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Ich warf eine imaginäre Münze. Bei Kopf tu ich’s, bei Zahl laß ich’s. Mitten im Wurf dachte ich an Nancy. Alle Wege führten zurück zu Nancy. Wenn ich einfach alles laufen ließ und mich sowohl im buchstäblichen wie auch im metaphorischen Sinn in die Sonne legte — worüber sollte ich dann nachdenken als über das, worüber nachzudenken ich unerträglich fand. Äußerst armselige Aussicht. Fast alles war besser als das.

Wagte also den Sprung ins kalte Wasser und fing bei Annie Villars an.

Sie stand im Führring, trug ein ärmelloses rotes Kleid, und ihr ergrauendes kurzes Haar lockte sich akkurat unter einem schwarzen Strohhut hervor, den sie mehr um seines militärischen als um seines fraulichen Aussehens wegen gewählt zu haben schien. Aus zehn Schritt Entfernung war ihre Autorität am augenfälligsten; aus drei Schritt hörte man die irritierend sanfte Stimme, sah man die Verbindlichkeit ihrer gerundeten Lippen und begriff, daß der Samthandschuh heute mit einem weichen Futter gepolstert war.

Sie sprach mit dem Herzog von Wessex.»Also, wenn Sie einverstanden sind, Bobby, dann bitten wir Kenny

Bayst, ihn zu reiten. Dieser Neue war nicht in der Lage, sich das Rennen einzuteilen, und Kenny weiß trotz all seiner Fehler wenigstens, wie er ein Rennen timen muß.«

Der Herzog nickte mit dem edlen Haupt und schenkte ihr ein gütiges Lächeln. Dann bemerkten sie mich und wandten sich mir mit freundlichen Gesichtern zu — scheinbar arglos die eine, tatsächlich arglos der andere.

«Matt«, sagte der Herzog lächelnd.»Mein lieber Junge. Ist das nicht ein wundervoller Tag?«

«Wunderschön, Sir«, stimmte ich zu. Solange man nicht an Warwickshire denken mußte.

«Mein Neffe Matthew«, sagte er.»Erinnern Sie sich noch an ihn?«

«Natürlich, Sir.«

«Nun, er hat bald Geburtstag, und er wünscht sich — er hat gefragt, ob ich ihm nicht als Geburtstagsgeschenk einen Flug in einem Flugzeug spendieren könne. Mit Ihnen, sagt er. Speziell mit Ihnen.«

Ich lächelte.»Das würde mich sehr freuen.«

«Gut, gut. Dann — ähh — was meinen Sie, wie sollen wir es regeln?«

«Ich werde es mit Mr. Harley regeln.«

«Ja. Gut. Recht bald. Er kommt morgen zu mir und wird eine Weile bleiben, da das Schuljahr zu Ende ist und seine Mutter irgendwo in Griechenland umherreist. Also, vielleicht nächste Woche?«

«Ich bin sicher, daß sich das machen läßt.«

Er strahlte glücklich.»Vielleicht werde ich auch mitkommen.«

Annie Villars sagte geduldig:»Bobby, wir sollten jetzt gehen und uns darum kümmern, daß Ihr Pferd gesattelt wird.«

Er blickte auf seine Uhr.»Beim Jupiter, ja. Erstaunlich, wie schnell so ein Nachmittag dahinfliegt. Also gehen wir. «Er schenkte mir noch ein breites Lächeln, übertrug es unversehrt auf Annie und folgte ihr gehorsam, als sie sich zielstrebig in Richtung Sattelboxen in Bewegung setzte.

Ich kaufte mir ein Rennprogramm. Das Pferd des Herzogs war ein siegloser Zweijähriger namens Thunder-sticks. Ich beobachtete den Herzog und Annie, die zusahen, wie Thundersticks durch den Führring lief, er voller unschuldig strahlendem Stolz, sie in wohlüberlegter Teilnahmslosigkeit. Der Junge, der kein Gefühl fürs Tempo hatte, ritt ein miserables Rennen, selbst für mein ungeübtes Auge: die ersten zweihundert Meter viel zu weit in Front und auf den letzten zweihundert Metern viel zu weit abgeschlagen. Ganz gut, daß die Farben des Herzogs so unauffällig waren, dachte ich. Er nahm die Enttäuschung mit freundlicher Würde hin und versicherte Annie, daß der Hengst sich beim nächsten Mal besser schlagen würde. Mit Sicherheit. Die Saison habe ja gerade erst begonnen. Sie erwiderte sein Lächeln in sanftem Einverständnis und bedachte den Jockey mit einem Blick, der eine Stahlplatte durchbohrt hätte.

Nachdem sie die Leistung des schwitzenden Hengstes Meter für Meter besprochen, ihn getätschelt und mit seinem Pfleger zu den Ställen geschickt hatten, ging der Herzog mit Annie auf einen Drink an die Bar. Danach hatte sie noch einen Verlierer für einen anderen Eigner, und es folgte ein weiterer nachdenklicher Gang zu den Erfrischungen, so daß ich sie erst zwischen den beiden letzten Rennen alleine erwischen konnte.

Sie hörte mir kommentarlos zu, als ich sagte, es sei vielleicht möglich, aktiv etwas für die Aufklärung des großen Bombenrätsels zu tun, wenn sie dabei helfen wolle.

«Ich denke, es ist schon aufgeklärt.«

«Im Grunde genommen nicht. Niemand kennt die Motive.«

«Nein. Nun, ich sehe nicht recht, wie ich helfen könnte.«

«Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, wie gut Major Tyderman und Mr. Goldenberg einander kannten und wie sie zu einem Mitspracherecht darüber kamen, wie Rudiments in seinen Rennen laufen sollte?«

Sie sagte milde:»Das geht Sie nichts an.«

Ich wußte, was sich hinter der Sanftheit verbarg.»Das weiß ich.«

«Und Sie sind unverschämt.«

«Ja.«

Sie musterte mich, und die Sanftheit verschwand langsam aus ihren Zügen, ließ nur straff gespannte Haut über den Wangenknochen und einen strengen Zug um den Mund zurück.

«Ich habe Midge und Nancy Ross gerne«, sagte sie.»Ich glaube nicht, daß irgend etwas, was ich Ihnen sagen kann, Ihnen helfen wird, aber ich möchte auf keinen Fall, daß diesen beiden Mädchen etwas zustößt. Dieser letzte Streich war einen Tick zu gefährlich, nicht wahr? Und wenn Rupert Tyderman dazu in der Lage war. «Sie hielt inne und dachte nach.»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie alles, was ich Ihnen sage, für sich behielten.«

«Das werde ich.«

«Also gut… Ich kenne Rupert schon sehr lange. Mehr oder weniger seit meiner Kindheit. Er ist ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich… Als ich ein junges Mädchen war, hielt ich ihn für einen wunderbaren Menschen, und ich verstand nicht, warum sich die Leute nur sehr zurückhaltend über ihn äußerten. «Sie seufzte.»Ich fand es natürlich heraus, als ich älter wurde. Er schlug ständig über die Stränge, als er jung war. Ein Vandale, als Vandalismus noch nicht so in Mode war wie jetzt. Als junger Mann hat er von all seinen Verwandten und Freunden für verschiedene große Pläne Geld geliehen und nie etwas davon zurückgezahlt. Einmal mußte ihm seine Familie mit einer beträchtlichen Summe aus der Klemme helfen, als er ein ihm zur Verwahrung anvertrautes Bild verkauft und den Verkaufserlös ausgegeben hatte… Ach, es gab viele Fälle wie diesen. Dann kam der Krieg, und er meldete sich sofort freiwillig, und ich glaube, während des gesamten Krieges führte er sich ganz gut. Er war bei den Pionieren, glaube ich… Aber danach, als der Krieg zu Ende war, legte man ihm stillschweigend nahe, seinen Abschied zu nehmen, weil er seinen Offizierskollegen ungedeckte Schecks angedreht hatte.«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.»Er ist schon immer selbst sein ärgster Feind gewesen… Nach dem Krieg lebte er von etwas Geld, das ihm sein Großvater via Treuhänderschaft überlassen hatte, und von dem, was er von seinen verbliebenen Freunden noch schnorren konnte.«

«Sie eingeschlossen?«vermutete ich.

Sie nickte.»O ja. Er war immer sehr überzeugend. Es geht immer um Dinge, die außerordentlich vernünftig klingen, aber schließlich gehen sie allesamt schief…«Sie ließ ihren Blick über die Heath schweifen und überlegte.»Und dann tauchte er irgendwann dieses Jahr, im Februar oder März, glaube ich, auf und sagte, er würde sich nie mehr etwas von mir borgen müssen, er habe jetzt etwas eingefädelt, das ihn reich machen werde.«

«Was war das?«

«Das wollte er nicht sagen. Er meinte bloß, ich solle mir keine Sorgen machen, es sei ganz legal. Er habe sich mit jemandem zusammengetan, der eine todsichere Idee habe, wie man zu einem Vermögen kommen könnte. Nun, dergleichen habe ich schon oft von ihm gehört. Der einzige Unterschied war, daß er diesmal kein Geld wollte…«