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Er mußte glauben, daß er es noch schaffen konnte. Er wußte nicht, daß ich Colin alles erzählt hatte, hatte keine Ahnung, daß auch Colin sein Doppelspiel kannte… Die leere Straße war im Laufe des Nachmittags viel länger geworden. Außerdem hielt sie nicht richtig still. Sie schimmerte. Sie waberte. Das Pflaster war uneben. Jedesmal, wenn ich meinen Fuß darauf setzte, kam mir ein Pflasterstein entgegen und versetzte mir einen Schlag in den Rücken.

Ich begegnete auf dem ganzen Weg nur einer älteren Frau. Sie murmelte etwas, sprach mit sich selbst. Ich merkte, daß ich das gleiche tat.

Die halbe Strecke. Ich peilte das Tor des Parkplatzes an. Mußte es schaffen. Mußte einfach. Und das war noch nicht alles. Ich mußte jemanden finden, der den Herzog holte, damit ich ihm erklären konnte… erklären…

Ich merkte, daß ich fiel, und streckte die Hand nach der Mauer aus. Durfte die Augen nicht schließen… Das hatte mich schon mal erledigt… Taumelte schwerfällig gegen die Backsteine und bebte am ganzen Leib, als sich danach die schmerzhaften Folgen einstellten. Legte meinen Kopf an die Mauer, versuchte die Tränen zurückzuhalten. Hatte keine Zeit. Mußte weiter.

Ich zwang mich wieder in eine halbwegs aufrechte Position, wollte weitergehen. Meine Füße wußten nie genau, wie weit es noch bis zum Pflaster war: Die meiste Zeit erstieg ich eine imaginäre Treppe.

Merkwürdig.

Etwas Warmes auf meiner linken Hand. Ich sah genauer hin. Mir schwindelte, Blut lief mir an den Fingern herunter und tropfte aufs Pflaster. Ich hob den Kopf wieder, sah nach vorn. Wieder verschwamm alles. Wußte nicht, ob es an der Gehirnerschütterung lag oder an der Hitze oder am Blutverlust. Wußte nur, daß es mir die Zeit stahl. Mußte hinkommen. Schnell.

Einen Fuß vor den anderen, sagte ich mir… Einfach nur weiter so, einen Fuß vor den anderen. Dann kommst du hin.

Konzentrier dich.

Ich kam hin. Das Tor zum Parkplatz. Kein Parkwächter zu sehen. Später Nachmittag, da waren keine weiteren Besucher mehr zu erwarten.

Ich sagte:»Oooh«, in schwacher Enttäuschung. Muß noch weiter gehen. Muß jemanden finden… Ich bog auf den Parkplatz ein. Vom Parkplatz führte ein Tor in den Führring. Da waren viele Leute. Viele…

Ich ging zwischen den Autos her, taumelte, stützte mich auf sie, spürte, wie meine Knie nachgaben, wußte, daß die Benommenheit, die Schwäche die Oberhand gewannen, machte mir immer weniger aus dem stechenden Schmerz jeden Schrittes. Mußte jemanden finden. Mußte einfach.

Plötzlich rief mich jemand, ganz aus der Nähe.

«Matt!«

Ich blieb stehen. Blickte mich langsam um. Midge stieg aus Colins Aston Martin am Ende der Wagenreihe und rannte los, um mich einzuholen.

«Matt«, sagte sie,»wir haben Sie gesucht. Ich bin zum Wagen zurückgegangen, weil ich müde war. Wo haben Sie gesteckt?«

Freundschaftlich legte sie ihre Hand auf meinen linken Arm.

Ich sagte undeutlich:»Bitte… nicht anfassen.«

Mit einem Ruck zog sie ihre Hand fort.»Matt!«

Jetzt musterte sie mich genauer, zuerst fragend, dann ängstlich. Schließlich betrachtete sie ihre Finger, die hellrot verschmiert waren, wo sie nach meiner Jacke gegriffen hatte.

«Das ist Blut«, sagte sie verständnislos.

Ich brachte ein winziges Nicken zuwege. Mein Mund war trocken. Ich wurde jetzt sehr müde.

«Hören Sie… Wissen Sie, wo der Herzog von Wessex ist?«

«Ja. Aber…«, protestierte sie.

«Midge«, unterbrach ich.»Gehen Sie und suchen Sie ihn. Bringen Sie ihn her… Ich weiß, es klingt dumm… aber jemand versucht, ihn zu töten… mit einer Bombe.«

«So wie Colin? Aber das war doch kein…«

«Holen Sie ihn, Midge«, sagte ich.»Bitte.«

«Ich kann Sie nicht allein lassen. Nicht in diesem Zustand.«

«Sie müssen.«

Sie sah mich zweifelnd an.

«Schnell.«

«Ich werde auch Hilfe für Sie holen«, sagte sie. Dann hatte sie auch schon auf dem Absatz kehrtgemacht und eilte Richtung Führring davon. Ich lehnte mich mit meinem Hinterteil gegen einen glänzend grauen Jaguar und fragte mich, wie schwierig es wohl war, zu verhindern, daß Carthy-Todd seine Bombe irgendwo unterbrachte. Diese Büchse, sie war klein genug, um in ein Futteral für ein Fernglas zu passen… Vielleicht war sie identisch mit derjenigen, der die Cherokee zum Opfer gefallen war. Wenn ich nicht bereits naßgeschwitzt gewesen wäre, wäre mir jetzt der Schweiß ausgebrochen beim Gedanken an so viel geballte Explosivkraft.

Warum kamen sie nur nicht? Mein Mund wurde immer trockener… Es ging kein Lüftchen… Wenn ich dem Herzog alles erklärt hatte, mußte er sich irgendwo in Sicherheit bringen und warten, bis das Handelsministerium mit Carthy-Todd fertig war.

Gleichmütig sah ich das Blut von meinen Fingern ins Gras tropfen. Ich konnte fühlen, daß der ganze Rücken meiner Jacke damit durchtränkt war. Konnte mir aber keine neue leisten. Würde sie reinigen lassen müssen, den Durchstich kunststopfen lassen. Mußte mich selbst auch zusammenflicken lassen, so gut es ging. Harley würde den Job nicht für mich freihalten. Würde sich jemand anderen suchen, der an meiner Stelle flog. Die Ärzte vom Handelsministerium würden mich wochenlang nicht fliegen lassen. Wenn man nur einen halben Liter Blut spendete, bekam man schon Startverbot für mehr als einen Monat… Ich hatte mehr als einen halben Liter unfreiwillig eingebüßt, so wie es aussah… Obwohl so ein halber Liter auch ganz anders wirkte, wenn man ihn vergoß.

Mit einem Ruck riß ich meinen herabhängenden Kopf hoch. Mußte wach bleiben, bis sie kamen. Mußte dem Herzog alles erklären…

Die Ränder meines Blickfeldes verschwammen langsam. Ich leckte mir die trockenen Lippen. Half auch nichts. Auch in meiner Zunge keine Spur von Feuchtigkeit mehr.

Schließlich sah ich sie, weit entfernt, wie mir schien, durch das Tor vom Führring kommen. Nicht nur Midge und den Herzog, sondern noch zwei. Den kleinen Matthew, der den anderen voraushüpfte.

Und Nancy.

Chanter war in der Vergangenheit verschwunden, unwichtig. Kein Gedanke mehr an ihn. Alles war so, wie es vorher gewesen war, am Tag, als sie nach Haydock flog. Vertraut, freundlich, innig. Das Mädchen, auf das ich mich nicht hatte einlassen wollen, das einen Eisblock weggeschmolzen hatte wie ein Schneidbrenner.

Jenseits des Meeres von Autos zeigte Midge in meine Richtung, und sie kamen auf mich zu, quer durch die Reihen der parkenden Wagen. Als sie nur noch vielleicht zwanzig Meter von mir entfernt waren, auf der anderen Seite der Wagenreihe direkt vor mir, blieben sie ohne ersichtlichen Grund stehen.

Geht weiter, dachte ich. Um Gottes willen, geht weiter.

Sie taten keinen Schritt.

Mit einiger Anstrengung richtete ich mich auf den Jaguar gestützt auf, löste mich von dessen Motorhaube und ging ihnen entgegen. Links von mir, sechs Autos weiter, stand offensichtlich der Rolls des Herzogs. Auf dessen Motorhaube stand eine glänzend rotgoldene Blechdose. Matthew zeigte darauf, wollte hinüberlaufen und sie holen, und Midge sagte drängend:»Nein, komm schon, Matt hat gesagt, wir sollen schnell kommen, und er blutet…«

Matthew blickte sie besorgt an und nickte, aber schließlich wurde die Versuchung zu groß, er rannte hinüber, nahm die Dose und lief dann wieder zurück.

Eine rotgoldene Blechbüchse. Mit kleinen Stückchen Orangenschale mit Schokoladenüberzug. Sie hatte auf dem Schreibtisch gestanden. Und nachher… nicht mehr. Etwas hatte gefehlt. Rotgoldene Büchse.

Hatte auf Carthy-Todds Schreibtisch gefehlt.

Mein Herz schlug mir bis zum Halse. Ich schrie, aber meine Stimme war hoffnungslos schwach.

«Matthew, wirf sie mir zu.«

Er blickte zweifelnd auf. Die anderen gingen jetzt zwischen den Wagen hindurch auf ihn zu. Sie würden ihn erreichen, bevor ich bei ihm sein konnte. Sie würden alle zusammenstehen, Nancy und Midge und der Herzog und der kleine Matthew, der ebenfalls wußte, daß ich noch einmal in Carthy-Todds Büro gegangen war.