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Ich blätterte weiter, weil ich wissen wollte, wie viele Rennen Colin in Warwick reiten würde. Er war für fünf eingetragen, und in den meisten davon ritt er den Favoriten.

Neben dem Rennprogramm für Warwick stand in fetten, schwarzen Buchstaben eine Anzeige.

«COLIN ROSS IST BEI UNS VERSICHERT. UND SIE?«Darunter ging es in kleinerer Schrift weiter: »Sie haben vielleicht nicht das Glück, zweimal um Haaresbreite davonzukommen. Lassen Sie es nicht darauf ankommen. Schneiden Sie das Anmeldeformular aus und schicken Sie es zusammen mit fünf Pfund an den Versicherungsverein für Rennbesucher, Avon Street, Warwick. Ihr Versicherungsschutz beginnt in dem Augenblick, da Ihr Brief auf der Post ist.«

Ich ließ die Zeitung sinken, blickte ins Leere und pfiff durch die Zähne.

Major Tyderman hatte Annie Villars erzählt, er habe zusammen mit einem Partner eine Sache eingefädelt, die sie reich machen würde. Sie hatte geglaubt, er meinte die Vollmacht über Rudiments, aber das war es natürlich nicht gewesen. Die Geschichte mit Rudiments hatte sich einfach daraus ergeben, daß Tyderman einer kleinen Schwindelei nebenbei nicht widerstehen konnte, auch wenn er zugleich in einer viel größeren Schüssel rührte.

Tyderman hatte Annie dazu überredet, ihn dem Herzog vorzustellen, so daß er seinerseits Carthy-Todd beim Herzog einführen konnte. Goldenberg war nur Nebensache, wurde nur benötigt, um Wetten zu plazieren. Auf Carthy-Todd kam es an, er war der Kopf, der alles ausheckte, der Anstifter. Und alle anderen, Tyderman, der Herzog, Colin, Annie, ich selbst — wir waren nur Figuren auf seinem Schachbrett, die er umherschob, bis das Spiel gewonnen war.

Alles einstreichen und sich dann aus dem Staub machen, das mußte der Plan sein, den er verfolgte. Er hatte nicht gewartet, daß das Versicherungsgeschäft langsam und auf normalem Wege anwuchs; er hatte ein Flugzeug gesprengt und sich die Prominenz von Colin Ross zunutze gemacht. Er würde jedenfalls nur bleiben, solange die Regulierungen noch keinen höheren Umfang einnahmen, und falls die Unfallopfer von Newmarket tatsächlich versichert waren, dann verschwand er sicherlich in den nächsten Tagen. Er würde gerade lang genug bleiben, um den vom Unfall ausgelösten Anstieg der Prämienzahlungen mitzunehmen, und dann nichts wie weg. Das Geld auf eine Schweizer Bank und eine einfache Fahrkarte zum nächsten ergiebigen Jagdgrund.

Ich wußte nicht, wie ich ihn aufhalten sollte. Beweise würde es erst geben, wenn er den Betrug tatsächlich begangen hatte. Ich hatte nichts in der Hand, um meine Vermutung zu erhärten. Niemand würde nur aufgrund einer Vermutung drastische Maßnahmen ergreifen. Ich konnte vielleicht beim Handelsministerium anrufen… Aber das Verhältnis zwischen dem Handelsministerium und mir war zur Zeit doch ein wenig gespannt. Der große Mann würde vielleicht zuhören. Er hatte ja sogar wissen wollen, was ich über die Dinge dachte. Vielleicht gab es einen heißen Draht zwischen der Abteilung für Flugverkehr und der für Versicherungen. Vielleicht aber auch nicht.

Mit einem Seufzer faltete ich Mr. Whiteknights Zeitung wieder zusammen und sah mir noch einmal den Unfall auf der Titelseite an. Dann blieb mein Blick auf einer kleinen Artikelüberschrift links unten neben dem Unfallbericht hängen.

Sie lautete» Tyderman«. Ich las die trockene, knappe Mitteilung darunter, und eine erst vage, dann alarmierende Besorgnis stieg in mir auf.

Ein Unbekannter, bei dem es sich wahrscheinlich um Major Rupert Tyderman handelt, wurde gestern zwischen Swindon und Bristol an der Bahnlinie von London nach South Wales tot aufgefunden. Zunächst hieß es, sein Tod sei auf den Sturz aus dem Zug zurückzuführen, aber später wurde als Todesursache eine Stichwunde festgestellt. Die Polizei, die Major Tyderman hatte vernehmen wollen, ist noch mit den Nachforschungen beschäftigt.

Als die Eltern Whiteknight über den Rasen auf die Maschine zukamen, wußte ich bereits, was zu tun war. Sie waren wenig erfreut, als ich ihnen entgegenkam und sagte, ich wolle ein Telefongespräch führen. Dazu sei keine Zeit mehr, meinten sie.

«Eine Rückfrage wegen des Wetters«, log ich. Sie blickten hinauf zum weißlichen Himmel der jetzt schon ziemlich lang anhaltenden Hitzewelle und warfen mir zu Recht böse Blicke zu. Ich ließ sie einfach stehen.

Der höfliche Diener des Herzogs war am Apparat.

«Nein, Mr. Shore, es tut mir sehr leid, aber Seine Gnaden sind vor einer halben Stunde in Richtung Warwick abgefahren.«

«Mit dem kleinen Matthew?«

«Ja, Sir.«

«Wissen Sie, ob er vorhat, das Büro des Versicherungsvereins aufzusuchen, bevor er zur Rennbahn geht?«

«Ich glaube wohl, Sir. Ja.«

In immer größerer Sorge legte ich auf. Rupert Tyder-mans Tod machte aus dem Ganzen ein Spiel in einer anderen Klasse. Vorher, bei den Anschlägen auf die Flugzeuge, hatten keine Menschenleben auf dem Spiel gestanden; es war zwar eiskalte Berechnung am Werk gewesen, aber eindeutig die Absicht, nicht zu töten. Wenn Carthy-Todd jetzt jedoch beschlossen hatte, reinen Tisch zu machen. Wenn Tydermans Schnitzer mit Nancys Flugzeug, der zu seiner Entlarvung geführt hatte, zugleich seinen Tod zur Folge gehabt hatte… Wenn Carthy-Todd verhindert hatte, daß Tyderman gegen ihn aussagen konnte… Dann würde er, könnte er möglicherweise auch den einfältigen, ehrlichen, redseligen Herzog umbringen.

Er würde es nicht tun, dachte ich kalt. Er konnte es nicht tun.

Ich glaubte es mir selber nicht.

Die Whiteknights hatten keinen Grund, sich über die Geschwindigkeit zu beklagen, mit der ich sie nach Coventry flog, aber sie stimmten nur widerwillig zu, als ich sie bat, mich im Taxi zu den Rennen mitzunehmen. Ich trennte mich am Haupteingang von ihnen und ging zu Fuß ein Stück zurück, stadtwärts, auf der Suche nach dem Büro des Versicherungsfonds. Wie der Herzog gesagt hatte, lag es nicht weit von der Rennbahn entfernt: weniger als vierhundert Meter.

Es befand sich in der ersten Etage eines kleinen, mäßig gepflegten Stadthauses ohne Vorgarten. Das Erdgeschoß schien unbewohnt zu sein, aber die Haustür stand offen, und ein Schild im Hausflur verkündete:»Versicherungsfonds für Rennbesucher, 1. Stock«.

Ich ging hinauf. Auf dem ersten Treppenabsatz gab es eine Toilette, ein Vorzimmer und eine Tür mit einem Zylinderschloß von Yale und einem Klopfer in Form eines Pferdekopfes. Ich betätigte den Türklopfer einige Male; dann wurde die Tür jäh geöffnet.»Hallo«, sagte der kleine Matthew und hielt die Tür weit auf.»Mein Onkel meinte gerade, Sie würden uns noch verpassen. Wir gehen jetzt zu den Rennen.«

«Kommen Sie herein zu uns, mein lieber Junge«, erklang die Stimme des Herzogs in dem Raum.

Ich trat in das Büro ein. Auf den ersten Blick wirkte es elegant; pflaumenblauer Teppichboden, aber von minderer Qualität, zwei Sessel von wuchtiger Optik, aber mit billigen Schaumstoffpolstern, zwei schulterhohe Aktenschränke aus Metall und ein moderner Resopalschreibtisch. Der Eindruck eines soliden, nüchternen, wohleingeführten Geschäftes ergab sich ausschließlich aus den guten Proportionen des mit Erkerfenster versehenen Raumes, dem Stuckwerk an der Decke aus dem 19. Jahrhundert, den Holzschnitzereien, dem Marmorsims des schönen Kamins und einigen dunklen, goldgerahmten Ölbildern an den Wänden. Das Büro war geschickt ausgesucht, es sollte überzeugen, den Eindruck von Sicherheit vermitteln, gefallen. Und da die Kunden einer Versicherungsgesellschaft so gut wie nie die Büroräume der Gesellschaft aufsuchen, konnte dieses Büro nur dem einen Zweck dienen, den Herzog selbst zu überzeugen, zu beruhigen und ihm zu gefallen.

Der Herzog machte mich mit dem Mann bekannt, der hinter dem Schreibtisch gesessen hatte und sich nun erhob.

«Charles Carthy-Todd… Matthew Shore.«

Ich schüttelte dem Mann die Hand. Er hatte mich vorher schon gesehen und ich ihn. Keiner von uns ließ das auch nur ansatzweise erkennen. Ich hoffte, er hatte nicht bei mir das gleiche winzige Nachlassen der Anspannung bemerkt, das mir an ihm auffiel. Die Spannung, unter der ich stand, hatte sich keinen Deut vermindert.