Der Nieselregen war jetzt nur noch ganz schwach, wie feiner Nebel. Wir standen schweigend am Flugzeug, wurden naß, warteten angespannt auf das Geräusch eines Motors, hielten Ausschau nach dem Schatten am Himmel. Die Sekunden tickten dahin. Annie Villars sah mich ängstlich an. Ich schüttelte den Kopf und wußte selbst nicht genau, was ich damit meinte.
Sie konnte nicht zu tief gegangen sein… auf dem Meer aufgeschlagen sein, in den Wolken die Orientierung verloren haben… sich unterhalb der Wolkendecke verflogen haben… immer noch in Gefahr sein.
So wie der Regen leise herabrieselte, sank auch mein Mut.
Aber sie hatte keinen Fehler gemacht.
Das Motorengeräusch war zuerst ein leises Sirren, wurde zu einem Summen und nahm schließlich einen eindeutigen Rhythmus an. Das rotweiße Flugzeug tauchte plötzlich rechts von uns am Himmel auf, und Nancy umkreiste ohne Schwierigkeiten den äußeren Rand des Feldes und kam gemächlich auf die Landebahn herunter.
«Oh…«, sagte Annie Villars und wischte sich zwei überraschende Tränen der Erleichterung aus den Augen.
Ambrose meinte verdrossen:»Na gut, das wäre also in Ordnung. Ich hoffe, jetzt können wir endlich nach Hause«, und stampfte mit schweren Schritten auf das Flughafengebäude zu.
Nancy rollte aus und brachte ihre Cherokee ein kleines Stück weiter zum Stehen. Colin kam auf die Tragfläche heraus, grinste breit in unsere Richtung und winkte.
«Der Kerl hat einfach keine Nerven«, sagte Kenny.»Keinen einzigen verdammten Nerv in seinem ganzen Körper.«
Nancy kam hinter ihm her, sprang auf den Asphalt hinunter und taumelte ein wenig, als sie auf ihren wackligen Knien landete. Ich ging auf sie zu. Nancy kam mir langsam entgegen, dann schneller, und schließlich rannte sie mit wehendem Haar und weit geöffneten Armen. Ich packte sie um die Taille, wirbelte sie durch die Luft, und als ich sie wieder abstellte, schlang sie ihre Arme um meinen Hals und küßte mich.
«Matt…«, rief sie halb lachend, halb weinend; ihre Augen strahlten, ihre Wangen brannten, das plötzliche Nachlassen der Spannung ließ sie bis in die Fingerspitzen hinein zittern.
Colin erreichte uns und klopfte mir auf die Schulter.
«Danke, Kamerad.«
«Bedanken Sie sich bei der R.A.F. Die haben Sie auf ihrem Radar gefunden.«
«Aber woher wußten Sie…?«:
«Lange Geschichte«, sagte ich. Nancy klammerte sich immer noch an mich, als würde sie sofort umfallen, wenn sie losließ. Ich machte das beste daraus, indem ich sie noch einmal küßte, diesmal aus eigenem Antrieb.
Sie lachte zittrig und ließ ihre Arme sinken.»Als du plötzlich da warst — ich kann dir gar nicht sagen — es war so eine Erleichterung.«
Annie Villars kam nun ebenfalls herbei und berührte sie am Arm, und sie drehte sich mit derselben hektischen Übererregung zu ihr um.
«Oh… Annie.«
«Ja, mein Kind«, sagte sie ruhig.»Was Sie jetzt brauchen, ist ein kräftiger Brandy.«
«Ich müßte mich eigentlich um die Maschine kümmern…«Sie schaute vage in meine Richtung und dann wieder zu ihrer Cherokee hinüber.
«Colin und Matt werden sich um alles kümmern.«
«Na gut…«Sie ließ sich von Annie Villars abführen, die ihre Haltung wiedergefunden hatte und jetzt unzweifelhaft das Kommando übernahm, wie es einem guten General anstand. Kenny, der andere Jockey und der Trainer folgten den beiden gehorsam.
«So«, sagte Colin.»Woher um alles in der Welt haben Sie gewußt, daß wir Sie brauchen?«
«Ich zeig’s Ihnen«, sagte ich.»Kommen Sie mit und sehen Sie sich’s an. «Wir gingen zurück zu der kleinen Cherokee, und ich kletterte auf den Tragflügel und legte mich quer über die beiden Vordersitze auf den Rücken, um unter die Instrumententafel sehen zu können.
«Was um alles in der Welt…?«:
Das Ding war da. Ich zeigte es ihm. Sehr sauber, sehr klein. Ein kleines Kunststoffpäckchen, das frei an einem Gummiband hin und her schwang, welches seinerseits am Kabel zum Hauptschalter hing. Etwas näher am Schalter war ein Draht des zweiadrigen Kabels blank: Die beiden durchtrennten Kupferenden ragten säuberlich aus der schwarzen Isolierung hervor.
Ich ließ alles, wo es war, und kletterte vorsichtig wieder auf die Tragfläche hinaus.
«Was ist das? Was hat das zu bedeuten?«
«Die Stromversorgung wurde sabotiert.«
«Um Himmels willen… Warum denn?«
«Das weiß ich nicht. «Ich seufzte.»Ich weiß nur, wer es getan hat. Dieselbe Person, die vor einem Monat die Bombe gelegt hat. Major Rupert Tyderman.«
Er sah mich verständnislos an.»Das ergibt keinen Sinn.«
«Nicht viel. Nein.«
Ich erzählte ihm, wie der Major die Bombe gezündet hatte, während wir sicher auf dem Boden standen, und daß er heute geglaubt hatte, ich flöge Nancys Cherokee und könnte mit den Schwierigkeiten fertig werden.
«Aber das. das heißt.«
«Ja«, sagte ich.
«Er versucht es so hinzustellen, als versuche jemand, mich zu töten.«
Ich nickte.»Während er gleichzeitig wie ein Schießhund aufpaßt, daß Sie überleben.«
Kapitel 11
Das Handelsministerium fiel über mich her wie ein Rudel hungriger Wölfe, und diesmal war es nicht der vernünftige, große Mann, dem ich im Mannschaftsraum gegenübersaß, sondern ein gedrungenes Individuum mit markantem Kinn und humorlosen Augen. Er lehnte es ab, Platz zu nehmen; stand lieber. Er hatte auch keinen schweigsamen Protokollanten mitgebracht. Er war buchstäblich eine Ein-Mann-Band, und er verstand sich auf Paukenschläge.
«Ich muß Sie auf die Luftverkehrsordnung von 1966 hinweisen. «Seine Stimme war abgehackt und kompromißlos, die in seinem Ministerium übliche Höflichkeit nur noch als hauchdünner Lacküberzug wahrnehmbar.
Ich ließ durchblicken, daß ich mit dem fraglichen Gesetzeswerk einigermaßen vertraut sei. Das war nicht weiter überraschend, denn es regelte auch die kleinste Kleinigkeit im Leben eines Berufspiloten.
«Uns ist mitgeteilt worden, daß Sie am letzten Freitag gegen Artikel 25, Paragraph 4 Absatz a und gegen Regel 8, Paragraph 2 verstoßen haben.«
Ich wartete, bis er fertig war. Dann sagte ich:»Wer hat Ihnen das mitgeteilt?«
Er sah mich scharf an.»Das tut nichts zur Sache.«
«War es vielleicht Polyplane?«
Unwillkürlich zuckten seine Augenlider.»Wenn uns ei-
ne Beschwerde zugeht, die glaubhaft gemacht werden kann, dann sind wir verpflichtet, dem nachzugehen.«
Die Beschwerde konnte glaubhaft gemacht werden, soviel stand fest. Die Zeitungen vom Samstag lagen an diesem Montagvormittag noch im Mannschaftsraum, allesamt mit Berichten über den letzten Anschlag auf Colin Ross’ Leben. Groß aufgemacht natürlich auf den Titelseiten und mit detaillierten Berichten von all meinen Passagieren, wie wir ihn hinaus über die offene See, unter die Wolkenuntergrenze von siebenhundert Fuß und schließlich nach Hause gebracht hatten.
Es gab nur ein Problem — es war gesetzeswidrig, mit zahlenden Passagieren an Bord einer einmotorigen Maschine wie der Six so niedrig übers Meer zu fliegen, wie ich es getan hatte, und auf einem Flugplatz zu landen, über dem die Wolkenuntergrenze tiefer als tausend Fuß lag.
«Sie geben zu, daß Sie gegen Artikel…«
Ich unterbrach ihn.»Ja.«