„All das hat mir bereits Lioren erklärt“, unterbrach ihn Hellishomar plötzlich.
„Und ich erkläre es Ihnen noch einmal, weil ich die Operation durchführe und mir absolut sicher sein muß, daß sich der Patient aller Risiken voll und ganz bewußt ist“, entgegnete Conway. „Ist das bei Ihnen der Fall?“
„Ja.“
„Na gut“, gab Conway nach. „Gibt es sonst noch etwas, das Sie über den Eingriff wissen wollen? Oder irgend etwas, das Sie sagen oder tun möchten, wozu auch durchaus gehören könnte, daß Sie Ihre Meinung ändern und die Operation lieber ganz absagen wollen? Denn das könnten Sie immer noch tun, ohne in unseren Augen an Selbstachtung zu verlieren. Offen gesagt, würde ich das sogar für eine kluge Entscheidung halten.“
„Ich habe zwei Bitten“, antwortete Hellishomar prompt. „Bald werde ich die erste Schädeloperation erleben, die jemals an einem Mitglied meiner Spezies vorgenommen worden ist. Sowohl als Messerheiler als auch als Patient bin ich an dem Eingriff höchst interessiert, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir während der Operation über einen Kanal des Translators Ihre Maßnahmen und die Gründe dafür beschreiben würden. Auf einem anderen Kanal werde ich mich gleichzeitig vielleicht mit Lioren unterhalten müssen, aber in vertraulichem Rahmen. Falls dieses Gespräch notwendig wird, darf niemand im Hospital unseren Wortwechsel mithören. Das ist meine zweite und wichtigere Bedingung.“
Sowohl der Diagnostiker als auch der Chefpsychologe wandten sich um und blickten Lioren an. Er hatte die beiden bereits vorgewarnt, daß Hellishomar einen derartigen Wunsch äußern und sich keineswegs mit einer abschlägigen Antwort abfinden würde.
In beruhigendem Ton sagte Conway: „Ich beabsichtige ohnehin, alle operativen Maßnahmen zu kommentieren und Bild und Ton für Ausbildungszwecke aufzuzeichnen, deshalb gibt es keinen Grund, weshalb Sie das nicht mithören sollten. Eine zweite Sprechverbindung können wir Ihnen ebenfalls zur Verfügung stellen, allerdings werden Sie die nicht selbst kontrollieren können, weil Ihre Greiforgane für den Betätigungsmechanismus zu groß sind. Ich schlage vor, beide Kanäle von Lioren steuern zu lassen und allen vertraulichen Mitteilungen, die Sie Lioren zu machen haben, seinen Namen voranzustellen, damit dann alle anderen von dem Gespräch ausgeschlossen werden können. Wäre das eine zufriedenstellende Lösung?“
Hellishomar antwortete nicht.
„Daß die Intimsphäre für Sie in solchen Momenten von großer Bedeutung sein kann, verstehen wir“, mischte sich plötzlich O'Mara ein, wobei er auf eins der gewaltigen geschlossenen Augen des Patienten blickte. „Als Chefpsychologe dieser Einrichtung besitze ich praktisch die Machtbefugnis eines Elternteils. Ich kann Ihnen versichern, Hellishomar, daß Ihre zweite Sprechverbindung privat und abhörsicher sein wird.“
Die Neugier des Chefpsychologen auf das, worüber Hellishomar und Lioren gesprochen hatten und noch sprechen würden, war einerseits persönlich, andererseits berufich, vor allem aber ungeheuer groß. Doch selbst wenn in O'Maras Stimme Enttäuschung mitgeschwungen hatte, war sie in der Übersetzung durch den Translator verlorengegangen.
„Dann wäre es mir lieb, wenn es jetzt mit möglichst wenig Verzögerung weitergehen würde, damit ich letztendlich nicht doch noch Diagnostiker Conways guten Rat befolge und meine Meinung ändere“, drängte Hellishomar.
„Doktor Prilicla, was meinen Sie dazu?“ erkundigte sich Conway leise.
„Die emotionale Ausstrahlung von Freund Hellishomar bestätigt seinen Entschluß, endlich fortzufahren, voll und ganz“, antwortete der Empath, der sich zum erstenmal am Gespräch beteiligte. „Unter diesen Umständen ist seine Ungeduld natürlich, und der Ausdruck des Zweifels an sich selbst ist vielleicht eher als indirekter Scherz und weniger als Unschlüssigkeit zu verstehen. Der Patient ist bereit.“
Eine starke Woge der Erleichterung brach über Lioren herein, die so heftig war, daß er sehen konnte, wie auch Prilicla davon ergriffen wurde. Doch das Zittern des Empathen war langsam und regelmäßig und den Bewegungen eines würdevollen Tanzes vergleichbar — der Beweis dafür, daß die emotionale Ausstrahlung angenehm und nicht schmerzhaft war. Obwohl der Cinrussker von O'Mara in jeder Phase beraten worden war, hatte er fünf Tage und fast genauso viele Nächte lang Argumente vorbringen müssen, die manchmal genau durchdacht, dann aber auch wieder rein emotional gewesen waren, um Hellishomars Zustimmung zur Operation zu bekommen. Erst jetzt wußte Lioren, daß der Chefpsychologe Erfolg damit gehabt hatte.
„Na gut“, sagte Conway. „Falls das Team bereit ist, fangen wir an. Doktor Seldal, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nun mit der Öffnung des Patienten beginnen würden.“
Die Instrumente, die für diesen riesigen Eingriff benötigt wurden — die Bohr- und Schneidemaschinen und Schläuche zum Absaugen, die so groß und schwer waren, daß sie teilweise eigens von jemandem bedient werden mußten — , hingen rings um die beteiligten Ärzte an ihrem Platz. Auf Lioren hatten die Vorbereitungen den Eindruck gemacht, sie würden eher irgendwelchen Bergwerksarbeiten als einem operativen Eingriff dienen. Doch die Worte des Diagnostikers waren ein weiteres Beispiel für einen indirekten Scherz, denn das Operationsteam war schon lange bereit und wartete, und Seldal war längst ausführlich über jenen Teil, den er in den einzelnen Phasen der Operation übernehmen sollte, instruiert worden.
Höflichkeit ist zwar ein Schmiermittel, das die Reibung vermindert, dachte Lioren, aber letztendlich vergeudet man nur Zeit damit.
Auch wenn Hellishomar einer riesigen Spezies angehörte und einen Kopf besaß, der selbst im Verhältnis zu seinem gewaltigen Körper groß war, versetzten Lioren die bloßen Ausmaße des Operationsfelds einen Schock. Der Hautlappen, der herausgeschnitten und zurückgeklappt wurde, um die darunter befindlichen Knochen freizulegen, war größer als sämtliche Läufer zusammengenommen, die überall in Liorens Unterkunft ausgelegt waren.
„Doktor Seldal stillt die Blutung unter der Haut, indem er die aufgeschnittenen Kapillargefäße abklemmt, die bei diesem Patienten eher Ähnlichkeit mit größeren Blutgefäßen haben“, sagte Conway gerade. „Währenddessen bohre ich senkrecht ein Loch durch den Schädel bis zur obersten Hirnhautschicht. An der Spitze des Bohrers sitzt eine an den Hauptmonitor angeschlossene Miniaturkamera, die uns zeigen wird, wann wir bis zur Oberfläche der Hirnhaut vorgedrungen sind. Da wären wir schon.
Der Bohrer ist aus dem Knochen herausgezogen worden, und jetzt wird eine Hochgeschwindigkeits-Stichsäge von der gleichen Länge in Aktion treten“, fuhr der Diagnostiker ein paar Minuten später fort. „Mit dieser Säge wird das ursprüngliche Bohrloch seitlich vergrößert, bis in der Schädeldecke eine runde Öffnung von ausreichendem Durchmesser entstanden ist, um es den Chirurgen, nachdem der dadurch erzeugte Knochenpfropfen entfernt worden ist, zu ermöglichen, in den Schädel einzusteigen und dort ungehindert zu arbeiten. Das war's. Der Pfropfen wird jetzt entfernt und bei mäßiger Temperatur gekühlt, bis wir ihn wieder einsetzen. Wie geht es dem Patienten?“
„Die emotionale Ausstrahlung von Freund Hellishomar läßt auf leichte oder auf ernsthaftere Beschwerden schließen, die er aber fest im Griff hat“, berichtete Prilicla umgehend. „Auch Gefühle wie Unsicherheit und Angst, die unter diesen Umständen normal sind, kann ich wahrnehmen.“
„Eine Antwort von mir ist anscheinend überflüssig“, merkte Hellishomar an, wobei er das Auge öffnete, das dem Bildschirm am nächsten war.