten, verlangt man, auf derartige emotionale Zerstreuungen zu verzichten.“
„Dem Auszubildenden sei das tiefe Mitgefühl der Gogleskanerin versichert“, sagte Khone. Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Aber die Ärztin wird versuchen, die körperlichen Vorbereitungen und die telepathisch verstärkten emotionalen Reaktionen, die mit dem Geschlechtsakt der Gogleskaner zusammenhängen.“
Sie verstummte, weil jemand anders den Raum betreten hatte. Es handelte sich um eine weibliche DBDG, die das Abzeichen einer Oberschwester trug und einen kleinen Wagen mit einem Essensspender vor sich herschob.
„Entschuldigung für die Störung, die in der Hoffnung, dieses Gespräch wäre bald beendet, so lange wie möglich hinausgeschoben wurde“, sagte die Schwester. „Doch die Hauptmahlzeit der Patientin ist lange überfällig, und die für ihre Pflege verantwortliche Person bekäme harte Worte zu hören, wenn sie zulassen würde, daß eine Patientin verhungert, die sich bereits auf dem Wege der Besserung befindet. Falls der Besucher ebenfalls Hunger hat und bei der Patientin bleiben möchte, kann ihm Essen bereitgestellt werden, das für den Metabolismus der tarlanischen Lebensform vielleicht nicht gerade schmackhaft, so doch geeignet ist.“
„Sehr freundlich“, willigte Lioren ein, dem zum erstenmal zu Bewußtsein kam, wie lange er sich mit Khone bereits unterhalten hatte und wie hungrig er war. „Vielen Dank.“
„Dann sollte das weitere Gespräch so lange aufgeschoben werden, bis das Essen serviert worden ist, und damit eine sittsame Terrestrierin nicht in Verlegenheit gebracht werden kann“, schlug die Oberschwester vor, wobei sie das gedämpfte Bellen von sich gab, das ihre Spezies als ̃̄„Lachen“ bezeichnete.
Als die Oberschwester die beiden verlassen hatte, erinnerte Khone den Tarlaner daran, daß sie mehr als einen Mund besaß und folglich in der Lage war, gleichzeitig zu essen und Fragen zu beantworten. Inzwischen hatte Lioren noch einmal über alles nachgedacht und war zu dem Schluß gekommen, daß die Auskünfte der Gogleskanerin, so interessant sie an sich sein mochten, seine Kenntnisse über eine mögliche Funktionsstörung des organischen Sende- und Empfangsmechanismus der telepathischen Fähigkeiten bei dem Groalterri nicht vergrößern würden. In entschuldigenden und unpersönlichen Worten teilte er der Gogleskanerin mit, daß er die Auskünfte nicht mehr benötige.
„Das ist eine große Erleichterung und kränkt die Gogleskanerin keinesfalls“, stellte Khone dazu fest. „Doch sie steht nach wie vor in der Schuld des Tarlaners. Gibt es noch andere Fragen, deren Beantwortung vielleicht hilfreich wäre?“
Eine ganze Weile starrte Lioren Khone wortlos an und verglich den kleinen, aufgerichteten, eiförmigen Körper einer erwachsenen Gogleskanerin mit dem von dem kleinen Groalterri Hellishomar, dem Messerheiler, der bis auf den letzten Millimeter eine ganze Station ausfüllte, die groß genug war, um ein Ambulanzschiff aufzunehmen, und versuchte, eine erneute höfiche Ablehnung zu formulieren. Doch auf einmal war er so verärgert, enttäuscht und hilflos, daß es ihn große Anstrengung kostete, eine geeignete unpersönliche Formulierung zu finden.
„Es gibt keine weiteren Fragen“, antwortete er schließlich.
„Weitere Fragen sollte es eigentlich immer geben“, widersprach Khone. Die zu Stacheln aufgerichteten Haarbüschel sanken herab, und der Körper sackte auf den Muskelwulst, so daß Lioren die Enttäuschung der Gogleskanerin regelrecht spüren konnte. „Ist das der Fall, weil der ungebildeten Gogleskanerin die Intelligenz fehlt, um diese Fragen zu beantworten, und der Tarlaner jetzt gehen möchte, ohne weitere Zeit zu vergeuden?“