«Ach, komm schon, Mann«, sagte er angewidert zu mir.»Cola ist was für Milchbubis, nicht für Männer. «Selbst seine Augen waren blaß — ein helles, unentschiedenes, bläuliches Grau.
«Laß ihn in Ruhe, Ace«, sagte Goldenberg.»Er fliegt mich nach Hause. Auf einen betrunkenen Piloten kann ich gut verzichten.«
«Pilot, was?«Die lautstarke Stimme gab diese Information an etwa fünfzig Leute weiter, die sich nicht im mindesten dafür interessierten.
«Ein Mitglied der fliegenden Zunft? Die meisten Piloten, die ich kenne, sind richtige Fetzer. Leben, lieben, saufen. Echte Kerle, diese Burschen. «Seine Worte wurden von einem breiten Lächeln begleitet, das die dahinterliegende Kränkung versteckte.»Na, kommen Sie schon, Sportsfreund, riskieren Sie was. Sie dürfen doch nicht all den Leuten ihre Illusionen rauben.«
«Na, dann bitte ein Bier«, sagte ich.
Auch Nancy zeigte mir ihre Geringschätzung, aber aus dem entgegengesetzten Grund.»Warum haben Sie einen Rückzieher gemacht?«
«Es ist töricht, Leute gegen sich aufzubringen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Als werfe man seinen Müll ins Wasser. Eines Tages wird er vielleicht wieder angetrieben und stinkt noch scheußlicher als vorher.«
Sie lachte.»Chanter würde das unmoralisch finden. Man muß sich an seine Prinzipien halten.«
«Ich trinke das Bier nur zur Hälfte. Reicht das?«
«Sie sind unmöglich.«
Acey Jones reichte mir das Glas und sah zu, wie ich einen Schluck nahm, bevor er sich weiter über tollkühne Piloten und Kapriolen am Himmel ausließ und über das Leben dieser energiegeladenen Zigeuner. Aus seinem Mund klang das alles sehr reizvoll, und sein Publikum lächelte und nickte, und keiner von den Leuten schien zu wissen, daß das Bild, das er da zeichnete, seit fünfzig Jahren passe war und daß ein Pilot heute vor allem eins sein mußte, vorsichtig — nüchtern, peinlich genau, reaktionsschnell und vorsichtig. Es gibt alte Piloten und dumme Piloten, aber keine alten und dummen Piloten. Ich, ich war alt, jung, klug, dumm, vierunddreißig. Außerdem deprimiert, geschieden und pleite.
Nach dem kurzen Ausflug in die Fliegerei kehrte Acey Jones wieder zum Thema Versicherung zurück und erzählte Goldenberg und Nancy und mir und den fünfzig anderen Leuten, daß er tausend dafür bekommen hatte, sich den Knöchel zu brechen, und wir mußten uns das Ganze noch einmal anhören, wobei wir uns nach Kräften bemühten, eine Mischung aus Überraschung und Bewunderung an den Tag zu legen.
«Nein, wirklich — Scherz beiseite, Sportsfreund«, sagte er zu Goldenberg und zeigte dabei zum ersten Mal einen gewissen Ernst.»Sie sollten auch einen Vertrag mit diesem Laden machen. Der bestangelegte Fünfer, den ich je ausgegeben habe.«
Einige der fünfzig Zuschauer rückten etwas näher heran, um zuzuhören, und Nancy und ich ließen uns an den äußeren Rand der Gruppe zurückdrängen. Ich stellte das kaum angetrunkene Bier auf einen Tisch draußen in der Halle, während Nancy der unteren Hälfte ihrer Cola den Garaus machte, und dann ließen wir uns hinaustreiben an die frische Luft.
Die Sonne schien immer noch, aber die kleinen, runden, weißen Wolken wuchsen sich zu größeren runden Wolken mit dunkelgrauen Kernen aus. Ich sah auf meine Uhr. Zwanzig nach vier. Immer noch fast eine Stunde, bis der Major den Rückflug antreten wollte. Je länger wir blieben, um so turbulenter würde der Flug wahrscheinlich werden, weil sich die Vorhersage von vereinzelten Gewittern am Nachmittag zu bewahrheiten schien.
«Da bilden sich Gewitterwolken«, sagte Nancy mit Blick in den Himmel.»Scheußlich.«
Wir sahen am Führring zu, wie ihr Bruder fürs letzte Rennen aufs Pferd stieg, und dann sahen wir von der» Be-sitzer-und-Trainer«-Tribüne aus, wie er das Rennen gewann, und damit hatte es sich dann auch. Am Fuß der Treppe, draußen vor dem Waageraum, verabschiedete sie sich von mir.
«Danke für den Geleitschutz.«
«Gern geschehen.«
Ihre Haut war glatt und goldbraun, ihre Augen graubraun. Gerade, dunkle Augenbrauen. Nicht viel Lippenstift. Kein Parfüm. Genau das Gegenteil von meiner blonden, bemalten und geschiedenen Ehefrau.
«Ich schätze«, sagte sie,»daß wir uns mal wiedersehen, weil ich manchmal mit Colin fliege, wenn ein Platz frei ist.«
«Fliegen Sie ihn denn nicht manchmal selber zum Rennen?«
«Gütiger Gott, nein. «Sie lachte.»Er würde mir nicht zutrauen, daß ich ihn rechtzeitig hinbringe. Und außerdem gibt es zu viele Tage, an denen das Wetter meine Fähigkeiten überfordert. Aber eines Tages, vielleicht…«
Sie hielt mir die Hand hin, und ich schüttelte sie. Ein Händedruck, der dem ihres Bruders sehr ähnlich war und genauso kurz.
«Bis dann also«, sagte sie.
«Würde mich freuen.«
Sie nickte mit einem schwachen Lächeln und ging davon. Ich sah ihrer adretten, blauweißen Kehrseite nach und unterdrückte den plötzlichen, unerwarteten Impuls, hinter ihr herzulaufen und ihr einen Abschied Marke Chanter zuteil werden zu lassen.
Als ich über die Bahn auf das Flugzeug zuging, begeg-nete ich Kenny Bayst, der mit seinem Regenmantel überm Arm gerade von dort kam. Seine Haut war wieder einmal fleckig und gerötet vor Zorn, was unschön mit seinem ka-rottenfarbenen Haar kontrastierte.
«Ich komme nicht mit Ihnen zurück«, sagte er angespannt.»Erzählen Sie Miss Großkotz Annie Villars, daß ich nicht mit Ihnen zurückkomme. Man kann es dem Weib einfach nicht recht machen. Das letzte Mal hätte sie mich beinahe gefeuert, weil ich gewonnen habe, und diesmal bin ich fast geflogen, weil ich nicht gewonnen habe. Als hätte ich beide Male auch nur die geringste Wahl gehabt. Ich sag Ihnen was, Sportsfreund, ich fliege nicht mit Ihrem verdammten kleinen Flugzeug zurück und lasse mich den ganzen Flug lang anschnauzen und nochmals anschnauzen.«
«Ist gut«, sagte ich. Ich machte ihm keinen Vorwurf.
«Ich habe mir nur meinen Regenmantel geholt. Ich fahre mit dem Zug nach Hause — oder per Anhalter.«
«Ihr Regenmantel… Aber das Flugzeug ist abgeschlossen.«
«Nein, ist es nicht. Ich habe mir ja meinen Regenmantel rausgeholt. Also, Sie sagen ihnen, daß ich die Nase voll habe, ja?«
Ich nickte, und während er davoneilte, setzte ich ein wenig verärgert meinen Weg zum Flugzeug fort. Major Tyderman hätte es, nachdem er seine Sporting Life geholt hatte, wieder abschließen müssen, aber offensichtlich hatte er genau das nicht getan.
Beide Türen an Backbord waren unverschlossen, die zur Kabine und die des hinteren Gepäckraumes. Ich war nicht übermäßig begeistert, denn bei Derrydown hatte man mir ausdrücklich ans Herz gelegt, das Flugzeug niemals offenzulassen, da es mehrfach vorgekommen war, daß irgendwelche Lausejungen etwas kaputtgemacht hatten. Aber alles sah völlig normal aus, und es gab auch keine Spuren von klebrigen Fingern.
Ich machte noch einmal eine Außenkontrolle und sah mir den Flugplan für die Rückkehr an. Wenn wir zu vielen Gewittern ausweichen mußten, würden wir vielleicht etwas länger bis nach Newmarket brauchen, aber solange es nicht zu einem heftigen, stationären Gewitter über der Landebahn kam, dürfte es eigentlich keine echten Probleme geben.
Die Passagiere der beiden Polyplane-Maschinen kamen einzeln oder zu zweit herübergeschlendert und zwängten sich in die Maschinen. Die Türen wurden geschlossen, und die Flugzeuge rollten ans andere Ende der Bahn. Dann jagte eins nach dem anderen übers Gras, hob ab und schoß wie ein schwarzer Pfeil vor dem blau-grau-weißen Flickwerk des Himmels davon.
Annie Villars war die erste von meinen Passagieren. Allein, gefaßt, höflich; ließ sich nichts anmerken. Sie gab mir ihren Mantel und den Feldstecher, und ich verstaute die Sachen für sie. Sie dankte mir. In den trügerisch sanften braunen Augen stand eine gewisse Leere, und ein wiederholtes, krampfhaftes Zucken strafte den milden Zug um ihren Mund Lügen. Eine beeindruckende Frau, dachte ich. Aber das wußte sie selbst. Sie war sich der Kraft und der Reichweite ihrer Macht so sehr bewußt, daß sie absichtlich ihrem Äußeren eine entwaffnende Note gegeben hatte, weniger, um den harten Kern zu verbergen, als um ihn den Leuten schmackhaft zu machen. Das ist doch mal eine nette Abwechslung, dachte ich ironisch, wenn man an all jene denkt, die sich gewaltig aufplustern, um ihre inneren Mängel zu verbergen.