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Da war es nur natürlich, daß sie Hoffnungen und Träume hatten und schließlich an Lehren glaubten, die ihnen ein weiteres Leben verhießen und einen Himmel, in dem sie sich nicht zu plagen brauchten, keinen Hunger und keine Schmerzen zu erwarten hatten und keine Trennung von ihren Freunden erdulden mußten, und in dem sie für alle Ewigkeit leben würden.

„Da die erwachsenen Groalterri im Gegensatz dazu praktisch schon unsterblich sind, ist ihr Leben bereits lang genug, so daß eine weitere physikalische Ausdehnung auf ihrer Prioritätenliste nicht besonders weit oben steht“, setzte Lioren seine Ausführungen fort. „Wegen ihrer gewaltigen Körpergröße und des Mangels an Beweglichkeit lassen sie ihre Beutetiere durch telepathische Befehle oder dergleichen zu sich kommen, sie müssen sich also nicht damit abmühen, zu arbeiten oder zu jagen. Um sich zu verletzen, sind sie zu groß, und Krankheit und Schmerzen sind ihnen unbekannt, bis sie sich dem Lebensende nähern. Dann bitten sie die jungen Messerheiler, ihnen zu helfen, vor dem Tod, den Hellishomar als ̃̄„Flucht“ oder ̃̄„Zeit zu sterben“ bezeichnet, das Leben noch einmal zu verlängern.

Zuerst hatte ich das für den Fall eines langlebigen Wesens gehalten, das trotz der zunehmenden Schmerzen in den letzten Jahrzehnten vor dem Tod noch länger leben möchte, doch das wäre genau das Verhalten, das man von engstirnigen, selbstsüchtigen Lebewesen erwarten würde, und das sind diese Eltern nicht. Dann bin ich darauf gekommen, daß die letzten Jahre vor dem Tod, die die Kleinen ihrem Schwur gemäß möglichst lange hinziehen müssen, von den Eltern benötigt werden, damit sie so viel Zeit wie möglich haben, sich geistig vorzubereiten und sich dem, was sie in dem Leben nach dem Tode vorzufinden glauben, würdig zu erweisen.

Für den ungeheuren Verstand und die gewaltigen Körper der Groalterri stellt der Himmel vielleicht den Ort und Zustand dar, wo sie nach den Geheimnissen der gesamten Schöpfung suchen und sie schließlich auch entdecken können, und das, was sie sich dabei am meisten ersehnen, ist Beweglichkeit“, fuhr Lioren fort. „Die brauchen sie, um aus den riesigen, organischen Gefängnissen zu entkommen, die ihre Körper sind, und auch von ihrem Planeten, indem sie sterben. Möglicherweise sehnen sie sich danach, frei durch ein Universum zu fliegen, das unendlich groß ist und für ihren gewaltigen Verstand eine intellektuelle Herausforderung darstellt, die ebenfalls grenzenlos ist.“

O'Mara hob erneut eine Hand vom Tisch hoch, doch die Unterbrechung schien eher aus Höflichkeit als aus Ungeduld von ihm gewünscht zu sein. „Eine geistreiche Theorie, Lioren, die der Wahrheit vermutlich sehr nahe kommt“, lobte er ihn. „Allerdings verstehe ich immer noch nicht, wo Ihr Problem liegt.“

„Das Problem liegt in der Absicht, die die Eltern verfolgen, indem sie uns Hellishomar geschickt haben, und darin, wie ich mich später Hellishomar gegenüber verhalten soll“, antwortete Lioren. „Haben sie auf uns eingewirkt, ihn ans Orbit Hospital zu bringen, weil sie gehofft haben, wir könnten bei ihrem jungen Messerheiler vielleicht eine vollständige Heilung erzielen, wie es alle Eltern tun würden, die zutiefst um das Wohlergehen eines ihrer Nachkommen besorgt sind? Oder glauben sie vielmehr, wir seien womöglich nicht in der Lage, die infizierten Wunden zu behandeln, die damals lebensbedrohlich gewesen sind, und erst recht nicht, den Patienten als geistig Zurückgebliebenen zu erkennen? Hoffen sie, daß Hellishomar, der unfähig ist, sich geistig und seelisch weiterzuentwickeln, durch die Behandlung, die ihm hier zuteil wird, und die Wesen, denen er dabei begegnet, eine Erfahrung macht, die er eigenartig und anregend und erfreulich finden wird, bevor er in den unteren Himmel oder in die Vorhölle oder was auch immer kommt, das den wenigen geistig zurückgebliebenen Groalterri vorbehalten ist?

Hellishomar ist in telepathischer Hinsicht taubstumm, deshalb können ihm die Eltern nicht mitteilen, was sie beabsichtigen oder daß sie ihm die Sünde, die er zu begehen versucht hat, verziehen haben“, fuhr Lioren fort. „Auch können sie ihm nicht sagen, daß sie wegen seines Kummers Mitleid mit ihm haben und einfach ihr Bestes tun, die Qualen eines geistig Behinderten zu lindern, indem sie ihm Erinnerungen an das verschaffen, was für einen lebenden Groalterri eine einzigartige Erfahrung ist, nämlich den Heimatplaneten zu verlassen. Doch nach meiner Überzeugung ist der Patient um einiges intelligenter und hat eine viel strengere religiöse Selbstdisziplin, als den Eltern klar ist.

Hellishomar versucht, das Geschenk der Eltern zurückzuweisen.

Als er eingeliefert wurde, hat er keinen Widerstand geleistet, und bei der ersten Untersuchung und Behandlung hat er bloß die einfachen Bitten von Seldal und den Schwestern erfüllt“, setzte Lioren seine Ausführungen schnell fort. „Fragen zu seiner Person wollte er weder zulassen noch beantworten, und immer wieder hielt er für lange Zeit die Augen geschlossen. Erst als ich dem Patienten von mir erzählt habe und er feststellte, daß auch ich eine schwere Sünde begangen hatte und darüber immer noch verzweifelt gewesen bin und unter Schuldgefühlen gelitten habe, hat Hellishomar vorbehaltlos von sich gesprochen. Doch selbst dann mußte ich ihm noch versprechen, bestimmte persönliche Auskünfte nicht an andere weiterzugeben, und als ich versucht habe, über die Mitgliedspezies und die Planeten der Föderation zu sprechen, hat er große Unruhe an den Tag gelegt. Auf mein Angebot hin, ihm zur Veranschaulichung Bildmaterial zu zeigen, ist er sehr aufgeregt und besorgt geworden.

Ich verlange, oder, besser gesagt, schlage mit allem Nachdruck vor, seine Kontakte mit anderen Spezies weiterhin auf ein Minimum zu beschränken und ihm alle Nachrichten, die nichts mit der bevorstehenden Operation zu tun haben, vorzuenthalten, falls notwendig, indem man seinen Translator abschaltet und ihm die Augen bedeckt, wenn bislang unbekannte Lebensformen auf der.“

„Wieso?“ erkundigte sich O'Mara in scharfem Ton.

„Weil Hellishomar ein Sünder ist und sich selbst dieses ganz kurzen Einblicks in den Himmel für unwürdig hält“, antwortete Lioren. „Für den hochintelligenten und suchenden Verstand, der in dem großen und schweren Körper der Groalterri eingeschlossen ist, bedeutet der Tod den Himmel und insbesondere die Flucht aus der Gefangenschaft des Heimatplaneten. Das Orbit Hospital und all die verschiedenen Lebensformen, die sich in ihm aufhalten, sind ein Teil dieses wohlverdienten Lebens nach dem Tode.“

O'Mara entblößte die Zähne. „Dieses Hospital ist ja schon als so manches bezeichnet worden, aber bestimmt noch nie als Himmel. Wie ich es sehe, steht Hellishomar vor einem theologischen Problem, bei dessen Lösung wir ihm behilflich sein müssen. Daß Sie ein Problem haben, sehe ich allerdings immer noch nicht. Was genau macht Ihnen zu schaffen?“

„Unsicherheit und Angst“, antwortete Lioren. „Ich weiß nicht, was die Eltern beabsichtigt haben, als sie mit dem Verstand des Captains vom Schiff in der Umlaufbahn in Kontakt getreten sind. Diese telepathische Verbindung muß ihnen eine Menge über die Föderation verraten haben, doch die religiösen Begleiterscheinungen haben sie anscheinend nicht beachtet, denn sie haben Hellishomar ja hierherbringen lassen. Vielleicht ist die Theologie der erwachsenen Groalterri subtiler und liberaler als die Form, die sie den weniger fähigen Köpfen der Kleinen beibringen müssen, oder ihnen ist einfach nicht klar gewesen, was sie tun. Womöglich haben sie, wie schon gesagt, geglaubt, Hellishomar liege aufgrund der selbst beigebrachten Wunden im Sterben, und wollten ihn dieses kleine Stückchen Himmel erleben lassen, weil sie sich unsicher waren, welches Los einen geistig Behinderten im Leben nach dem Tod erwartete, und weil sie eine Spezies mit viel Mitgefühl sind. Oder vielleicht erwarten sie von uns, den Patienten von allen Gebrechen zu kurieren und ihn wieder zurückzuschicken, damit er seinen Platz unter den Eltern einnehmen kann. Doch was geschieht, wenn wir nur seine körperlichen Verletzungen heilen?

Es ist die Antwort auf diese Frage, die nur angst macht“, schloß Lioren, „und das ist das Problem, das mich derart in Schrecken versetzt, daß ich mich fürchte, es ohne fremde Hilfe zu lösen.“