„Es versetzt Sie in Schrecken? Wie denn?“ fragte O'Mara in der ruhigen, geistesabwesenden Art von jemandem, der die Antwort bereits selbst herausgefunden hatte.
„Auf vielen Planeten gibt es Beispiele für Propheten und Lehrmeister, die aus der Wildnis kommen, um einen Glauben zu verbreiten, der an der alten Ordnung rüttelt“, antwortete Lioren. „Auf Groalter gibt es keine Gewalt und keine Möglichkeit, einen religiösen Ketzer zum Schweigen zu bringen, der gegen die Worte der Älteren taub ist. Der geistig behinderte Hellishomar ist vielleicht von seinen neuen Kenntnissen so erfüllt, daß er sich nicht, wie von ihm erwartet wird, der freiwilligen Isolation unterwerfen kann. Statt dessen könnte er den unreifen Köpfen der jüngeren Kleinen das Wissen vermitteln, daß es im Himmel riesige Maschinen für Interstellarflüge und andere technologische Wunderwerke gibt, und daß das Universum von vielen verschiedenen kurzlebigen Spezies bewohnt wird, die häufig eine geringere Intelligenz und zweifellos ein von weniger moralischen Zwängen geprägtes Verhalten als die Groalterri aufweisen. Folglich könnten die Kleinen versuchen, durch die Nutzung ihrer begrenzten Technologie und der Ressourcen ihres Heimatplaneten Maschinen zu bauen, damit ein paar von ihnen die Möglichkeit bekommen, den Planeten zu verlassen, bevor sie das Erwachsenenalter erreichen, und dazu nicht erst auf ihr Lebensende zu warten brauchen. Die vielen, die nicht wegfliegen könnten, würden dagegen unter den Kleinen Unzufriedenheit stiften und die Ordnung ins Wanken bringen. Schlimmer noch, sie würden Hellishomars Lehren möglicherweise mit hinüber ins Erwachsenenalter nehmen, und das empfindliche physikalische und philosophische Gleichgewicht, das den Planeten und die Zivilisation der Groalterri viele tausend Jahre lang erhalten hat, wäre damit zerstört.
Die Cromsaggi habe ich bereits vernichtet“, schloß Lioren in kläglichem Ton, „und ich fürchte, in den Köpfen der fortschrittlichsten Zivilisation, die seit der Gründung der Föderation entdeckt worden ist, verursache ich eine noch größere Zerstörung.“
O'Mara setzte die Hände gegeneinander und blickte einen Augenblick lang auf sie hinunter, bevor er sprach. „Wir haben tatsächlich ein Problem, Lioren“, räumte er ein, wobei er das erste Wort sehr stark betonte. „Die einfache Lösung wäre, den Patienten zu verlieren, Hellishomar hier im Hospital sterben zu lassen, natürlich zum größeren Nutzen seiner Spezies. Doch das ist eine Lösung, die uns moralisch zweifelhaft erscheint, ein Relikt aus der Zeit vor der Entwicklung von Intelligenz. Wenn wir uns dieser vermeintlichen Lösung widersetzen, können wir uns der Zustimmung des gesamten Hospitalpersonals, des Monitorkorps, der Föderation und der groalterrischen Eltern sicher sein. Deshalb müssen wir für den Patienten alles tun, was in unseren Kräften steht, und hoffen, daß die Eltern ebenfalls gewußt haben, was sie taten, als sie Hellishomar zu uns geschickt haben. Einverstanden?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Chefpsychologe fort: „Der Vorschlag, daß Sie der einzige Verbindungsmann zum Patienten bleiben sollten, ist begründet. Während der Operation wird Hellishomar von allen anderen optischen und sprachlichen Verbindungen abgeschnitten werden, und ich selbst werde mich ganz bestimmt nicht an ihn wenden. Zumindest nicht direkt.
Sie haben hervorragende Arbeit geleistet, Lioren“, lobte ihn O'Mara in ungewohnter Manier. „Doch Ihnen fehlt meine Berufserfahrung oder — wie es Cha Thrat bestimmt ausdrücken würde — meine Kenntnisse über die hintergründigeren Beschwörungen. Sie wissen längst nicht alles, Lioren, auch wenn Sie sich manchmal so verhalten. Beispielsweise gibt es mehrere bewährte Methoden, die Verständigung und die freundschaftlichen Beziehungen zum Patienten einer fremden Spezies wiederherzustellen, der aus emotionalen Gründen den Kontakt abgebrochen hat.“
O'Mara verstummte und streckte, den Blick nach wie vor direkt auf Lioren gerichtet, eine Hand nach dem Kommunikator auf dem Schreibtisch aus. „Braithwaite, verlegen Sie die heutigen Verabredungen auf heute abend oder morgen früh. Gehen Sie aber diplomatisch vor; schließlich handelt es sich bei Edanelt, Cresk-Sar und Nestrommli um Chefärzte. Für die nächsten drei Stunden bin ich nicht hier.
Und jetzt, Lioren, rede ich, und Sie hören zu.“
24. Kapitel
„Die Umbauten an der Station, die für die Durchführung dieser Operation erforderlich sind, werden noch in dieser Stunde abgeschlossen sein, und das chirurgische Team hält sich schon bereit“, sagte Diagnostiker Conway laut genug zu Hellishomar, um über dem metallischen Lärm gewaltiger Ausrüstungsgegenstände, die an ihren Platz gebracht und an denen letzte Funktionskontrollen vorgenommen wurden, und den rufenden Stimmen hinweg verstanden zu werden. „Doch jede Untersuchung des Schädels bei einer neu entdeckten intelligenten Lebensform — und insbesondere bei einer Großlebensform wie Sie selbst — muß zwangsläufig eine Erforschung des Unbekannten darstellen und stellt einen hohen Risikofaktor dar. Aus anatomischen und medizinischen Gründen, nämlich aufgrund Ihrer schieren Körpergröße und Ihres Metabolismus, wird jegliche Einschätzung der benötigten Medikamentenmenge zur bloßen Raterei, so daß wir die Operation ohne Narkotika durchführen müssen.
Da solch ein Eingriff im vollkommenen Gegensatz zum üblichen Verfahren steht“, fuhr Conway in einem Ton fort, der alles andere als selbstsicher wirkte, „müssen sich Chefpsychologe O'Mara und ich davon überzeugen, daß es eher die psychologischen als die medizinischen Vorbereitungen sind, die wir abgeschlossen haben.“
Hellishomar sagte nichts. Wahrscheinlich hatte der Groalterri keine Ahnung von der lästigen Angewohnheit der Terrestrier, Fragen in Form von Aussagen zu stellen.
Bevor er fortfuhr, warf Conway einen raschen Blick auf die riesigen Öffnungen, die man ringsum in Boden, Decke und Wände geschnitten hatte, und auf die stark versteiften Träger für die Traktor- und Pressorstrahlenprojektoren, die über sie hinausragten. „Es ist unbedingt erforderlich, daß Sie sich während der Operation nicht bewegen, und Sie haben uns ja mehrmals versichert, daß Sie ruhig bleiben werden. Doch wenn man die Stärke der Schmerzen, die beim Eingriff verursacht werden, nicht kennt, und außerdem die Gefahr besteht, daß unsere Instrumente die Fortbewegungsmuskulatur stimulieren, wodurch unwillkürliche Körperbewegungen hervorgerufen werden könnten, ist das, bei allem Respekt, von einem Patienten, der bei vollem Bewußtsein ist, zu viel verlangt. Deshalb werden wir Sie durch den Einsatz breit gefächerter Traktor- und Pressorstrahlen vollkommen bewegungsunfähig machen, auch wenn das vielleicht, wie Sie uns versichert haben, gar nicht nötig ist.“
Einen Augenblick lang schwieg Hellishomar; dann sagte er: „Unter Betäubung werden von groalterrischen Messerheilern ohnehin keine Eingriffe vorgenommen, deshalb würde ich weder Ihre Vorgehensweise als anomal betrachten noch die Beschwerden, die mit dem wichtigen Zugangseinschnitt zusammenhängen. Außerdem haben Seldal, Lioren und Sie selbst mir versichert, bei den meisten Lebensformen, mit denen Sie medizinische Erfahrung haben, tiefe Eingriffe im Schädelbereich vornehmen zu können, ohne Beschwerden zu verursachen, da der durch die Dicke der Schädeldecke gewährte Schutz den Einsatz von Schmerzsensoren im Gehirn selbst überflüssig macht.“
„Das stimmt“, bestätigte Conway. „Doch die groalterrische Lebensform ist anders als alle anderen Spezies, mit denen das Orbit Hospital Erfahrung hat, darum ist nicht sicher, ob diese Umstände auch für Sie gelten.
Ein weiterer und wichtigerer Grund, weshalb wir keine Betäubungsmittel einsetzen, ist der, daß wir gezwungen sind, Sie während der Operation von Zeit zu Zeit um einen Bericht über die subjektiven Auswirkungen unseres Eingriffs zu bitten“, fuhr der Diagnostiker fort, bevor Hellishomar etwas sagen konnte. „Die hohe Strahlungsstärke des Scanners, die wir benötigen, um den Schädel zu durchdringen und das Innere zu erfassen und graphisch darzustellen, wird sich, auch wenn sie an sich harmlos ist, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die dortigen Nervennetze auswirken und zu einem.“