Ich dachte ein wenig nach.»Es wirft wirklich ein anderes Licht auf die Dinge, nicht wahr?«
«Ich würde gern hören, wie Sie darüber denken.«
«Sie müssen dasselbe denken wie ich«, sagte ich.»Wenn man die Bombe zu jeder Stunde an jedem Tag — ja sogar in jeder Woche — zünden konnte, könnte sie jederzeit nach der letzten Wartung im Flugzeug untergebracht worden sein.«
Er lächelte dünn.»Und damit wären Sie halbwegs aus dem Schneider?«»Halbwegs«, pflichtete ich ihm bei.
«Aber nur halb.«
«Ja.«
Er seufzte.»Ich habe Sie mit dieser Sache überfallen. Ich möchte, daß Sie darüber nachdenken, daß Sie es aus jedem Blickwinkel betrachten. Ernsthaft. Dann sagen Sie mir, ob Ihnen irgend etwas dazu einfällt. Das heißt, wenn es Ihnen überhaupt wichtig genug ist, herauszufinden, was da passiert ist, um vielleicht zu verhindern, daß es wieder passieren könnte.«
«Sie glauben, es ist mir nicht wichtig?«
«Ich hatte diesen Eindruck.«
«Jetzt ist es mir wichtig«, sagte ich langsam,»wenn es um Colin Ross geht.«
Er lächelte.»Sie sind heute weniger wachsam als sonst.«
«Und Sie versuchen nicht, aus dem Hinterhalt auf mich anzulegen.«
«Nein…«Er war überrascht.»Sie beobachten scharf, nicht wahr?«
«Eher eine Frage der Atmosphäre.«
Er zögerte.»Ich habe jetzt das ganze Protokoll Ihrer Verhandlung gelesen.«
«Oh. «Ich spürte, wie mein Gesicht sämtlichen Ausdruck verlor. Er beobachtete mich.
«Wußten Sie«, sagte er,»daß jemand mit Bleistift eine höchst verleumderische Bemerkung darunter geschrieben hat?«
«Nein«, sagte ich. Wartete.
«Da steht, der Vorsitzende von Interport sei der unzweifelhaft zutreffenden Auffassung, der erste Offizier habe einen Meineid geleistet, und grobe Fahrlässigkeit des ersten Offiziers habe zu der gefährlichen Kursabweichung des Flugzeugs geführt, die Schuld habe also nicht bei Captain Shore gelegen.«
Überrascht und erschüttert wandte ich meinen Blick von ihm ab, schaute aus dem Fenster, fühlte mich auf absurde Weise entlastet und erleichtert. Wenn jeder, der das Prozeßprotokoll las, dieses Postskript ebenfalls lesen konnte, dann klebte an meinem Namen doch nicht soviel Schmutz, wie ich gedacht hatte. Jedenfalls nicht da, wo es drauf ankam.
Ohne Emotion sagte ich nun:»Der Kapitän trägt immer die Verantwortung. Gleichgültig, wer was tut.«
«Ja.«
Das Schweigen zog sich in die Länge. Ich löste meine Gedanken von den Ereignissen vor vier Jahren und meinen Blick von dem leeren Flugplatz.
«Ich danke Ihnen«, sagte ich.
Die Andeutung eines Lächelns war in seinem Gesicht erkennbar.»Ich wollte wissen, warum Sie nicht Ihre Lizenz verloren haben — oder Ihren Job. Es ergab für mich keinen Sinn, daß Sie weiterfliegen durften. Darum habe ich die Protokolle gelesen, um festzustellen, ob es einen Grund dafür gab.«
«Sie sind sehr gründlich.«
«Ist so meine Art.«
«Interport wußte, daß einer von uns log — wir beide sagten, der andere habe das Flugzeug in Gefahr gebracht —, aber ich war der Kapitän. Unweigerlich blieb die Sache an mir hängen. Und im Prinzip war es ja auch meine Schuld.«
«Er hat Ihren Anweisungen absichtlich zuwidergehandelt.«
«Und ich habe es erst gemerkt, als es schon fast zu spät war.«»So ist es… Aber er hätte deswegen nicht zu lügen brauchen.«
«Er hatte Angst. «Ich seufzte.»Angst um seine Karriere.«
Er ließ eine halbe Minute vergehen, bevor er weitersprach. Dann räusperte er sich und sagte:»Sie haben wohl keine Lust, mir zu erzählen, warum Sie die Südamerikaleute verlassen haben?«
Ich bewunderte seinen feinfühligen Auftakt.»Lücke in den Unterlagen?«meinte ich.
Seine Lippen zuckten.»Hmm, ja. «Pause.»Sie müssen natürlich nicht…«
«Nein«, sagte ich.»Trotzdem…«Eine Hand wäscht die andere.»Ich habe mich eines Tages geweigert zu starten, weil ich es für zu riskant hielt. Sie haben sich einen anderen Piloten genommen, der kein Risiko darin sah. Er ist gestartet, und nichts ist passiert. Und sie haben mich rausgeworfen. Das ist alles.«
«Aber«, sagte er verdutzt,»es ist doch das gute Recht eines Kapitäns, einen Start abzulehnen, wenn er ihn für zu riskant hält.«
«Da unten gibt es keine Pilotenvereinigung, die sich für die Rechte ihrer Mitglieder einsetzt. Sie sagten, sie könnten es sich nicht leisten, Kunden an andere Fluglinien zu verlieren, weil ihre Piloten Feiglinge seien. Oder etwas in der Art jedenfalls.«
«Gütiger Himmel.«
Ich lächelte.»Wahrscheinlich war die Interport-Sache der Grund für meine Weigerung, Risiken einzugehen.«
«Aber dann zogen Sie nach Afrika und gingen sie ein«, protestierte er.
«Nun ja… Ich brauchte dringend Geld, und die Bezahlung war phantastisch. Außerdem sind die moralischen
Verpflichtungen, wenn man Nahrungsmittel und medizinische Vorräte transportiert, nicht die gleichen wie bei der Beförderung von Passagieren.«
«Aber die Flüchtlinge und Verwundeten, die Sie rausgebracht haben?«
«Es war immer leichter, rauszufliegen als rein. Kein Problem, den Heimatflughafen zu finden, nicht wie das blinde Gesuche nach einer Dschungellichtung in tiefschwarzer Nacht.«
Er schüttelte verwundert den Kopf und gab mich als hoffnungslosen Fall auf.
«Wie sind Sie zu so etwas Langweiligem wie Schädlingsbekämpfung gekommen?«
Ich lachte. Hätte nie gedacht, daß ich mal vor dem Handelsministerium lachen könnte.»Dieser Krieg, in dem ich geflogen war, ging zu Ende. Man hat mir einen anderen, etwas weiter südlich, angeboten, aber ich schätze, ich hatte genug davon. Außerdem war ich damals schon fast wieder flüssig. Also bin ich wieder hierhergekommen, und die Schädlingsbekämpfung war das erstbeste.«
«Eine bewegte Laufbahn, könnte man sagen«, bemerkte er.
«Nichts Besonderes im Vergleich zu anderen.«
«Oh, ja. Das stimmt. «Er stand auf und warf seinen leeren Kaffeebecher in die Keksdose, die als Papierkorb diente.»Also gut… Sie denken ein wenig über diese Bombengeschichte nach?«
«Ja.«
«Wir melden uns wieder bei Ihnen. «Er fischte eine Visitenkarte aus seiner Innentasche.»Wenn Sie jedoch mit mir Kontakt aufnehmen wollen, können Sie mich unter dieser Nummer erreichen.«»In Ordnung.«
Er verzog das Gesicht.»Ich weiß, was Sie von uns halten müssen.«
«Nehmen Sie es nicht persönlich«, sagte ich.»Nehmen Sie es nicht persönlich.«
Kapitel 8
Den größten Teil der Woche flog ich, wohin man mich schickte, dachte über ferngesteuerte Bomben nach und verbrachte meine Abende allein im Wohnwagen.
Honey kam nicht wieder, aber als ich am Tag nach ihrem Besuch aus Rotterdam zurückkehrte, fand ich eine große Tüte mit Lebensmitteln auf dem Tisch vor: Eier, Butter, Brot, Tomaten, Zucker, Käse, Milchpulver, Suppenkonserven. Außerdem ein Sechserpack Bier und eine Notiz von Honey:»Zahlen Sie’s mir nächste Woche zurück.«
Kein schlechter Kerl, Honey Harley. Also gewöhnte ich mir das Essen wieder an. Die Macht der Gewohnheit.
Dienstag brachte ich Colin und vier andere Passagiere zu den Rennen in Wolverhampton; Mittwoch flog ich, nachdem das Handelsministerium sich verabschiedet hatte, einen Politiker nach Cardiff zur Streikversammlung einer Gewerkschaft; und am Donnerstag beförderte ich den Rennpferdtrainer zu verschiedenen Plätzen in Yorkshire und Northumberland, wo er sich einige Pferde ansah, die er vielleicht kaufen wollte.
Donnerstagabend machte ich mir ein Käse- und Tomatensandwich und eine Tasse Kaffee und aß es mit Blick auf die Pin-up-Girls, die sich an den Rändern schon ein wenig bogen. Nachdem ich mit dem Sandwich fertig war, löste ich die Klebestreifen und nahm sämtliche vollbusigen Damen ab. Die hervorstehenden Brustwarzen mit ihren schweren Ringen sahen mich vorwurfsvoll an wie