«Wie hätten Sie sich an ihrer Stelle gefühlt?«fragte ich.
Er gab mir keine Antwort. Er wußte es sehr gut. Als Pilot — als Geschäftsmann war er ein verdammter Narr.
Am Dienstagmorgen eröffnete er mir, daß Colin seinen Flug nach Folkestone an diesem Tag telefonisch abgesagt habe, daß ich aber trotzdem mit der Six hinfliegen müsse, um einen Besitzer und seine Freunde von Nottingham dorthin zu bringen.
Ich vermutete, daß Colin seine Absicht, in Folkestone zu reiten, geändert hatte und statt dessen in Pontefract starten würde, aber so war es nicht. Er war, wie ich feststellte, nach Folkestone geflogen. Und zwar mit Polyplane.
Ich merkte erst nach den Rennen, daß er da war, als er in einem Taxi zurück zum Flugplatz kam. Er stieg aus, wie üblich nach einem Rennen in erschöpftem Zustand, ließ seinen Blick über die Reihe wartender Flugzeuge schweifen und ging dann schnurstracks an mir vorbei zu der Polyplane-Maschine.
«Colin«, sagte ich.
Er blieb stehen, wandte sich mir zu und starrte mich an. Ohne jede Spur von Freundlichkeit, ohne die geringste Spur.
«Was ist los?«fragte ich verwirrt.»Was ist passiert?«
Er wandte seinen Blick von mir ab und fixierte die Polyplane-Maschine. Ich folgte seinem Blick. Der Pilot stand daneben und feixte. Es war derjenige, der sich geweigert hatte, Kenny Bayst zu helfen, und er hatte schon den ganzen Nachmittag nach Leibeskräften gegrinst.
«Sind Sie mit ihm gekommen?«fragte ich.
«Ja, das bin ich. «Seine Stimme war kalt. Seine Augen auch.
Ich war perplex.
«Ich verstehe nicht.«
Colins Gesichtsausdruck machte eine Wandlung durch — von kalt nach glühend heiß.»Sie — Sie — ich glaube, ich kann es nicht ertragen, mit Ihnen zu reden.«
Ein Gefühl von Unwirklichkeit lähmte meine Zunge. Ich sah ihn nur bestürzt an.
«Sie haben uns richtig schön auseinandergebracht… Oh, ich glaube wohl, daß das nicht Ihre Absicht war… Aber Nancy ist zu Hause ausgezogen, und ich habe Midge weinend in der Wohnung zurückgelassen.«
Ich war entsetzt.»Als wir am Sonntagvormittag aufbrachen, war alles gut…«
«Gestern«, sagte er tonlos.»Nancy hat es gestern herausgefunden, als sie zu einer Flugstunde zum Flugplatz ging. Es hat sie völlig umgehauen. Sie kam in furchtbarer Laune heim und tobte durch das ganze Haus, hat buchstäblich mit allem um sich geworfen, und heute morgen hat sie ihren Koffer gepackt und ist gegangen… Weder Midge noch ich konnten sie aufhalten, und Midge ist entsetzlich besorgt…«Er hielt inne, biß die Zähne zusammen und sagte:»Warum zum Teufel hatten Sie nicht den Mumm, es ihr selbst zu sagen?«
«Ihr was zu sagen?«
«Was?« Er steckte die Hand in die Tasche seiner fadenscheinigen Jeans und brachte einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt zum Vorschein.»Das hier.«
Ich nahm es entgegen. Faltete es auseinander. Spürte, wie die Ausdruckslosigkeit in meinem Gesicht die Oberhand gewann, und wußte, daß ich es nicht verbergen konnte.
Er hatte mir den schärfsten und vernichtendsten Bericht der Boulevardpresse über meine Verhandlung und meine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Lebens von siebenundachtzig Passagieren in die Hand gedrückt. Eine Eintagsfliege für das Publikum und lange vergessen. Aber unauslöschbar in den Akten und jedem zugänglich, der es ausgraben wollte.
«Das war noch nicht alles«, sagte Colin.»Er hat ihr auch erzählt, daß Sie bei einer anderen Fluglinie wegen Feigheit rausgeflogen sind.«
«Wer hat ihr das erzählt?«sagte ich begriffsstutzig. Ich hielt ihm den Zeitungsausschnitt hin. Er nahm ihn zurück.
«Spielt das eine Rolle?«
«Ja, das tut es.«
«Er verfolgte keine eigennützigen Ziele. Das ist es ja, was sie überzeugt hat.«
«Keine eigennütz. Hat er das gesagt?«
«Ich denke, ja. Was spielt das für eine Rolle?«
«War es ein Pilot von Polyplane, der es ihr erzählt hat? Zum Beispiel der, der Sie heute fliegt?«Und sich jetzt dafür rächt, dachte ich, daß ich ihm in Redcar gedroht habe.
Colins Mund klappte auf.
«Keine eigennützigen Ziele«, sagte ich bitter.»Das ist ein Witz. Die versuchen schon den ganzen Sommer über, Sie von Derrydown abzuwerben, und jetzt sieht es ja so aus, als ob es ihnen gelungen sei.«
Ich wandte mich ab; meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich konnte kein Wort mehr hervorbringen. Ich erwartete, daß er weitergehen würde, sich auf die Seite von Polyplane schlagen und meine Zukunft auf den Mist werfen.
Aber statt dessen folgte er mir und zog mich am Arm.
«Matt.«
Ich schüttelte ihn ab.»Sagen Sie Ihrer teuren Schwester«, sagte ich mit belegter Stimme,»daß ich wegen meiner Gesetzesübertretungen am letzten Freitag, als ich sie nach Cambridge zurückgebracht habe, aufs neue vor Gericht muß, daß ich bestraft und mit einer Geldbuße belegt werden und bald wieder hoch verschuldet sein werde… und daß ich es diesmal sehenden Auges getan habe… nicht wie damals«- ich zeigte mit einer deutlich zitternden Hand auf den Zeitungsausschnitt —»als ich die Strafe für etwas auf mich nehmen mußte, das eigentlich nicht meine Schuld war.«
«Matt!«Jetzt war er selbst bestürzt.
«Und was die Feigheit angeht, da ist sie wohl nicht richtig im Bilde… oh, ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß es überzeugend und furchtbar klang — Polyplane hatte viel dabei zu gewinnen, sie aufs äußerste aufzubringen —, aber ich verstehe nicht… ich verstehe nicht, warum sie das so entsetzlich aufgeregt hat, daß sie aus dem Haus gegangen ist. Es hätte doch gereicht, Sie zu überzeugen, nicht mehr mit mir zu fliegen.«
«Warum haben Sie es ihr nicht selbst gesagt?«
Ich schüttelte den Kopf.»Ich hätte es wahrscheinlich getan, eines Tages. Ich hielt es nicht für wichtig.«
«Nicht für wichtig!«Er wurde wild vor Ärger.»Sie hat Sie wohl für eine Art Held gehalten und mußte dann feststellen, daß ihr ganzes Denkmal auf tönernen Füßen steht… Natürlich hätten Sie es ihr sagen müssen, da Sie sie ja heiraten wollten. Das hat sie offensichtlich am meisten aufgebracht.«
Mein Kiefer klappte buchstäblich nach unten. Schließlich fragte ich dümmlich:»Sagten Sie heiraten?«
«Ja, natürlich«, sagte er ungeduldig und bemerkte dann erst, wie schockiert ich war.»Sie wollten sie doch heiraten, oder?«
«Wir haben niemals — auch nur darüber geredet.«
«Aber Sie müssen darüber geredet haben«, insistierte er.»Ich habe am Sonntagabend gehört, wie Nancy und Midge sich darüber unterhielten, nach meiner Rückkehr von Ostende. >Wenn du mit Matt verheiratet bistc, das waren Midges Worte. Ich habe sie deutlich gehört. Sie waren beide in der Küche beim Abwasch. Sie haben beschlossen, daß Sie zu uns ziehen und mit uns zusammen im Bungalow wohnen sollten… Sie haben die Schlafzimmer verteilt…«Seine Stimme verlor sich.»Es ist gar nicht — es ist gar nicht wahr?«