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Jetzt haben wir die Innenfläche der Membran vollständig freigelegt“, fuhr der Diagnostiker fort. „Wir zerschneiden sie in schmale Streifen, die vom Absauggerät aufgenommen werden können. In dieser Phase wird die Operation zwangsläufig langsam und sorgfältig durchgeführt, weil wir die Membran vom darunter liegenden Gehirngewebe ablösen und es vermeiden müssen, weitere Schäden zu verursachen. Es ist äußerst wichtig, daß der Patient weiterhin vollkommen reglos bleibt.“

Seit beinahe drei Stunden meldete sich Hellishomar erstmals wieder zu Wort. „Ich werde mich nicht bewegen“, versprach er.

„Danke“, entgegnete Conway.

Weitere Zeit verstrich — für das Operationsteam schlich sie dahin, und für die Zuschauer schien sie geradezu endlos zu sein — , bis schließlich jegliche Aktivität auf dem Hauptbildschirm zum Erliegen kam und sich der Diagnostiker wieder meldete.

„Wir haben jetzt die letzten Reste des Hautstechers entfernt“, berichtete Conway. „Wie Sie sehen können, sind die Gehirnwindungen, die von der Wucherung gegeneinander gepreßt worden sind, einem starken Druck ausgesetzt gewesen, doch wir haben keinerlei Anzeichen für Wundbrand gefunden, der auf eine Beeinträchtigung der örtlichen Blutzirkulation zurückzuführen wäre, die genaugenommen nun langsam wieder zunimmt. Zwar ist es gefährlich, eindeutige Erklärungen zum Gesundheitszustand einer bislang unbekannten Lebensform abzugeben oder eine Prognose zu stellen, die auf unvollständigen Werten beruht, doch meiner Ansicht nach ist das Gehirn nur in ganz geringem Maße geschädigt worden. Zudem müßte sich dieser Zustand — vorausgesetzt, er ist nicht auf Erbfaktoren zurückzuführen — von selbst korrigieren, wenn der Druck, der diese Operationshöhlung künstlich aufrechterhält, allmählich auf Null reduziert wird. Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun. Sie gehen als erster, Lesk-Muog“, schloß Conway in forschem Ton. „Seldal, hüpfen Sie wieder in den Rucksack. Wir werden uns zurückziehen und hinter uns alles verschließen.“

Lioren verfolgte auf dem Hauptbildschirm, wie die Ärzte langsam denselben Weg zurückgingen, und machte sich Sorgen. Die Operation war erfolgreich abgeschlossen worden, und die große Menge fremden Gewebes im Gehirn des Groalterris hatte man entfernt, aber war das wirklich der einzige Grund für Hellishomars Probleme gewesen? Schließlich hatte der Groalterri diesen bösartigen Hautstecher den größten Teil seines Lebens im Gehirn sitzen gehabt und hätte nie ein äußerst angesehener Messerheiler werden können, wenn es zu einer Beeinträchtigung der Muskelkoordination gekommen wäre. War es nicht, wie Conway es bereits angedeutet hatte, sehr viel wahrscheinlicher, daß die fehlenden telepathischen Fähigkeiten und die daraus resultierende seelische Anspannung einem nicht zu behandelnden genetischen Defekt zuzuschreiben und somit unheilbar waren? Lioren blickte sich nach Prilicla um, weil er ihn fragen wollte, wie es dem Patienten ging, erinnerte sich dann jedoch, daß der für Emotionen empfängliche Cinrussker gezwungen gewesen war, die Station zu verlassen. Der gesamten cinrusskischen Spezies mangelte es an Durchhaltevermögen, und ihre Mitglieder mußten häufig Ruhepausen einlegen.

Lioren hatte das Gefühl, Hellishomar die Frage lieber selbst zu stellen, anstatt darauf zu warten, bis der Patient ihm seine Seelenqualen kundtat, indem dieser seinen Namen rief. Doch auf einmal hatte er vor der möglichen Antwort zuviel Angst. Conway und Seldal hatten mittlerweile wieder den massiven Knochenpfropfen eingesetzt, den Hautlappen auf dem Schädel vernäht und zogen sich bereits die Operationsanzüge aus, doch Lioren konnte sich immer noch nicht dazu durchringen, Hellishomar die bewußte Frage zu stellen.

„Ich danke Ihnen, Seldal und Lesk-Murog, und natürlich auch allen anderen Mitarbeitern“, sagte Conway, wobei er sich nach allen Richtungen umblickte, um das gesamte Operations- und technische Hilfspersonal mit einzubeziehen. „Sie haben sehr gute Arbeit geleistet. Und insbesondere Sie, Lioren, indem Sie dafür gesorgt haben, daß sich der Patient nicht bewegt hat, als es am notwendigsten war, und weil Sie die Wachstumseigenschaften des Hautstechers herausgefunden haben und uns rechtzeitig vor den Auswirkungen von Licht und Luft gewarnt haben. Das war eine hervorragende Leistung. Ich persönlich halte Ihre Begabungen in der psychologischen Abteilung für vergeudet.“

„Ich nicht“, widersprach O'Mara heftig. Dann fuhr der Chefpsychologe, als schämte er sich des Kompliments, das er Lioren gemacht hatte, fort: „Der Auszubildende ist aufsässig, hat einen Hang zur Heimlichtuerei und besitzt die ärgerliche Neigung, selbst.“

Lioren.

Alle lauschten O'Mara, und niemand schien etwas gehört zu haben. Unwillkürlich streckte Lioren die Hand nach seinem Kommunikator aus, um auf den vertraulichen Kanal zu schalten, wobei er sich verzweifelt fragte, welche tröstenden Worte er um alles in der Welt für dieses riesige Wesen finden könnte, das abermals alle Hoffnung verloren haben mußte. Dann hielt er plötzlich mit dem Finger auf dem Schalter inne, als ihm eine großartige und erfreuliche Erkenntnis kam.

Sein Name war zwar gerufen, aber nicht ausgesprochen worden.

26. Kapitel

Wieder handelte es sich um ein vertrauliches Gespräch, doch diesmal ohne das Jucken tief im Gehirn, das dem telepathischen Kontakt mit dem Beschützer des Ungeborenen vorausgegangen war. Die Antworten wurden schon gegeben, noch bevor die Fragen geäußert werden konnten, Hellishomars beruhigende Versicherungen vertrieben Liorens Sorgen, sobald sie in ihm aufstiegen, und die Nervenverbindungen zwischen Liorens Gehirn und den Zungenmuskeln wurden vollkommen überflüssig. Es war, als wäre ein System zum Austausch von Nachrichten, die bislang mühsam in Steintafeln gemeißelt worden waren, durch die gesprochene Sprache ersetzt worden, nur ging der Gedankenaustausch mit Hellishomar noch sehr viel schneller vonstatten.

Hellishomar, der Messerheiler, ehemals der Fehlerhafte, der Schwachsinnige, der telepathisch Taube, gehörte nicht mehr zu den Kleinen und war geheilt.

Eine klare, warme Woge der Dankbarkeit erfüllte ihn, die nur Lioren sehen und spüren konnte, und mit ihr erhielt der Tarlaner Kenntnisse, die unvollständig und vereinfacht waren, um seiner relativ primitiven Denkungsart keinen Schaden zuzufügen, und die er mit niemandem teilen durfte. Diejenigen, die zu der einzigartigen und wunderbaren Heilung des geistig behinderten Groalterris beigetragen hatten, sollten nicht mit Wissen belohnt werden, das ihre eigenen jungen Gehirne lahmlegen würde. Hellishomar war mit dem Verstand jedes denkenden Wesens im Orbit Hospital und auf den Schiffen, die es umkreisten, in Verbindung getreten und wußte, daß es so war.

Bei denjenigen, die zum Gelingen der Operation beigetragen hatten, wollte er sich einzeln und in mündlicher Form bedanken. Er würde ihnen mitteilen, daß es ihm gutging, in seinen Denkvorgängen bereits eine Wendung zum Besseren eingetreten war und er es kaum erwarten konnte, auf Groalter zurückzukehren, wo seine Genesung durch die größere körperliche Bewegungsfreiheit, die ihm das Orbit Hospital nicht bieten konnte, gefördert werden dürfte.

All das traf zwar zu, war aber nicht die ganze Wahrheit. Sie durften nicht erfahren, daß Hellishomar das Hospital schnell verlassen mußte, weil die Verlockung dortzubleiben und die Gedanken, das Verhalten und die Philosophien der abertausend Wesen zu erforschen, die zur Arbeit, zu Besuch oder zur Behandlung in dieses gewaltige Hospital kamen, fast unwiderstehlich war. Denn Lioren hatte recht gehabt, als er O'Mara erklärt hatte, daß das Universum hinter der Atmosphäre für die plumpen und an ihren Planeten geketteten Groalterri das Jenseits darstellte, für dessen Erkundung sie die gesamte Ewigkeit benötigen würden. Und das Orbit Hospital war für sie ein besonders faszinierender kleiner Teil des Himmels, der sie erwartete.

Damals war Liorens Besorgnis wegen der möglichen Auswirkungen von Hellishomars außerplanetarischen Erlebnissen auf die Zivilisation der übrigen Groalterri berechtigt gewesen. Doch jetzt kehrte Hellishomar nicht als ein Kleiner auf seinen Heimatplaneten zurück, dem es beschieden war, für den Rest seines Lebens ein telepathischer Taubstummer zu bleiben und durch ein ständig beeinträchtigtes Gehirn ein Krüppel zu sein. Statt dessen kam er im Vollbesitz seiner wiederhergestellten Kräfte zurück, als ein fast erwachsener Groalterri, der einzig und allein den Eltern von seinem wundersamen Erlebnis erzählen wollte. Wie diese auf die neuen Kenntnisse reagieren würden, über die er nunmehr verfügte, wußte er zwar nicht, doch waren die Eltern alt und sehr weise, und der Beweis, daß der Himmel tatsächlich so wunderbar war und sämtliche Vorstellungen gänzlich übertraf, und auch die Tatsache, daß ein kleiner Teil des Universums von kurzlebigen Wesen mit primitivem Verstand und fortschrittlicher Moral bevölkert war, dürfte den Glauben der Eltern wahrscheinlich stärken und sie veranlassen, sich noch angestrengter um die Vollkommenheit von Geist und Seele zu bemühen, die vor dem Sterben unbedingt erforderlich war.