Die Worte des Diagnostikers gingen draußen in dem Tumult auf der Station unter, wo die Traktor- und Pressorstrahlenprojektoren optische und akustische Überlastungssignale von sich gaben, während sich die Techniker, die sie bedienten, abmühten, Hellishomars sich krümmenden Körper ruhigzuhalten. Der gewaltige Kopf des Groalterris warf sich von einer Seite zur anderen gegen die unsichtbaren Fesseln, und die Enden des Einschnitts rissen weiter auf und bluteten wieder. Prilicla wurde von einem Gefühlssturm geschüttelt, und alle Beteiligten schrien sich gegenseitig Fragen, Anweisungen oder Warnungen zu.
Doch es war Hellishomar, der sich — plötzlich und mit einem einzigen Wort — erfolgreich über den Lärm hinweg Gehör verschaffte.
„Lioren!“
25. Kapitel
„Ich bin hier“, meldete sich Lioren, nachdem er schnell auf den abhörsicheren Kanal geschaltet hatte. Doch die Laute, die der Patient von sich gab, wurden vom Translator nicht übersetzt.
„Hellishomar, hören Sie bitte auf, sich zu bewegen“, ermahnte ihn Lioren in eindringlichem Ton. „Sie könnten sich schwer verletzen, vielleicht sogar töten. Und andere auch. Was beunruhigt Sie? Bitte sagen Sie es mir. Haben Sie Schmerzen?“
„Nein“, antwortete Hellishomar.
Dem Patienten näher auseinanderzusetzen, daß er sich selbst umbringen könnte, war nach Liorens Dafürhalten reine Zeitverschwendung; schließlich war die Anwesenheit des Groalterris im Hospital auf den Versuch, genau das zu tun, zurückzuführen. Doch die Mahnung, andere zu gefährden, mußte trotz des inneren Aufruhrs bis zu Hellishomar durchgedrungen sein, denn die Heftigkeit seiner Gegenwehr ließ allmählich nach.
„Bitte, was beunruhigt Sie?“ hakte Lioren noch einmal nach.
Zunächst kam die Antwort langsam, als müßte jedes einzelne Wort erst eine dicke Mauer aus Angst, Scham und Selbstabscheu durchbrechen; doch dann sprudelten die Worte plötzlich in einem fast ununterbrochenen Schwall hervor, der all diese Hindernisse einfach überwand. Während er Hellishomar zuhörte, der ihm sein ganzes Herz ausschüttete, verwandelte sich Liorens anfängliche Verwirrung allmählich in Zorn und dann in Traurigkeit. Nach seiner Meinung war das alles hier vollkommen lächerlich. Wäre er ein Terrestrier gewesen, hätte er inzwischen über die Unwissenheit eines Angehörigen der intelligentesten Spezies, die die Föderation kannte, vor Lachen gebrüllt. Doch wenn Lioren seit seiner Mitarbeit in O'Maras Abteilung etwas gelernt hatte, dann die Tatsache, daß emotionale Qualen die subjektivste aller Erscheinungen darstellten und am schwersten zu lindern waren.
Aber hier hatte er es mit jemandem zu tun, der nach der groalterrischen Vorstellung von der Heilkunst medizinisch ausgebildet worden war. Es handelte sich um einen jungen und möglicherweise geistig zurückgebliebenen Messerheiler, dessen Erfahrung sich auf periphere, an alten Mitgliedern seiner Spezies vorgenommene Operationen beschränkte, und dieser Groalterri war nun zum erstenmal Zeuge eines Eingriffs am Gehirn, und zwar am eigenen. Unter diesen Umständen hielt Lioren Unwissenheit für verzeihlich, sofern sie eine vorübergehende Erscheinung blieb.
„Moment mal“, warf Lioren schnell in die erste kurze Pause in Hellishomars Wortschwall ein. „Hören Sie mir jetzt genau zu, beruhigen Sie sich und seien Sie vor allem still! Bei der schwarzen Wucherung in Ihrem Gehirn handelt es sich keineswegs um die stoffliche Verkörperung Ihrer Schuld, und sie wird auch nicht durch böse Gedanken oder irgendeine Sünde größer, die Sie begangen haben. Daß es sich um eine bösartige und gefährliche Geschwulst handelt, ist zwar wahrscheinlich, aber es ist nicht Ihr Charakter oder Ihre Seele oder irgendein Teil Ihres.“
„Doch!“ fiel ihm Hellishomar ins Wort. „Genau an der Stelle dieser Wucherung befindet sich mein Ich. Dort entspringen meine Gedanken und Gefühle, und auch meine schwere Sünde — der Selbstmordversuch — hat dort ihren Ursprung. Und die Wucherung ist so schwarz, daß es keine Hoffnung mehr gibt.“
„Nein“, widersprach Lioren in bestimmtem Ton. „Nach der Überzeugung aller intelligenten Lebewesen, die ich kenne, hat die Seele ihren Sitz im Gehirn, normalerweise ein kurzes Stück hinter den Sehorganen. Das glauben sie, weil die Seele sogar nach einem schweren Trauma oder einer Verstümmelung des Körpers unversehrt bleibt. Manchmal treten körperliche Schädigungen oder Krankheiten auf, die zu einer Veränderung der Persönlichkeit führen. Da eine solche Veränderung jedoch nicht willentlich herbeigeführt ist, kann der Betreffende nicht für sein späteres Verhalten verantwortlich gemacht werden.“
Hellishomar blieb stumm, und seine Körperbewegungen hatten sich soweit vermindert, daß die Überlastungslampen an den Traktorstrahlenprojektoren nicht mehr leuchteten.
Schnell fuhr Lioren fort: „Möglicherweise ist die Unfähigkeit Ihres Gehirns, sich bis zu dem Punkt zu entwickeln, an dem die direkte geistige Verbindung mit den Eltern hergestellt werden kann, auf einen genetischen Defekt zurückzuführen. Vielleicht waren die Vergehen, die Sie sich zuschreiben, aber auch Folge einer Erkrankung oder Verletzung des Gehirns, und jetzt könnten die Gründe für diese unrechtmäßigen Gedanken und Taten gefunden worden sein. Sie müssen wissen, daß es sich bei der schwarzen Substanz, die Conway und Seldal freigelegt haben, nicht um Ihre Persönlichkeit handelt, weil die Seele, wie Sie mir selbst erzählt haben, unstofflich ist. Wenn die Eltern sterben und ihre Körper zerfallen und die Materie an den Planeten zurückgeben, dann — so haben Sie es mir jedenfalls selbst erzählt — verlassen deren Seelen Groalter, um mit ihrer endlosen Erforschung des Universums zu beginnen.“
„Während meine eigene Seele wie ein Stein im Schlamm des Meeresbodens versinkt, um für ewig in Dunkelheit zu verfaulen“, warf Hellishomar ein, wobei er erneut gegen die Traktor- und Pressorstrahlen anzukämpfen begann.
Lioren spürte, daß er die — wenn auch nur schwache — Kontrolle, unter die er die Lage gebracht hatte, verlieren würde, wenn er nicht schleunigst etwas sagte und die Diskussion von der Metaphysik auf die Medizin lenkte. Indem er eins seiner Augen auf den an der Seite stehenden Bildschirm richtete, auf dem die Ergebnisse von Conways Analyse angezeigt wurden, fuhr er fort: „Die Wucherung könnte sehr wohl auf dem Meeresgrund auf Ihrem Heimatplaneten verfaulen, wenn das der Ort ist, wo sie Ihrem Wunsch nach hin soll, doch es ist wahrscheinlicher, daß sie in einer Müllverbrennungsanlage im Orbit Hospital enden wird. Worum es sich bei diesem Gewebe genau handelt, weiß ich zwar nicht, aber es ist keinesfalls Ihre Seele oder sonst irgendein Teil von Ihnen. Es ist eine vollkommen fremde Substanz, eine pflanzliche Lebensform, eine Art Eindringling. Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich und denken Sie nach. Denken Sie vor allem als groalterrischer Messerheiler und Arzt nach und versuchen Sie, sich daran zu erinnern, ob Sie in Ihrer früheren Praxis schon auf etwas gestoßen sind, das dieser schwarzen Wucherung ähnelt. Denken Sie bitte sorgfältig nach.“
Mehrere Augenblicke lang schwieg Hellishomar und verhielt sich absolut reglos. Auf der Station herrschte wieder Ruhe, und Lioren konnte die Stimme von Conway hören, der gerade mitteilte, er stehe im Begriff, die Operation fortzusetzen.