„Warten Sie bitte, Doktor Conway und Doktor Seldal“, wandte Lioren rasch ein, indem er kurz auf den allgemeinen Kanal schaltete. „Ich habe womöglich wichtige medizinische Daten für Sie.“ Auf dem Hauptbildschirm signalisierten die Hände des Diagnostikers Zustimmung, und Lioren kehrte wieder auf den vertraulichen Kanal zurück.
„Hellishomar, bitte versuchen Sie, sich alles ins Gedächtnis zurückzurufen, was dieser schwarzen Wucherung ähnelt, egal, ob es sich dabei um die Erinnerung an eine Erfahrung aus jüngster Zeit oder um weniger zuverlässige frühe Kindheitserinnerungen oder auch nur um die Erfahrungen anderer handelt, die auf Hörensagen beruhen“, forderte er den Groalterri erneut auf. „Können Sie sich daran erinnern, mit einer solchen Wucherung in Berührung gekommen zu sein oder eine Verletzung erlitten zu haben, die sich nicht unbedingt im Schädelbereich befunden haben muß, es der Wucherung jedoch ermöglicht haben könnte, in den Blutkreislauf einzudringen?“
„Nein“, antwortete Hellishomar knapp.
Lioren dachte kurz nach. „Wenn Sie sich an solche Vorfälle nicht erinnern, ist es dann möglich, daß Sie sich diese Krankheit als ganz kleines Kind zugezogen haben, so daß Sie sich womöglich gar nicht daran erinnern können? Fällt Ihnen vielleicht irgendeine spätere Bemerkung eines mit Ihrer Betreuung beauftragten älteren Kleinen ein, daß Ihnen etwas Derartiges zugestoßen ist? Möglicherweise hat es die betreffende Person zu der Zeit nicht für wichtig gehalten oder erst etwas davon erwähnt, als Sie schon größer gewesen sind.“
„Nein, Lioren“, unterbrach ihn Hellishomar. „Sie versuchen, mir weiszumachen, diese widerliche Wucherung in meinem Gehirn sei nicht das Resultat falschen Denkens, und das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber wie ich Ihnen bereits gesagt habe, werden nur die sehr alten Eltern von Krankheiten befallen, die Kleinen jedoch niemals. Wir sind kräftig, kerngesund und völlig immun. Die unsichtbaren Angreifer, von denen Sie mir erzählt haben, sind nicht der Rede wert, und diejenigen, die so groß sind, daß man sie sehen kann, werden wie etwas Lästiges behandelt und einfach weggewischt.“
Lioren hatte gehofft, durch die Fragen an den Patienten etwas Nützliches für Conway und Seldal herauszufinden, doch er kam überhaupt nicht voran. Gerade wollte er den beiden Ärzten signalisieren, mit der Operation fortzufahren, als ihm plötzlich ein anderer Gedanke kam.
„Diese Plagegeister, die Sie wegwischen“, sagte er. „Bitte erzählen Sie mir alles, was Ihnen zu denen einfällt.“
Hellishomars Antworten klangen zwar höflich, aber äußerst ungeduldig, als hätte er geahnt, daß die Absicht des Tarlaners einzig und allein darin bestand, seine Gedanken auf andere Dinge zu lenken, und daß die Antworten unwichtig waren. Doch nach und nach gewannen Hellishomars Antworten an Bedeutung, und Liorens Fragen wurden präziser. Langsam verwandelte sich Liorens früheres Gefühl der Hoffnungslosigkeit in Aufregung und zunehmende Besorgnis.
„Nach allem, was Sie mir erzählt haben, bin ich mittlerweile davon überzeugt, daß es sich bei dem Plagegeist, den Sie als ̃̄„Hautstecher“ bezeichnen, um die eigentliche Ursache für Ihre Schwierigkeiten handelt, doch möchte ich jetzt keine Zeit damit vergeuden, erst Ihnen und dann dem Operationsteam meine Gründe für diese Annahme zu erläutern“, sagte Lioren in dringendem Ton. „Eine letzte Frage habe ich allerdings noch. Erlauben Sie mir, mit den anderen darüber zu sprechen? Natürlich werde ich denen nicht alles erzählen, was wir besprochen haben, und nichts von Ihren Gedanken und Ängsten, nur die Einzelheiten Ihrer Beschreibung der Hautstecher und von deren Verhalten.“
Subjektiv schien eine sehr lange Zeit ohne irgendeine Antwort von Hellishomar zu verstreichen. Lioren konnte Conway, Seldal und das Hilfspersonal miteinander sprechen hören. Zwar wurde der Wortwechsel durch Liorens Kopfhörer gedämpft, aber ihre Ungeduld war offensichtlich. Er versuchte es noch einmal.
„Hellishomar, wenn meine Theorie stimmt, könnte Ihr Leben in Gefahr sein, und der Gehirnschaden wird Ihnen mit Sicherheit die Fähigkeit nehmen, in Zukunft noch einen einzigen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Bitte, ich brauche schnellstens Ihre Antwort.“
„Die Messerheiler in meinem Kopf befinden sich ebenfalls in Gefahr“, stellte Hellishomar fest. „Informieren Sie die anderen auch darüber.“
Ohne sich die Zeit zu einer Antwort zu nehmen, schaltete Lioren auf den allgemeinen Kanal und begann zu sprechen.
Obwohl er sich aufgrund der geringen Menge an Informationen, die ihm der Patient gegeben hatte, nicht absolut sicher sein konnte, teilte Lioren den beiden Ärzten mit, er habe keinerlei Zweifel, daß die eigentliche Ursache für die schwarze Wucherung im Gehirn in der Verseuchung durch eine Spezies von parasitären pflanzlichen Schädlingen liege, die von den Groalterri als ̃̄„Hautstecher“ bezeichnet und von ihnen eher für eine regelmäßig wiederkehrende Plage als für eine lebensgefährliche Bedrohung gehalten wurden. Wie Lioren weiterhin berichtete, sei über den Lebenszyklus oder den Fortpflanzungsmechanismus der Hautstecher nichts bekannt, weil sie einfach entfernt werden konnten, indem sie der belästigte Groalterri mit den Greiftentakeln abwischte oder sich mit der befallenen Hautstelle an einem Baum rieb. Zudem habe eine Spezies von der enormen Körpergröße und dem begrenzten Geschick der Groalterri weder den Wunsch noch die Fähigkeit, die Gewohnheiten einer fast mikroskopisch kleinen pflanzlichen Lebensform zu untersuchen.
Die Hautstecher waren schwarz und kugelförmig und von einer pflanzlichen, klebrigen Schicht überzogen, die es ihnen ermöglichte, sich an den Körper des Wirts zu heften und ihren einzelnen Saugrüssel auszustrecken, wobei sie immer noch so klein blieben, daß sie mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen seien. Um mit großer Geschwindigkeit zu der Größe heranzuwachsen, in der sie sich zu einer Plage entwickelten und entfernt wurden, benötigten sie lediglich eine organische Nahrungsquelle sowie Licht und Luft. Vernichtet werden konnten sie, indem man sie zwischen harten Flächen zerquetschte oder verbrannte, und nachdem sie vom Körper entfernt worden waren, trocknete der Rüssel, der einen dünnflüssigen Inhalt hatte, rasch aus und fiel aus der Wunde, die er gebohrt hatte, heraus.
„Nach meiner Theorie ist dieser Fall durch das Eindringen eines einzelnen Hautstechers verursacht worden, der sich entweder durch eine kleine Schramme, an die sich der Patient nicht mehr erinnert, Zugang in den Körper verschafft hat oder durch den Einstich, den der Rüssel eines früheren und erfolglosen Hautstechers hinterlassen hat“, fuhr Lioren fort. „Dann ist er mit dem Kreislauf durch den Körper befördert worden, bis er im Gehirn steckengeblieben ist. Dort hat er zwar über eine praktisch unerschöpfliche Nahrungsquelle verfügt, doch — abgesehen von der winzigen Sauerstofffmenge, die er aus dem Blut aufnehmen konnte, mit dem das umliegende Zellgewebe versorgt wird — nicht über das Licht und die Luft, die sein Metabolismus für ein optimales Wachstum benötigte. Deshalb ist seine Wachstumsgeschwindigkeit gebremst worden, aber er hat sehr viele Jahre, nämlich die ganze äußerst lange Jugend eines Groalterris über Zeit gehabt, um zur gegenwärtigen Größe heranzuwachsen.“
Als Lioren zu Ende gesprochen hatte, hätte die Station bis auf das langsame und fast lautlose Schlagen von Priliclas Flügeln ein Standbild sein können. Conway reagierte als erster.
„Eine geniale Theorie, Lioren“, lobte der Diagnostiker den Tarlaner. „Und während Sie sich diese Information von Hellishomar beschafft und mit ihm darüber diskutiert haben, ist es Ihnen auch noch gelungen, unseren Patienten zu beruhigen. Das war eine reife Leistung. Doch ob Ihre Theorie nun zutreffend ist oder nicht — und ich glaube durchaus, daß sie richtig ist — , müssen wir die Operation wie ursprünglich geplant fortsetzen.“
Als Conway fortfuhr, wechselte sein Tonfall unmerklich von dem eines persönlichen Gesprächs zum Stil eines Vortragenden, der Auszubildende oder Schüler unterrichtet. „Das fremde Gewebe, das wir vorläufig als einen weit über das normale Maß hinaus angewachsenen groalterrischen Hautstecher identifiziert haben, wird in ganz kleinen Stücken herausgeschnitten werden, deren Umfang sich nach dem maximalen Mündungsdurchmesser des Absauggeräts richtet. Um das zu bewerkstelligen, werden viele Stunden geduldiger, sorgfältiger Arbeit notwendig sein, insbesondere in den späteren Phasen, falls Teile der Wucherung an gesundem Gehirngewebe haften. Außerdem werden wir hin und wieder Ruhepausen einlegen oder uns von anderen Chirurgen ablösen lassen müssen. Da sich bei dem Patienten seit seiner Ankunft im Hospital jedoch keine Beeinträchtigung oder Verschlechterung der Denkvorgänge gezeigt hat und die Wucherung schon seit sehr langer Zeit vorhanden ist, kann ihre Entfernung zwar als notwendig, aber auch als keineswegs dringlich erachtet werden. Wir werden also in der Lage sein, uns all die Zeit zu nehmen, die wir brauchen, um sicherzustellen, daß die.“