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Die Pferde wurden weggeführt, und die Grüppchen zerstreuten sich. An ihrer Stelle erschien nun Chanter, der zu uns aufschaute und mit den Armen fuchtelte.

«Kommt runter«, rief er.

«Keine Hemmungen, das ist sein Problem«, sagte Nancy.»Wenn wir nicht runtergehen, hört er nicht auf zu brüllen.«

Womit sie richtig lag. Ein Ordner ging mannhaft auf ihn zu, um ihn zu bitten, die Klappe zu halten und abzuzischen, aber da hätte genausogut ein leichtes Wellen-gekräusel versuchen können, den Bass Rock zum Einsturz zu bringen.

«Komm runter, Nancy!«Fortissimo.

Sie stieß sich von den Rails ab und trat weit genug zurück, um sich für ihn unsichtbar zu machen.

«Bleiben Sie bei mir«, sagte sie. Es war mehr Frage als Aufforderung.

«Wenn Sie wollen.«

«Sie haben ja gesehen, wie er ist. Und heute ist es noch nicht mal besonders schlimm. Wirklich. Dank Ihnen.«

«Ich habe absolut nichts getan.«

«Sie sind da.«

«Warum kommen Sie nach Haydock, wenn er Ihnen so auf die Nerven geht?«

«Weil ich mich bestimmt nicht von ihm einschüchtern und vertreiben lassen werde.«

«Er liebt Sie«, sagte ich.

«Nein. Kennen Sie denn nicht den Unterschied, um Himmels willen?«

«Doch«, sagte ich.

Sie sah überrascht aus, schüttelte dann aber den Kopf.»Er liebt Chanter. Aus.«

Sie machte drei Schritte in Richtung Treppe und blieb dann wieder stehen.

«Warum rede ich bloß mit Ihnen, als würden wir uns schon jahrelang kennen?«

Bis zu einem gewissen Grad wußte ich es, aber ich lächelte nur und schüttelte den Kopf. Niemand erzählt gern freiwillig, daß die Leute mit ihm reden, weil er soviel Ausstrahlung hat wie eine gute, neutrale Tapete.

Chanters Gejammer wehte die Treppe herauf.»Nancy, komm runter.«

Sie machte noch einen Schritt und blieb dann wieder stehen.»Würden Sie mir einen Gefallen tun? Ich bleibe für ein paar Tage hier bei einer Tante, aber ich habe heute morgen ein Geschenk für Midge gekauft und es Colin gegeben, damit er es mit nach Hause nimmt. Aber wenn es nicht gerade um Pferde geht, hat er ein Gedächtnis wie ein Sieb. Würden Sie ihn vor dem Start fragen, ob er mein Geschenk auch nicht in der Umkleidekabine liegengelassen hat?«

«Geht klar«, sagte ich.»Ihre Schwester… Wenn ich recht verstanden habe, ist sie krank gewesen.«

Sie schaute in den sonnenüberfluteten Himmel hinauf, senkte den Blick dann wieder und sah mich direkt an, und in diesem erschütternden Augenblick der Erkenntnis sah ich den Schmerz und die Risse hinter der strahlenden äußeren Fassade.

«Ist gewesen. Wird sein«, sagte sie.»Leukämie.«

Nach einer Pause schluckte sie und fügte den unerträglichen Schluß hinzu.

«Wir sind eineiige Zwillinge.«

Kapitel 3

Nach dem fünften Rennen verkündete Chanter düster, ungefähr fünfzig Studenten der Bildhauerklasse warteten darauf, daß er ihrem Ego ein paar Streicheleinheiten verpaßte, und obwohl er das System verachtete, würde es mit dem Essen und so weiter wahrscheinlich schwierig werden, wenn er es tatsächlich auf eine Kündigung ankommen ließ. Den Abschied von Nancy nutzte er, um sie mit den Händen ausgiebig zu betasten — vorne und hinten — und ihr mit offenem Mund einen Kuß zu verpassen, der dank ihrem blitzschnellen Ausweichmanöver auf ihrem Ohr landete.

Er warf mir einen wütenden Blick zu, als sei das meine Schuld. Da Nancy unerbittlich war, sah er sie schmollend an und murmelte etwas von Salz, drehte sich dann auf seinem nicht vorhandenen Absatz um, so daß das Tischtuch mitsamt allen Haaren und Fransen und Perlen mit zentrifugaler Kraft herumwirbelte, und eilte im Laufschritt dem Ausgang entgegen.

«Seine Fußsohlen sind wie Leder«, sagte sie.»Ekelhaft. «Aber aus einem Anflug von Nachsicht in ihrer Miene schloß ich, daß Chanters Sache noch nicht völlig verloren war.

Sie sagte, sie habe wieder Durst und könne eine Cola vertragen, und da sie mich anscheinend immer noch mitschleppen wollte, ließ ich mich schleppen. Diesmal — ohne Chanter — gingen wir in die für Mitglieder des Rennver-

eins reservierte Bar in den Klubräumen; sie lag ebenerdig und war von der Haupteingangshalle her erreichbar.

Der Mann mit dem Gipsbein war auch wieder da. Anderes Publikum, gleiche Geschichte. Seine lautstarke, fröhliche Stimme dröhnte durch die kleine Bar und hallte noch durch den ganzen Eingangsbereich nach draußen.

«Man versteht ja sein eigenes Wort nicht«, sagte Nancy.

In einer Ecke am anderen Ende des Raums saßen Major Tyderman und Eric Goldenberg an einem kleinen Tisch mit Gläsern vor sich, die nach dreifachem Whisky aussahen. Sie steckten ihre Köpfe dicht zusammen, damit sie in dem ganzen Lärm hören konnten, was der andere sagte, ohne daß irgend jemand sie belauschen konnte. Ihre Beziehung schien im Augenblick nicht gerade eitel Sonnenschein zu sein. Ihre gesenkten Köpfe verrieten eine gehörige Portion Starrsinn und die flüchtigen Seitenblicke, mit denen sie einander gelegentlich bedachten, keinerlei Freundlichkeit.

«Der Sporting-Life-Mann«, sagte Nancy, die meinem Blick gefolgt war.

«Ja. Der größere ist auch einer meiner Passagiere.«

«Sie sehen nicht übermäßig glücklich aus.«

«Sie waren schon auf dem Hinweg nicht übermäßig glücklich.«

«Besitzer chronischer Verlierer?«

«Nein — das heißt, ich glaube nicht. Sie sind wegen Rudiments hergekommen, den Kenny Bayst für Annie Villars geritten hat, aber im Rennprogramm werden sie nicht als Besitzer genannt.«

Sie blätterte kurz ihr Programm durch.»Rudiments. Herzog von Wessex. Tja, das ist jedenfalls keiner von den beiden. Armer alter Trottel.«»Wer, der Herzog?«

«Ja«, sagte sie.»Ich glaube, er ist eigentlich noch gar nicht so alt, aber furchtbar einfältig. Großer Mann, der was hermacht, mit einem großen Titel, der was hermacht. Wirklich ein ganz lieber Kerl, aber nichts als Stroh im Kopf.«

«Sie kennen ihn gut?«

«Ich sehe ihn häufig.«

«Feiner Unterschied.«

«Ja.«

Schrammend schoben die beiden Männer ihre Stühle zurück und gingen auf den Ausgang der Bar zu. Der Mann mit dem Gipsbein erblickte sie, und sein breites Lächeln wurde noch breiter.

«Also, wenn das nicht Eric ist — Eric Goldenberg, ausgerechnet! Komm rüber, alter Sportsfreund, komm und laß uns was trinken.«

Goldenberg schien nicht sonderlich begeistert von der Einladung zu sein, und der Major machte hastig einen Schritt zur Seite, damit es ihn nicht auch erwischte. Er bedachte den Australier mit einem Blick, in den er die ganze Abscheu des Militärs gegen alles Grelle legte.

Der Gipsbein-Mann legte unbeholfen einen Arm um Goldenberg, wobei seine Krücke einen weiten Bogen beschrieb und Nancy traf.

«Also«, sagte er.»Tut mir leid, junge Dame. Ich hab den Dreh mit diesen Dingern noch nicht raus.«

«Schon gut«, sagte sie, und Goldenberg sagte etwas zu ihm, das ich nicht hören konnte, und bevor wir wußten, wie uns geschah, gehörten wir plötzlich zur Runde des Australiers dazu, und er bestellte fleißig Drinks für alle.

Aus der Nähe sah der Mann ausgesprochen seltsam aus, sein Gesicht und sein Haar waren nämlich beinahe farblos.

Die Haut war weißlich, der halbkahle Schädel von seidenweichem Haar umrahmt, das einmal blond gewesen und dann weiß geworden war; die Wimpern und Augenbrauen hoben sich ebenfalls nicht von der weißen Haut ab, und die Lippen seines lächelnden Mundes waren von milchiger Blässe. Er sah aus, als hätte man ihn für die Rolle eines großen, fröhlichen Geistes zurechtgemacht. Anscheinend hieß er Acey Jones.