Ich nickte.»Für heute abend.«
«Ich denke, ich könnte meinen Onkel überreden, mich nach Hause zu fahren«, überlegte sie.»Wenn Sie mich morgen früh abholen könnten.«
«Sicherlich.«
«Ja… dann gut. Ich brauche ihn heute abend eigentlich nicht. Tanken Sie ihn einfach voll, bevor Sie ihn mir zurückgeben.«
«Okay. Und vielen, vielen Dank.«
Sie grinste ziemlich ordinär.»Minis sind zu klein für das, was Sie vorhaben.«
Ich brachte ebenfalls ein Grinsen zustande.»So so.«
Der fahrbare Untersatz war da, nun mußte ich mich nur noch verabreden. Eine freundliche männliche Stimme nahm meinen Telefonanruf entgegen, höflich und gelassen.
«Der Herzog von Wessex? Ja, dies ist sein Anschluß. Mit wem spreche ich bitte?«
«Mit Matthew Shore.«
«Einen Augenblick, Sir.«
Aus dem Augenblick wurden vier Minuten, und ich steckte das Biergeld für eine Woche in den unersättlichen Schlitz. Schließlich wurde der Hörer am anderen Ende aufgenommen, und leicht außer Atem sagte der Herzog mit seiner unverkennbaren Stimme:»Matt? Mein lieber Junge, was kann ich für Sie tun?«
«Wenn Sie heute abend nicht beschäftigt sind, Sir, dürfte ich Sie dann wohl kurz aufsuchen und für ein paar Minuten sprechen?«
«Heute abend? Beschäftigt? Hmmm. Geht es um den Flug für den kleinen Matthew?«
«Nein, Sir, um etwas anderes. Ich werde Sie nicht lange aufhalten.«
«Kommen Sie nur, mein lieber Junge, wenn Sie möchten. Nach dem Dinner vielleicht? Sagen wir um neun?«
«Um neun«, bestätigte ich.»Ich werde pünktlich sein.«
Das Schloß des Herzogs lag in der Nähe von Royston, westlich von Cambridge. Honeys Mini erwies sich als wahrer Meilenfresser, so daß es tatsächlich nicht später als neun war, als ich an einer Tankstelle in der Nähe meines Ziels nach dem Weg zum Haus des Herzogs fragte. Im Autoradio kamen gerade Nachrichten. Ich hörte zuerst nur mit einem Ohr zu, während der Tankwart das Auto vor mir versorgte, wurde dann aber auf übelkeiterregende Weise aus meinem Gleichmut gerissen.»Der Pferdetrainer Jarvis Kitch und Dobson Ambrose, dessen Stute Scotch-bright letzten Monat die Oaks gewann, sind heute bei einem schweren Verkehrsunfall in der Nähe von Newmarket ums Leben gekommen. Der australische Jockey Kenny Bayst, der sich mit ihnen im gleichen Wagen befand, wurde verletzt ins Krankenhaus gebracht. Es heißt, es ginge ihm den Umständen entsprechend. Außerdem kamen bei dem Unfall drei Pferdepfleger ums Leben, deren Fahrzeug von einem Lastwagen gerammt wurde.«
Wie in Trance bat ich um die Wegbeschreibung zum Haus des Herzogs, erhielt sie und folgte ihr. Ich dachte an den armen, großen, streitlustigen Ambrose und seinen verschüchterten Trainer Kitch, und ich hoffte, daß Kenny nicht so schwer verletzt war, daß er keine Rennen mehr reiten konnte. Ich versuchte mir über die indirekten Folgen dieses Unfalls klar zu werden.
Es folgte nur noch der Wetterbericht: Die Hitzewelle würde auf unbestimmte Zeit fortdauern.
Kein Wort von Rupert Tyderman. Aber Tyderman war an diesem Tag gesehen worden.
Kapitel 13
Der Diener des Herzogs war in der Tat so freundlich, wie seine Stimme geklungen hatte: ein etwas kurz geratener, selbstsicherer Mann von nicht ganz fünfzig Jahren mit leicht hervortretenden Augen, dessen Auftreten etwas von der natürlichen Güte des Herzogs hatte. Das Haus, über das er herrschte, war, wie ein Schild verriet, vom 1. März bis 30. November täglich für das Publikum geöffnet. Der Herzog selbst lebte, wie ich erfuhr, im oberen Drittel des Südwestflügels.
«Der Herzog erwartet Sie, Sir. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Ich folgte ihm. Die Strecke, die wir zurücklegten, erklärte die vier Minuten, die ich hatte warten müssen, bis der Herzog ans Telefon kam, und auch seine Atemlosigkeit. Wir gingen drei Treppen hinauf, eine vierhundert Meter lange Gerade entlang und eine weitere Treppe hinauf ins Dachgeschoß. Vom Dachgeschoß eines herrschaftlichen Anwesens aus dem 18. Jahrhundert bis zur Eingangshalle war es ein langer Weg. Der Diener öffnete eine weiß gestrichene Tür und bat mich hinein.
«Mr. Shore, Euer Gnaden.«
«Kommen Sie herein, kommen Sie herein, mein lieber Junge«, sagte der Herzog.
Ich ging hinein und mußte vor Begeisterung spontan lächeln. In dem niedrigen, quadratischen Raum war auf einem unregelmäßigen Ring von breiten, grün bezogenen
Tischplatten eine gewaltige elektrische Eisenbahn aufgebaut. Ein Kopfbahnhof, Nebengleise, zwei kleine Städtchen, eine Zweiglinie, Tunnel, Steigungen, Überführungen
— der Herzog hatte einfach alles. Im Zentrum des Rings stand er mit seinem Neffen Matthew hinter einer großen Schalttafel, von der aus sie ungefähr sechs Züge auf verschiedenen Kursen über die Anlage rasseln ließen.
Der Herzog stieß seinen Neffen an.»Siehst du, habe ich es dir nicht gesagt? Es gefällt ihm.«
Der kleine Matthew warf mir einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann wieder einer schwierigen Folge von Weichenstellungen zu.»Das war doch klar. Sieht man ihm ja an.«
Der Herzog sagte:»Sie können am besten unter diesem Tisch dort mit dem Stellwerk und dem Bahnübergang hindurchkriechen. «Er zeigte mir, welchen er meinte, und ich ließ mich auf alle Viere nieder und machte mich auf den Weg. Stand im Zentrum der Anlage wieder auf, ließ meinen Blick über die vielen parallelen Gleise schweifen und mußte an die hoffnungslose Sehnsucht denken, die ich als Kind in Spielzeugläden empfunden hatte: Mein Vater war ein schlecht bezahlter Schulmeister gewesen, der sein Geld für Bücher ausgab.
Die beiden Modellbahner zeigten mir, wo die Strecken sich kreuzten und wie man die Züge umleiten konnte, ohne daß es zu Zusammenstößen kam. Ihre Stimmen waren erfüllt von Zufriedenheit, ihre Augen glänzten, und ihren Gesichtern sah man an, wie sehr sie bei der Sache waren.
«Hab das alles natürlich nach und nach aufgebaut«, sagte der Herzog.»Hab schon als Junge damit angefangen. Bin dann jahrelang nicht mehr hier heraufgekommen. Erst wieder, als der kleine Matthew alt genug war. Und jetzt haben wir hier zusammen, wie Sie ja selbst sehen, einen Mordsspaß.«
«Wir überlegen, ob wir nicht eine Nebenstrecke durch die Wand ins nächste Zimmer legen«, sagte Matthew.»Hier ist nicht mehr genug Platz.«
Der Herzog nickte.»Nächste Woche vielleicht. Zu deinem Geburtstag.«
Der kleine Matthew bedachte ihn mit einem breiten Grinsen und ließ geschickt einen Zug mit Pullmanwagen drei Sekunden vor einem dampfenden Güterzug über eine Kreuzung fahren.»Es wird dunkel«, stellte er fest.»Zeit für die Beleuchtung.«
«So ist es«, stimmte der Herzog zu.
Matthew drückte mit schwungvoller Gebärde auf einen Knopf, und dann beobachteten beide meinen Gesichtsausdruck. An allen Haltestellen, Bahnhöfen, Stellwerken und auch in den Signalen selbst leuchteten mit einem Schlag winzige elektrische Lichter auf. Für meine Augen ein überwältigender Anblick.
«Da siehst du es«, sagte der Herzog.»Es gefällt ihm.«
«War doch klar«, sagte der kleine Matthew.
Sie spielten noch eine geschlagene Stunde lang mit der Eisenbahn, denn sie hatten einen Fahrplan ausgearbeitet und wollten nun feststellen, ob sie die Zeiten darin auch einhalten konnten, bevor sie ihn an die Anschlagtafel im Kopfbahnhof hefteten. Der Herzog entschuldigte sich nicht übermäßig reumütig, daß er mich warten ließ, aber es sei, so erklärte er, Matthews erster Abend in den Ferien, und sie hatten das ganze Schuljahr über auf diese Gelegenheit gewartet.
Um zwanzig vor elf hielt der letzte Vorortzug am Puffer im Kopfbahnhof, und Matthew gähnte. Mit dem zufriedenen Gefühl, ihre Sache gut gemacht zu haben, entfalteten die beiden Eisenbahner einige große Staub schutzdecken und breiteten sie sorgfältig über die stillen Gleise aus, und dann krochen wir alle drei unter der Platte mit dem Bahnübergang hindurch.