Daß es am Hospital beim gegenwärtigen Personal oder auch unter den zukünftigen Auszubildenden irgend jemanden gab, der nicht den Unterschied zwischen einem Scanner und einem Sensor kannte, konnte sich Lioren nicht vorstellen, und deshalb nahm er an, Conway hatte diesen Punkt für den Patienten erklärt.
„Wir hatten damit gerechnet, daß das Gehirn einer Großlebensform entsprechend der gewaltigen Körpermasse offener und gröber strukturiert wäre“, setzte Conway seine Ausführungen fort. „Wie wir jetzt erkennen können, bewegen sich zwar die Adern innerhalb der erwarteten riesigen Größenordnung, doch das Nervennetz scheint genauso dicht und fein strukturiert wie das eines Lebewesens von geringerer Körpergröße zu sein. Ich kann nicht. es übersteigt vollkommen meine Fähigkeiten, genau abzuschätzen, zu welchen geistigen Leistungen ein Gehirn von dieser Größe und Kompliziertheit fähig ist.“
Lioren starrte auf das vergrößerte Bild von Conways Händen, während sich diese langsam mit jeweils nach außen gedrehten Flächen nach vorne ausstreckten und dann seitwärts aus dem Blickfeld verschwanden, als schwämme der Diagnostiker unaufhörlich durch ein Meer aus Fleisch. Einen Augenblick lang versuchte er sich an Hellishomars Stelle zu versetzen, doch die Vorstellung eines weißen, glitschigen, zweiköpfigen Insekts, das in seinem Gehirn umherkroch, war dermaßen abstoßend, daß er ein plötzliches Ekelgefühl unterdrücken mußte.
Als Conway fortfuihr, wurde dessen Stimme unruhiger, und seine Atemgeräusche waren nun deutlicher als zuvor zu hören. „Weil wir uns nicht absolut sicher sein können, was unter diesen Umständen normal ist oder nicht, scheint die Untersuchung bislang keinerlei Anzeichen für eine strukturelle Abnormität oder Funktionsstörung ergeben zu haben. Durch den zunehmenden Druck der Wände des Spalts wird uns das Weitergehen allmählich immer mehr erschwert. Zuerst hatte ich diesen Umstand einer wachsenden Erschöpfung meiner Armmuskeln zugeschrieben, doch Seldal, der ja gar keine Arme besitzt, die ermüden könnten, stellt eine ähnliche Zunahme des Drucks auf die Außenfläche des Rucksacks fest, in dem er steckt. Übrigens halte ich das nicht für einen durch Platzangst hervorgerufenen psychosomatischen Effekt.
Unsere Beweglichkeit und das Blickfeld sind stark eingeschränkt“, fügte Conway hinzu. „Wir legen jetzt die Reifen an.“
Lioren verfolgte, wie sich Conway damit abmühte, den ersten Reifen über seinen und Seldals Kopf zu ziehen und ihn mit Hilfe des unglaublich biegsamen Halses des Nallajimers in Hüfthöhe in die richtige Lage zu bringen, bevor er das Ventil des Behälters mit der komprimierten Luft öffnete und den Reifen um sich herum aufblasen ließ. Auf Knie- und Schulterhöhe wurden zwei weitere Reifen aufgeblasen und durch in Längsrichtung verlaufende Distanzstücke zu einem hohlen, starren Zylinder verbunden. Nachdem diese erste Konstruktion aus drei Reifen fertig war, fügten die beiden Diagnostiker weitere Reifen und Distanzstücke hinzu, um das Gebilde nach vorne zu verlängern. Indem sie die Luft aus dem hintersten Ring ließen, ihn abnahmen und wieder ganz vorne befestigten und die Länge der Distanzstücke veränderten, konnten sie den hohlen Zylinder vorwärtsbewegen und in ihm in jede gewünschte Richtung gehen. Zudem ermöglichte die offene Konstruktion einen Rundumblick und vollkommene Bewegungsfreiheit zum Operieren.
Jetzt waren Conway und Seldal nicht mehr Schwimmer in einem beinahe festen Ozean, wie Lioren meinte, sondern Bergarbeiter, die durch einen Tunnel vordrangen, den sie mit sich führten.
„Bei der einen Wand des Spalts stoßen wir auf wachsenden Widerstand und zunehmenden Druck“, meldete Conway. „Das Zellgewebe auf der Seite scheint gleichzeitig gedehnt und zusammengedrückt zu sein. Dort und auch da drüben können Sie sehen, wo die BlützufUhr unterbrochen worden ist. Einige der Blutgefäße, in denen sich das Blut gesammelt hat, sind angeschwollen und andere eingeschrumpft und fast leer. Dabei handelt es sich offensichtlich nicht um einen natürlichen Zustand, und daß in diesem Bereich kein Wundbrand aufgetreten ist, deutet darauf hin, daß die Blutzirkulation zwar stark behindert, aber bislang nicht vollkommen unterbunden wird. Außerdem läßt die organische Anpassung, die hier bereits stattgefunden hat, darauf schließen, daß dieser Zustand schon seit langem besteht.
Um den Grund und die Quelle dieses Zustands herauszufinden, muß ich scannen“, fuhr Conway fort. „Ich werde den Handscanner nur kurz und mit minimaler Durchdringungsstärke einsetzen, und zwar jetzt. Wie fühlt sich der Patient?“
„Fasziniert“, antwortete Hellishomar.
Der Terrestrier stieß ein leises Bellen aus. „Vom Patienten werden keine emotionalen oder zerebralen Auswirkungen gemeldet. Ich werde es noch einmal mit ein bißchen höherer Durchdringungsstärke versuchen.“
Für einige Sekunden erschien Conways Scannerbild auf dem Hauptbildschirm, dann löste es sich wieder auf. Zur eingehenden Betrachtung wurde die Aufzeichnung als Standbild auf einen daneben stehenden Bildschirm übertragen.
„Der Scanner zeigt eine weitere Membran in einer Tiefe von annähernd achtzehn Zentimetern“, setzte Conway seinen Bericht fort. „Sie ist mehr als anderthalb Zentimeter dick, hat eine dichte, faserige Struktur und weist eine konvexe Wölbung auf, die einen kugelförmigen Körper von etwa drei Metern Durchmesser umschließen würde, wenn man sie mit gleicher Krümmung fortsetzte. Die darunter liegende Gewebestruktur ist mir im einzelnen noch nicht klar, sie zeigt jedoch einen deutlichen Unterschied zu denen, auf die wir bisher gestoßen sind. Vielleicht ist dies die Stelle, an der sich der Lappen befindet, der für die telepathischen Fähigkeiten verantwortlich ist. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten, die nur durch eine chirurgische Untersuchung und eine Gewebeanalyse auszuschließen sind. Doktor Seldal wird den Einschnitt durchführen und Gewebeproben entnehmen, während ich die Blutung stille.“
Der Hauptbildschirm zeigte eine Großaufnahme von Conways Händen, die wegen der Nähe zur Helmkamera riesengroß und verzerrt aussahen, als sie dem nallajimischen Chefarzt ein Skalpell über den Schnabel stülpten. Dann schob sich ein Zeigefinger vor, um die genaue Stelle und die Ausdehnung des erforderlichen Einschnitts zu bezeichnen.
Als Seldals Hinterkopf und Hals kurz das Operationsfeld verdunkelten, bewegte sich plötzlich ein verschwommener Fleck über den Bildschirm.
„Wie Sie sehen, hat der erste Schnitt die Membran nicht freigelegt, doch die Ränder der Wunde sind durch den dahinter bestehenden Druck so weit auseinandergedrückt worden, daß, wenn wir die Lage nicht entschärfen, indem wir den Schnitt sofort vergrößern, die ernste Gefahr besteht, daß er an beiden Enden aufreißt. Seldal, würden Sie ein bißchen tiefer schneiden und den. Oh, verdammt!“
Es kam, wie Conway es vorhergesehen hatte. Der Schnitt war an beiden Enden aufgerissen, und nun schwebten schwerelose Kügelchen aus Blut aus ihm heraus und verdunkelten das ganze Operationsfeld. Seldal hatte das Skalpell abgelegt, denn jetzt kam sein Schnabel ins Blickfeld, der das Absauggerät packte und es fachmännisch am Schnitt entlang- und in ihm herumbewegte, damit Conway die Blutung finden und stillen konnte. Innerhalb weniger Minuten lag die klaffende Wunde, die jetzt aufgerissene, unebene Ränder hatte und dreimal so lang wie ursprünglich war, wieder frei und enthüllte auf ihrem Boden eine lange, schmale Ellipse, die völlig dunkel war.
„Wir haben eine starke, biegsame und lichtabsorbierende Membran freigelegt und zwei Gewebeproben entnommen“, meldete sich der Diagnostiker wieder zu Wort. „Eine schicken wir Ihnen gerade zur näheren Untersuchung durch den Absaugschlauch nach draußen, doch die Anzeige meines Analysators deutet auf eine organische Substanz hin, die zu dem umliegenden Gewebe überhaupt nicht paßt. Ihre Zellstruktur ist eher für eine Pflanze charakteristisch als für. Was passiert denn jetzt, verdammt noch mal! Wir können spüren, wie sich der Patient bewegt. Er muß sich absolut reglos verhalten! Wir dürften uns eigentlich nicht an einer Stelle befinden, an der wir aus Versehen die Bewegungsmuskulatur stimulieren können. Hellishomar, was ist los?“