Seit damals hatte ich gewissermaßen vorsätzlich versucht, nichts mehr zu empfinden, für niemanden. Mich nie wieder auf etwas einzulassen. Für mich allein zu sein, unnahbar und kalt. Ein Eisblock nach dem Sturm.
Ich hatte nichts unternommen, um den Wohnwagen zu verschönern und ihm in irgendeiner Weise meinen Stempel aufzudrücken. Ich glaubte auch nicht, daß ich das noch tun würde, da ich nicht das geringste Bedürfnis dazu verspürte. Ich wollte mich auf nichts einlassen. Nicht einmal auf einen Wohnwagen.
Und ganz bestimmt nicht auf Tyderman, Goldenberg, Annie Villars und Colin Ross.
Alle bis auf Goldenberg waren sie bei meinem nächsten Rennbahnflug dabei.
Ich hatte noch zwei Tage die Aztec geflogen und ein paar Manager zu ihrem allmonatlichen Besuch bei Tochterfirmen in Deutschland und Luxemburg chauffiert, aber am Samstag hatte Joe die Ersatz-Cherokee schließlich startklar, so daß ich mit ihr losziehen konnte. Der Kraftstoffdurchlaufmesser zeigte immer noch entschlossen auf Null, was leicht optimistisch war, aber der elektrische Fehler war ausgemerzt worden — keine Überbelastung mehr im Generator. Und falls sie jetzt immer noch eine Tragfläche hängenließ, so erstrahlte diese nun wenigstens in neuem Glanz. Die Kabine roch nach Seife und Raumspray, und sämtliche Aschenbecher waren geleert.
An diesem Tag sollte ich die Passagiere in Cambridge abholen, und obwohl ich eine Stunde vor der Zeit auf dem Flugplatz landete, war der Major bereits dort; er saß auf einem Stuhl in einer Ecke der Eingangshalle.
Ich sah ihn, bevor er mich sah, und als ich auf ihn zusteuerte, nahm er das Fernglas aus seinem Futteral und legte es auf den niedrigen Tisch neben sich. Das Fernglas war kleiner, als das Futteral vermuten ließ. Und wieder glitt seine Hand hinein, diesmal, um mit einem in Silber und Schweinsleder eingefaßten Flachmann herauszukommen. Der Major nahm einen Sechs-Sekunden-Schluck und schraubte dann mit einem sichtbaren Seufzer den Verschluß wieder zu.
Ich verlangsamte meinen Schritt und ließ ihm Zeit, das Fernrohr wieder zurück auf seinen Mutspender zu legen, bevor ich neben ihm stehenblieb und guten Morgen sagte.
«Oh. Guten Morgen«, sagte er steif. Er stand auf, schloß die Schnalle des Futterals, gab ihm einen kleinen Klaps und ließ es in die gewohnte Hab-acht-Stellung auf seinem Bauch schwingen.»Alles fertig?«
«Die anderen sind noch nicht da. Es ist noch früh.«
«Ah. Nein. Natürlich. «Er fuhr sich bedächtig mit der Hand über den Schnurrbart und nahm wieder seine militärisch stramme Haltung ein.»Keine Bomben heute, will ich doch hoffen?«
Das war nicht nur als Scherz gemeint.
«Keine Bomben«, versicherte ich.
Er nickte, ohne mir jedoch in die Augen zu sehen.»Sehr aufregend, diese Sache letzten Freitag. Sehr aufregend, wirklich. «Er hielt inne.»Wäre um ein Haar heute nicht mitgekommen, als ich hörte, daß Colin — ähm…«Er brach ab.
«Ich werde den ganzen Nachmittag im Flugzeug bleiben«, versprach ich ihm.
Der Major nickte noch einmal und mit Nachdruck.»Hatte Besuch von einem Burschen vom Handelsministerium. Wußten Sie das?«
«Man hat es mir gesagt.«
«Schätze, die waren auch bei Ihnen.«
«Ja.«»Die kommen ja ganz schön rum.«
«Sie sind sehr gründlich. Sie würden hundert Meilen weit fahren, um eine einzige Antwort auf eine einfache Frage zu bekommen.«
Er sah mich scharf an.»Sie sprechen wohl aus bitterer Erfahrung, wie?«
Ich war mir eines Gefühlsausbruchs in meiner Stimme gar nicht bewußt gewesen.»Hörensagen«, sagte ich.
Er brummte.»Verstehe nicht, warum die das nicht der Polizei überlassen.«
Das würden sie leider Gottes niemals tun, dachte ich. Es gab keine Polizei auf der Welt, die so hartnäckig war wie das britische Handelsministerium.
Annie Villars und Colin Ross kamen gemeinsam, erstere vollauf beschäftigt mit einem Überredungsversuch, der allerdings nicht fruchtete.
«Es würde mir schon reichen, wenn Sie zusagten, meine Pferde zu reiten, wann immer Sie können.«
«… zu viele Verpflichtungen.«
«Ich verlange ja kein großes Abkommen.«
«Ich habe meine Gründe, Annie. Tut mir leid, aber die Antwort heißt nein. «Er sagte das mit einer Endgültigkeit, die sie offensichtlich verblüffte und aufbrachte.
«Guten Morgen«, sagte sie geistesabwesend zu mir.»Morgen, Rupert.«
«Morgen, Annie«, erwiderte der Major.
Colin Ross hatte sich für enge, hellgraue Hosen entschieden und ein blaues Hemd mit offenem Kragen.
«Morgen, Matt«, sagte er.
Der Major machte einen Schritt nach vorn, drohend wie ein grimmiger Terrier.»Habe ich recht gehört? Sie haben Annies Vorschlag abgelehnt?«»So ist es, Major.«
«Warum?«fragte er gekränkt.»Unser Geld ist genauso gut wie das anderer Leute, und Annies Pferde sind immer fit.«
«Es tut mir leid, Major, aber die Antwort heißt nein. Wollen wir es doch einfach dabei belassen.«
Der Major machte ein beleidigtes Gesicht und ging mit Annie Villars fort, um festzustellen, ob die Bar bereits geöffnet hatte. Colin seufzte und ließ sich auf einen Holzstuhl fallen.
«Gott behüte mich«, sagte er,»vor Gaunern.«
Ich setzte mich ebenfalls.»Sie sieht für mich nicht nach einer Gaunerin aus.«
«Annie? Ist sie auch eigentlich nicht. Sie nimmt es nur eben nicht immer hundertprozentig genau. Nein, es ist dieser schräge Vogel Goldenberg, der mir nicht gefällt. Sie tut, was er sagt, und zwar viel zu oft. Von diesem Mann nehme ich keine indirekten Reitanweisungen entgegen.«
«Im Gegensatz zu Kenny Bayst?«meinte ich.
Er sah mich von der Seite an.»Ich sehe, es spricht sich langsam rum. Kenny denkt, er wäre aus der Sache raus. Und ich lasse mich gar nicht erst reinziehen. «Nachdenklich hielt er inne.»Ein Untersuchungsbeamter des Handelsministeriums hat mich neulich eigens besucht, um zu fragen, ob ich der Tatsache irgendeine Bedeutung beimesse, daß Kenny Bayst nicht in der Maschine gesessen hat.«
«Was haben Sie dazu gesagt?«
«Ich sagte, nein, dieser Tatsache messe ich keine Bedeutung bei. Und Sie?«
«Ich gebe zu, daß ich mir so meine Gedanken gemacht habe, weil er nach den Rennen tatsächlich einmal zum
Flugzeug hinübergegangen ist, und er hat bestimmt Mordgedanken gehegt, aber…«
«Aber«, pflichtete er mir bei,»wäre Kenny Bayst kaltblütig genug, um Sie und mich ebenfalls zu töten?«Er schüttelte den Kopf.»Nicht Kenny, das kann ich mir nicht vorstellen.«
«Und außerdem«, sagte ich und nickte,»hat er den Siedepunkt erst erreicht, nachdem er das Fünfzehn-Uhr-dreißig-Rennen verloren hatte, und wie sollte er wohl in kaum mehr als einer Stunde in Haydock eine Bombe auftreiben?«
«Er hätte sich schon vorher eine organisieren müssen.«
«Das würde bedeuten, er wußte, daß er das Rennen verlieren würde…«
«Ist schon vorgekommen«, erwiderte Colin trocken.