Der Herzog ging voran — eine Treppenflucht hinunter, dann die Gerade von vierhundert Metern entlang, wo wir, wie es den Anschein hatte, seine Wohnräume erreichten.
«Du flitzt jetzt besser ins Bett, Matthew«, sagte er zu seinem Neffen.»Wir sehen uns morgen früh. Punkt acht Uhr draußen bei den Ställen.«
«Geht klar«, sagte Matthew.»Und danach dann die Rennen. «Er seufzte vor Zufriedenheit.»Besser als Schule«, sagte er.
Der Herzog führte mich in einen kleineren, weiß gestrichenen Wohnraum mit Orientteppichen, Ledersesseln und zahllosen Sportfotos.
«Etwas zu trinken?«schlug er vor und deutete auf ein Tablett.
Ich warf einen Blick auf die Flaschen.»Whisky bitte.«
Er nickte, schüttete zwei Whisky ein, verlängerte mit Wasser, gab mir mein Glas und wies auf einen der Sessel.
«Also, mein lieber Junge?«
Mir kam es plötzlich schwierig vor, ihn zu fragen, wonach ich ihn fragen wollte; wie sollte ich es ihm erklären? Er war so offenkundig ehrlich, eines Betruges so wenig fähig: Ich fragte mich, ob er wohl je eine Schurkerei durchschaut hatte.
«Annie Villars hat mir von Ihrem Pferd Rudiments erzählt«, sagte ich.
Ein leichtes Runzeln auf seiner Stirn.»Sie hat sich über mich geärgert, weil ich mich von ihrem Freund Rupert Tyderman habe beraten lassen… Bereite Annie gar nicht gerne Kummer, aber ich hatte es versprochen… Jedenfalls, sie hat sich dann sehr gut damit abgefunden, glaube ich, und jetzt, da sich herausgestellt hat, daß ihr Freund so ungewöhnlich… mit dieser Bombe, meine ich… Ich glaube nicht, daß er sich weiter um Rudiments kümmern will.«
«Hat er Ihnen irgendwelche Freunde vorgestellt, Sir?«
«Meinen Sie Eric Goldenberg? Ja, das hat er. Kann aber nicht sagen, daß ich diesen Burschen sehr gemocht hätte. Habe ihm nicht getraut, wissen Sie. Der kleine Matthew konnte ihn auch nicht leiden.«
«Hat Goldenberg mit Ihnen jemals über Versicherungen gesprochen?«
«Versicherungen?«wiederholte er.»Nein, ich kann mich nicht erinnern, daß er das jemals getan hätte.«
Ich überlegte. Es mußte die Versicherung sein.
Es mußte einfach.
«Es war sein anderer Freund«, sagte der Herzog,»der die Versicherungsgeschichte in Gang gebracht hat.«
Ich starrte ihn an.»Welcher andere Freund?«
«Charles Carthy-Todd.«
Ich stutzte.»Wer?«
«Charles Carthy-Todd«, wiederholte er geduldig.»Er war ein Bekannter von Rupert Tyderman. Tyderman hat uns irgendwann bekannt gemacht. Bei den Rennen in Newmarket, denke ich. Jedenfalls war es Charles, der den Vorschlag mit der Versicherung machte. Sehr guter Plan, wie ich fand. Grundsolide. Wurde dringend gebraucht. Ein echter Segen für sehr viele Leute.«
«Die Unfallversicherung für Rennbahnbesucher«, sagte ich.»Deren Schirmherr Sie sind.«
«Richtig. «Er lächelte.»Hat große Zustimmung gefunden, daß ich meinen Namen dafür zur Verfügung gestellt habe. Alles in allem ein ganz ausgezeichnetes Vorhaben.«
«Könnten Sie mir etwas mehr darüber erzählen, wie es zustande kam?«
«Interessieren Sie sich für Versicherungen, mein lieber Junge? Ich könnte Sie bei Lloyd’s einführen… aber…«
Ich lächelte. Wer bei Lloyd’s einsteigen wollte, für den durfte ein Einsatz von hunderttausend Pfund nicht mehr als Kleingeld sein. Der Herzog in seiner stillen, gutmütigen Art war in der Tat ein sehr reicher Mann.
«Nein, Sir. Ich interessiere mich nur für diese Unfallversicherung. Wie sie zustande kam und wie sie geführt wird.«
«Charles kümmert sich um das alles, mein lieber Junge. Sieht ganz so aus, als seien diese Dinge für mich völlig unbegreiflich, wissen Sie. Technische Einzelheiten. Beschäftige mich lieber mit Pferden, das wissen Sie doch, oder?«
«Ja, Sir, das weiß ich. Können Sie mir dann vielleicht etwas über Mr. Carthy-Todd sagen? Welchen Eindruck er macht und so weiter?«
«Er hat ungefähr Ihre Größe, ist aber viel schwerer, hat dunkles Haar und trägt eine Brille. Ich glaube, er hat einen Schnurrbart… Ja, so ist es, einen Schnurrbart.«
Mir fuhr es durch alle Glieder. Des Herzogs Beschreibung von Charles Carthy-Todd stimmte fast genau mit der Nancys von dem Mann überein, den sie zusammen mit Tyderman im Auto gesehen hatte. Allerdings gab es Dutzende von Männern mit dunklem Haar, mit Schnurrbart, mit Brille…
«Ich meinte eigentlich, Sir, seinen — ähh — Charakter.«
«Mein lieber Junge. Solide. Grundsolide. Ein durch und durch guter Kerl. Versicherungsexperte, war jahrelang bei einer großen Firma in London.«
«Und — seine Herkunft?«hakte ich nach.
«War in Rugby. Hat danach gleich eine Stelle angetreten. Gute Familie natürlich.«
«Haben Sie sie kennengelernt?«
Die Frage überraschte ihn.»Nicht persönlich, nein. Reine Geschäftsbeziehung, die mich mit Charles verbindet. Ich glaube, seine Familie kommt aus Herfordshire. Er hat Fotos in unserem Büro… Land, Pferde, Hunde, Frau und Kinder — Sie wissen schon. Warum fragen Sie?«
Ich zögerte.»Ist er mit dem vollständig ausgearbeiteten Plan für die Versicherung an Sie herangetreten?«
Er schüttelte sein edles Haupt.»Nein, nein, mein lieber Junge. Es entwickelte sich im Gespräch. Wir sprachen darüber, welch trauriges Los die Familie dieses kleinen Hindernistrainers hat, der an seinem freien Tag ertrunken ist, und wie schade es sei, daß es nicht irgendeine Versicherung für alle gebe, die mit Pferderennen zu tun haben, und nicht nur für die Jockeys. Als wir es dann in die Praxis umgesetzt haben, weiteten wir es aus und schlossen auch noch das Rennpublikum mit ein. Charles meinte, wir könnten im Schadensfall um so mehr auszahlen, je höher unsere Einnahme an Prämien wäre.«
«Ich verstehe.«
«Wir haben schon einiges an Gutem bewirkt. «Er lächelte glücklich.»Charles erzählte mir neulich, daß wir inzwischen drei Fälle von Verletzungen erledigt haben und daß die davon Betroffenen so erfreut waren, daß sie fleißig Propaganda für uns machen.«
Ich nickte.»Ich habe einen von ihnen kennengelernt. Er hatte sich den Knöchel gebrochen und tausend Pfund bekommen.«
Er strahlte.»Na also, da sehen Sie es ja.«
«Wann wurde die ganze Sache denn richtig gestartet?«
«Lassen Sie mich überlegen. Im Mai, würde ich meinen. Gegen Ende Mai. Ungefähr vor zwei Monaten. Wir brauchten, nachdem wir uns entschlossen hatten, natürlich noch eine Weile, um alles auf die Beine zu stellen.«
«Hat Charles alles organisiert?«
«Mein lieber Junge, selbstverständlich.«
«Haben Sie einmal einen Ihrer Freunde bei Lloyd’s um seine Meinung dazu gefragt?«
«Nicht notwendig, wissen Sie. Charles ist ja selber ein Fachmann. Er hat alle Papiere fertig gemacht. Ich habe sie nur unterschrieben.«
«Aber Sie haben sie vorher gelesen?«
«O ja«, sagte er beruhigend und lächelte dann wie ein Kind.»Habe natürlich nicht viel davon verstanden.«
«Und Sie persönlich stellen das Geld zur Verfügung?«Seit dem Zusammenbruch einiger Billig-Autoversicherer mußten privat betriebene Versicherungen eine Mindestreserve von fünfzigtausend Pfund nachweisen, damit das Handelsministerium sie genehmigte. Das hatte ich irgendwo gelesen.
«Das ist richtig.«
«Fünfzigtausend Pfund?«
«Wir meinten, hunderttausend seien vielleicht besser. Gibt der ganzen Sache eine bessere Grundlage, mehr Gewicht, meinen Sie nicht auch?«
«Hat Charles das gesagt?«
«Er kennt sich in solchen Dingen aus.«
«Ja.«
«Selbstverständlich brauche ich dieses Geld nicht wirklich zu zahlen. Es handelt sich nur um eine Garantie der
Vertrauenswürdigkeit, damit dem Buchstaben des Gesetzes Genüge getan ist. Die Einnahmen aus den Versicherungsprämien werden ausreichen, um die Schadensfälle zu regulieren und Charles’ Gehalt und alle anderen Kosten zu decken. Charles hat alles genau ausgearbeitet. Und ich habe ihm gleich zu Anfang gesagt, daß ich keinen Gewinn für mich beanspruchen wolle, nur weil ich der Sache meinen Namen geliehen habe. Ich brauche tatsächlich keine Gewinne. Ich habe ihm gesagt, er solle meinen Anteil in den Fonds für die Auszahlungen einfließen lassen, und er fand, das sei ein sehr vernünftiger Vorschlag. Unser ganzes Ziel ist es ja, verstehen Sie, etwas Gutes zu tun.«