«Meine erste und letzte Bombe, hoffe ich«, sagte ich.
Sie schauderte.»Das war ganz schön knapp. Verdammt knapp.«
Colin schenkte den beiden einen Dubonnet ein und nahm sich selbst einen Whisky.»Bomben, Schlägereien — wirklich eine nette Einführung in den Rennsport.«
«Zur Abwechslung mal etwas Lebhaftes nach der Schädlingsbekämpfung«, sagte ich.
«Ist das denn so stumpfsinnig?«erkundigte sich Midge überrascht.
«Stumpfsinnig und gefährlich. Man langweilt sich zu Tode, wenn man sechs Stunden am Tag über irgendeinem riesigen Feld seine Bahnen zieht. Und alles im Tiefflug, verstehen Sie, so daß man eigentlich hellwach bleiben muß, aber nach einer Weile fängt man trotzdem an zu gähnen. Eines Tages wird man vielleicht unvorsichtig, berührt bei einer Kurve mit dem Flügel den Boden, kann eine teure Maschine abschreiben und macht sich damit beim Boß natürlich extrem unbeliebt.«
Nancy lachte.»Ist Ihnen das passiert?«
«Nein… Einmal bin ich in der Luft eine Sekunde lang eingeschlafen und zwanzig Fuß vor einem Hochspannungsmast wieder aufgewacht. Habe ihn um Millimeter verfehlt. Und dann gekündigt, solange noch alles heil war.«
«Machen Sie sich nichts draus«, sagte Midge.»Das nächste Flugzeug, das Sie in die Finger bekamen, haben Sie jedenfalls um so vorbildlicher zerlegt.«
Sie lachten alle zusammen, eine Familie, Geborgenheit.
Colin erzählte ihnen von der Aufregung um Kenny Bayst, und sie übertrafen einander in Mitleidsbekundungen, so daß ich mir wie ein Hochstapler vorkam — Colin brachte sich regelmäßig bis an den Rand der Erschöpfung, Midge war unheilbar krank, und alles, was ich aufzuweisen hatte, waren ein paar lächerliche blaue Flecken.
Das Abendessen bestand aus dem gebratenen Hühnchen, grünem Salat und mächtigen Käseecken als Dessert. Wir aßen in der Küche, die Ellbogen auf den scharlachroten Tisch gestützt, und nagten die Hühnerknochen ab. Einen so rundum befriedigenden Abend hatte ich seit vielen langen, quälenden Jahren nicht mehr erlebt.
«Woran denken Sie?«wollte Nancy wissen.»Genau jetzt, meine ich?«
«Ich schärfe mir gerade ein, von jetzt an regelmäßig in Cambridge flugunfähig zu werden.«
«Ach nein«, sagte Midge.»Machen Sie’s nicht so kompliziert. Kommen Sie einfach vorbei, wenn Ihnen der Sinn danach steht. «Sie sah ihre Schwester und ihren Bruder fragend an, und die beiden nickten.»Kommen Sie einfach her«, wiederholte sie.»Wann immer es sich ergibt.«
Die alte innere Warnung ließ sich vernehmen: auf nichts einlassen, nichts fühlen, kein Risiko eingehen.
Auf nichts einlassen.
Ich sagte:»Nichts lieber als das «und wußte nicht, ob ich es ernst meinte oder nicht.
Die beiden Mädchen räumten die Teller in eine Spülmaschine und machten Kaffee. Nancy goß sorgfältig etwas Sahne in ihre Tasse.
«Glauben Sie, die Bombe war wirklich für Colin bestimmt?«fragte sie plötzlich.
Ich zuckte die Achseln.»Ich weiß nicht. Sie hätte genausogut Major Tyderman gelten können oder Annie Villars, Goldenberg oder sogar Kenny Bayst, denn sie muß schon an Bord gewesen sein, bevor er beschloß, nicht mit uns zurückzufliegen. Vielleicht war sie aber auch dazu bestimmt, die Firma aus dem Geschäft zu bringen — also für Derrydown selbst, wenn Sie verstehen, was ich meine, denn im Falle von Colins Tod wäre Derrydown wahrscheinlich pleite gegangen.«
«Ich kann mir nicht vorstellen, warum irgend jemand den Wunsch haben könnte, Colin zu töten«, sagte Midge.»Na gut, manche Leute sind eifersüchtig auf ihn, aber Eifersucht ist eine Sache, fünf Menschen zu töten eine andere.«
«Und alle scheinen die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen«, brach es plötzlich aus Nancy raus.»Da läuft dieser verdammte Bombenleger frei herum, und niemand weiß, was er als nächstes tun wird. Und niemand scheint zu versuchen, das herauszufinden, um den Burschen dann hinter Schloß und Riegel zu bringen.«
«Ich wüßte nicht, wie man ihn aufspüren könnte«, sagte Colin.»Außerdem glaube ich nicht, daß er es noch einmal riskiert.«
«Oh, du — du und deine Vogel-Strauß-Taktik«, sagte sie bitter.»Geht es dir denn nicht in den Schädel, daß niemand einfach so ein Flugzeug in die Luft sprengt? Wer immer es getan hat, muß ein ungeheuer starkes Motiv gehabt haben, wie irrsinnig es auch immer gewesen sein mag, und da die ganze Sache schiefgegangen ist, muß dieses Motiv immer noch existieren und jemanden umtreiben. Und was soll wohl aus Midge und mir werden, wenn du beim nächsten Mal mit in die Luft fliegst?«
Ich sah den mitleidigen Blick, den Midge ihrer Schwester zuwarf, und begriff das Ausmaß von Nancys Angst. Eines Tages würde sie mit Sicherheit ihre Schwester verlieren. Der Gedanke, auch ihren Bruder zu verlieren, war ihr einfach unerträglich.
«Es wird nicht passieren«, sagte er ruhig.
Sie sahen ihn an und dann mich. Es entstand eine lange, eine sehr lange Pause. Dann nahm Midge den» Wunschknochen«, das Gabelbein des Hühnchens, und hielt ihn mir hin, damit ich daran zog. Als er entzweiging, hatte sie das längere Stück in der Hand.
«Ich wünsche mir«, sagte sie mit ernster Miene,»daß Colin aufhört, sich im Badezimmer die Zehnägel zu schneiden.«
Kapitel 7
Ich schlief auf einer Bettcouch in Colins Arbeitszimmer, einem kleinen Raum, der vollgestopft war mit Renntrophäen, Aktenschränken und Rennberichten. An allen Wänden hingen mehrere Reihen gerahmter Fotos von Pferden übereinander, die an Zielpfosten vorbeijagten, und von Besitzern, die ihre Tiere stolz zur Siegerehrung führten. Ihre Hufe donnerten während des größten Teils der Nacht durch meinen Schädel, aber gegen Morgen war alles wieder friedlich.
Colin brachte mir in dunklem, wollenem Bademantel eine Tasse Tee und gähnte. Er stellte die Tasse auf den kleinen Tisch neben der Bettcouch und zog die Vorhänge zurück.
«Undurchdringlicher Nieselregen«, bemerkte er.»Völlig unmöglich, daß Sie heute morgen fliegen, also können Sie es sich genausogut bequem machen und weiterschlafen.«
Ich schaute in den diesigen Regen. Ich war nicht böse drum.
«Ist mein freier Tag«, sagte ich.
«Trifft sich ja bestens.«
Er hockte sich auf die Tischkante.
«Fühlen Sie sich einigermaßen heute morgen?«
«Prima«, sagte ich.»Das heiße Bad hat Wunder gewirkt.«
«Gestern abend hatte man den Eindruck, als täte Ihnen jede Bewegung weh.«
Ich zog eine Grimasse.»Tut mir leid.«
«Unsinn. Bei uns sagt man einfach aua.«
«Das habe ich gemerkt«, erwiderte ich trocken.
Er grinste.»Jeder steht an einem Abgrund, jederzeit. Und Midge sagt Nancy und mir andauernd, daß sie, wenn wir nicht aufpassen, uns beide überleben wird.«
«Sie ist wunderbar.«
«Ja, das ist sie. «Er sah aus dem Fenster.»Am Anfang war es ein schrecklicher Schock. Schrecklich. Aber jetzt… Ich weiß nicht… Wir scheinen es akzeptiert zu haben. Wir alle. Sogar sie.«
«Wie lange…?«: fragte ich zögernd.
«Wie lange sie noch zu leben hat? Das weiß kein Mensch. Ist anscheinend ganz verschieden. Die Ärzte glauben, daß sie es jetzt seit ungefähr drei Jahren hat. Ziemlich viele Leute haben es wohl ungefähr ein Jahr, bevor es auffällig genug ist, um diagnostiziert zu werden; deshalb kann niemand sagen, wann es bei Midge angefangen hat. Manche Leute sterben ein paar Tage, nachdem sie es bekommen. Manche leben zwanzig Jahre damit. Heutzutage und bei den modernen Behandlungsmethoden heißt es, die durchschnittliche Überlebenszeit nach erstmaliger Diagnose liege bei zwei bis sechs Jahren, möglicherweise aber auch bei bis zu zehn. Wir haben zwei gehabt… Wir glauben einfach, daß es zehn sein werden… Und das macht die Sache viel leichter.«