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Ich ließ meine Blicke verzweifelt über den Parkplatz schweifen, aber es war keine Frage, er mußte hier sein. Er hatte die Büchse auf den Wagen gestellt und wartete schlicht darauf, daß sie nach den Rennen hierherkämen. Das letzte Rennen sollte gleich starten… Die Pferde waren schon am Start, und gerade jetzt wurde über Lautsprecher angesagt:»Sie stehen unter Starters Order…«Er wußte, daß sie bald kommen mußten… Er stand drüben am Zaun der Rennbahn, sein schwarzer Kopf deutlich zu erkennen, die Sonne spiegelte sich auf seinen Brillengläsern. Er hatte zwar nur vor, den kleinen Matthew und den Herzog umzubringen, aber jetzt waren auch noch Nancy und Midge da… Und er wußte nicht, daß er ohnehin nicht davonkommen würde… wußte nicht, daß auch Colin informiert war… und war zu weit entfernt, als daß ich es ihm hätte sagen können… Ich konnte nicht schreien… konnte ja kaum sprechen.

«Matthew, wirf mir die Büchse zu. «Es war höchstens ein Flüstern.

Mühsam setzte ich mich in Bewegung, ging auf ihn zu, streckte meinen rechten Arm aus. Stolperte. Schwankte. Ängstigte ihn.

Die anderen näherten sich ihm.

Keine Zeit mehr. Ich holte tief Luft. Richtete mich auf.

«Matthew«, sagte ich laut.»Es geht um dein Leben. Wirf mir die Büchse zu. Jetzt. Auf der Stelle.«

Er war verwirrt, unsicher, besorgt.

Er warf die Büchse.

Carthy-Todd brauchte mehrere Sekunden, um die Knöpfe des Senders zu drücken. Er war darin nicht so erfahren wie Rupert Tyderman. Er konnte nicht sehen, daß er die Gelegenheit, den Herzog zu töten, bereits verpaßt hatte und daß es jetzt nur noch um mich ging. Aber, was immer er auch tat, er hatte das Spiel verloren.

Die rotgoldene Büchse schwebte auf mich zu wie eine glühend heiße Sonne und schien eine Ewigkeit zu brauchen, um die fünf Meter zu überbrücken, die mich von Matthew trennten. Ich streckte die rechte Hand aus, um sie zu fangen, und als ich sie auf meinem Handteller spürte, warf ich sie in einem Schwung im hohen Bogen durch die Luft, so weit hinter mich, wie es ging, über die Reihen der parkenden Wagen hinweg, denn dahinter war alles leer.

Die Bombe ging in der Luft los. Drei Sekunden nach meinem Wurf, sechs Sekunden nach Matthews. Sechs Sekunden. Die längsten sechs Sekunden meines Lebens.

Die rotgoldene Büchse löste sich mit einem Knall in einen sonnenähnlichen Feuerball auf, und die Druckwelle warf sowohl den kleinen Matthew als auch mich mit einem gewaltigen Stoß flach auf den Boden. Die Fenster der meisten Wagen auf dem Platz zersplitterten, und die beiden Fords, über denen die Bombe explodiert war, wurden wie Spielzeug umhergeschleudert. Nancy, Midge und der Herzog, die zwischen zwei Autos geschützt standen, hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

Oben auf der Tribüne, hörten wir später, bemerkte man den Zwischenfall kaum. Das Rennen war gestartet, und die Stimme des Ansagers aus dem Lautsprecher übertönte mit ihrem Dröhnen alles, so daß kein Mensch etwas anderes hörte, als daß Colin Ross gut lag und das Rennen achthundert Meter vor dem Ziel auf dem Favoriten beherrschte.

Der kleine Matthew rappelte sich schnell wieder auf und fragte verwundert:»Was war das?«

Midge war schon an seiner Seite und nahm seine Hand.

«Das war eine Bombe«, sagte sie entsetzt.»Wie Matt sagte, es war eine Bombe.«

Ich versuchte vom Rasen aufzustehen. Selbst wenn der Herzog vorläufig in Sicherheit war, war es das Geld der Versicherung noch nicht. Konnte jetzt versuchen, nach dem Spiel auch Satz und Sieg zu gewinnen…

Immer noch auf Knien, sagte ich zu Matthew:»Kannst du Carthy-Todd irgendwo sehen? Es war seine Büchse… seine Bombe…«

«Carthy-Todd?«wiederholte der Herzog ausdruckslos.»Das kann nicht sein, unmöglich. Er würde so etwas niemals tun.«»Er hat es gerade getan«, sagte ich. Es gelang mir nicht, mich ganz zu erheben. Hatte keine Reserven mehr. Ein starker Arm schob sich unter meine rechte Achsel und half mir. Eine sanfte, ruhige Stimme sagte mir ins Ohr:»Du siehst aus, als ob du besser unten bliebest.«

«Nancy.«

«Wie hast du dich so zugerichtet?«

«Carthy-Todd… hatte ein Messer.«

«Da ist er!«rief Matthew plötzlich.»Da drüben.«

Schwankend kam ich endlich hoch. Sah, wohin Matthew zeigte. Carthy-Todd, der zwischen den Reihen geparkter Wagen hindurch lief. Auch Nancy sah ihn.

«Aber das«, sagte sie ungläubig,»das ist der Mann, den ich mit Major Tyderman im Wagen gesehen habe. Das kann ich beschwören.«

«Vielleicht mußt du das auch«, sagte ich.

«Er versucht wegzurennen«, rief Matthew.»Schneiden wir ihm den Weg ab.«

Für ihn war es fast ein Spiel, aber sein Eifer steckte einige andere Rennbesucher an, die bei ihrer vorzeitigen Rückkehr von den Rennen ihre Wagen mit zersplitterten Scheiben vorgefunden hatten.

«Den Weg abschneiden«, hörte ich einen Mann schreien und einen anderen:»Dort, da drüben. Fangt ihn ab.«

Ich stützte mich, hoffnungslos geschwächt, auf einen Wagen und schaute wie benebelt zu. Carthy-Todd sah, daß ihm immer mehr Leute auf den Fersen waren. Zögerte. Schlug eine andere Richtung ein. Lief ein Stück zurück. Und dann dorthin, wo er noch freies, offenes Gelände sah. Grünen Rasen. Die Rennbahn selbst.

«Nicht…«:, sagte ich. Es war nur ein Flüstern, und selbst wenn ich ein Mikrofon gehabt hätte, hätte er mich nicht gehört.

«O Gott«, sagte Nancy neben mir.»O nein.«

Carthy-Todd bemerkte die Gefahr nicht, bis es zu spät war. Er rannte blindlings über die Rennbahn, sah sich flüchtig nach den Männern um, die ihn verfolgt hatten, jetzt plötzlich stehenblieben und die Verfolgung einstellten.

Er lief geradewegs vor das donnernde Feld der Dreijährigen, die um die letzte Kurve geflogen kamen, um auf der Zielgeraden noch einmal alles zu geben.

Dicht an dicht hatten sie keine Chance, ihm auszuweichen. Er ging unter den wirbelnden Hufen zu Boden, ein Fetzen Stoff in einem Schredder, und einen Augenblick später war aus dem dahinstürmenden Pulk von Pferden ein einziges Chaos von Stürzen geworden… Zusammenstöße bei fünfundvierzig Kilometer pro Stunde… Beine, die durch die Luft wirbeln… Jockeys, die dumpf aufschlagen wie ein Hagel von hellen Farbklecksen… ein Durcheinander von Schmerzensschreien auf dem schönen grünen Turf. Die Nachzügler weichen aus, schwanken, sehen sich um, schwenken vorbei zu einem Finish, das niemand mehr beachtet.

«Colin!«rief Nancy angsterfüllt und rannte zum Zaun. Der pink-weiße Dreß lag regungslos da, ein kleines, zu seinem Schutz zusammengerolltes Bündel. Ich folgte mühsam, Schritt für Schritt, spürte, daß ich nicht mehr weiterkonnte, einfach nicht mehr konnte. Am letzten Wagen vorm Zaun blieb ich stehen. Ich klammerte mich an ihm fest, sackte zusammen. Die Kräfte verließen mich.

Die pink-weiße Kugel regte sich, entrollte sich und stand auf. Die Erleichterung machte mich nur noch schwächer. Ganze Menschenmengen erschienen jetzt auf der Bahn, rannten, halfen, glotzten und bildeten bald eine dichte Mauer um die am Boden liegenden Körper… Nach unendlich langer Zeit kamen Colin und Nancy aus einem

Gedränge von Menschen zum Vorschein und dann zum Parkplatz herüber.

«Nur einen Augenblick benommen«, hörte ich ihn im Vorübergehen zu jemandem sagen.»Ich würde an Ihrer Stelle nicht hingehen…«Aber der Schaulustige war schon weiter, Gier im Blick.

Nancy sah mich, winkte mir kurz zu und schlüpfte dann zusammen mit Colin unter dem Zaun durch.

«Er ist tot«, sagte sie unvermittelt. Sie sah aus, als sei ihr übel.»Dieser Mann — er ist — es war Acey Jones… Colin sagt, du wüßtest alles — sein Haar lag auf dem Rasen — aber es war eine Perücke — und dann dieser kahle, weiße Kopf und die blasse Haut — man konnte noch sehen, bis wohin er geschminkt war — und der schwarze Schnurrbart…«Ihre Augen waren vor Schreck geweitet.