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Jacob ging mit Devlin zum Frühstück in einen der schmalen, langgezogenen, in ihrer ganzen Anlage korridorähnlichen Salons, die der länglichen Schiffsform entsprachen. Dort trafen sie Irene, Martin und Jim Illinois. Letzterem platzte tatsächlich fast der Kragen, als er von seinem Partner erfuhr, wie Jonas und seine schwarzen Kollegen auf das seltsame Licht reagiert hatten. Irene, die von dem Licht noch nicht gehört hatte, ließ sich die Geschichte erzählen und war sehr erstaunt, vielleicht auch ein ganz klein wenig verängstigt. Jacob beschloß, seinen verstörenden Traum lieber nicht zu erwähnen.

Sie waren kaum mit dem Frühstück fertig, als die QUEEN OF NEW ORLEANS durch ein mehrfach wiederholtes Dampfpfeifensignal ihre Bereitschaft zum Ablegen kundtat.

Die Passagiere, die sich noch nicht an Bord befanden, strömten zum Hafen, begleitet von Angehörigen und Schaulustigen. Wieder war der Pier von Menschen angefüllt, und schon wurden die ersten Wetten abgeschlossen. Darauf, wann die QUEEN OF NEW ORLEANS in St. Louis eintreffen würde, und darauf, in welchem zeitlichen Abstand ihr das Schwesterschiff folgen würde.

Ein dicklicher Mann, der mit einer großen Liste an Bord herumging und Wetten über die Ankunftsstunde des Schiffes in St. Louis annahm, blieb auch vor Jacob, Martin, Irene, Devlin und Illinois stehen. Besonders der elegant gekleidete Spieler schien ihm ein lohnendes Opfer zu sein, und er bedrängte Devlin, seinen Tip auf der Liste einzutragen.

»Das werde ich nicht«, sagte der Spieler hart.

»Aber Sie sehen aus wie ein Mann, der gerne spielt«, beharrte der Dicke.

»Ich spiele gern, aber nur, wenn ich auf das Ergebnis Einfluß habe.«

Der Dicke grinste. »Tut mir leid, Sir, aber bei dieser Wette kann man nicht betrügen.«

Devlin explodierte wie ein Vulkan, packte den Mann am Kragen und schüttelte ihn so sehr durch, daß er seine Liste fallen ließ. »Ich rede nicht von Betrug, Mister. Ich hasse Betrug! Und ich hasse Ratten wie Sie, die von der Leichtgläubigkeit und der Wettleidenschaft anderer Menschen leben. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe. Verschwinden Sie!«

Er ließ den Dicken los, der vor Schreck auf den Boden fiel. Dort sammelte er seine Liste auf und machte sich eilig davon, einen großen Bogen um Devlin und seine Begleiter schlagend.

Devlin stand mit versteinertem Gesicht auf dem Promenadendeck und wirkte auf den ersten Blick, als betrachte er weiterhin das bunte Treiben an Bord und auf dem Pier. Aber Irene, die genauer hinsah, bemerkte, daß seine Augen in eine weit entlegene Ferne starrten. Sie fragte sich erneut, welches Geheimnis diesen Mann umgab.

Als die QUEEN OF NEW ORLEANS ablegte, wurde nicht so viel Brimborium veranstaltet wie bei ihrer Ankunft am Vortag. Die Heizer gaben keine Pechtanne ins Feuer, um den Rauch besonders fett und schwarz aus den Schornsteinen quellen zu lassen. Alles war nüchterner, geschäftsmäßiger, geprägt von der Eile, die Kapitän Wilcox vorantrieb.

Nur als der große Dampfer an seinem Schwesterschiff vorbeifuhr, brach ein lautes Hurrageschrei unter der Besatzung der QUEEN OF NEW ORLEANS aus. Die Flußschiffer verspotteten ihre Kollegen, deren Schiff noch nicht auslaufbereit war. Die Matrosen auf der QUEEN OF ST. LOUIS antworteten mit Flüchen, Verwünschungen und obszönen Gesten.

Der Hafen und die Stadt an der Ohiomündung wurden immer kleiner, als sich der Dampfer den Mississippi hinaufschaufelte. Sein Ziel St. Louis, die große Stadt an der Mündung des Missouri, lag etwa 160 Meilen entfernt. Drei Tage würde das Schiff für diese Strecke brauchen, wenn alles gutging.

Wenn alles gutging. Jacob gingen das seltsame Flußlicht und sein nicht minder seltsamer Traum nicht aus dem Kopf.

*

In diesen Tagen war der Mississippi noch breiter als sonst. Verantwortlich war das alljährliche Junihochwasser, das keine Rücksicht auf die Grenzen nahm, die der Mensch dem Fluß gesteckt zu haben glaubte. Je weiter die QUEEN OF NEW ORLEANS vorankam, desto mehr Häuser, von denen nur noch die Dächer aus dem Wasser ragten, sahen die schaulustigen Passagiere. Hätte man die Dächer nicht gesehen, hätte man glauben können, dort hätten nie Menschen gewohnt, so weit waren die Häuser vom Festland abgeschnitten.

Das Hochwasser hatte neue Seitenarme gegraben, weil das mächtige Flußbett nicht groß genug gewesen war, um die heranströmenden Fluten zu bewältigen. Die meisten der neuen Nebenflüsse würden wieder verschwinden, sobald sich die Wassermenge normalisiert hatte, aber einige würden bleiben und damit zu dem Ruf des Mississippi beitragen, unberechenbar zu sein.

Genauso wie die von den Wassermassen weggespülten Bäume, die eine doppelte Gefahr für die Schiffe darstellten. Wenn die großen Stämme, die im Fluß herumgewirbelt wurden, gegen die Schaufelräder krachten, konnte das zu einer ernsten Beschädigung führen. Andere Stämme bohrten sich in den Grund und bildeten sogenannte Snags, die kaum bis gar nicht sichtbar an die Oberfläche ragten und häufig erst dann bemerkt wurden, wenn sie den Rumpf eines Schiffes aufrissen.

Auch die sich in ständiger Veränderung befindliche Welt der Sandbänke und -barren erfuhr durch das Hochwasser eine krasse Umgestaltung. Altbekannte Schiffahrtshindernisse wurden innerhalb von Minuten abgetragen und neue aufgebaut. Das in Unordnung gebrachte Wasser bildete Wirbel, die Sandbarren täuschend ähnlich sahen. Nur erfahrene Mississippi-Lotsen kannten den Unterschied, ohne daß sie ihn hätten erklären können.

Ohne mindestens zwei Lotsen kam ein Dampfschiff auf dem launischen Mississippi nicht aus. Die Männer, die jede Strömung, jede Sandbank und jeden Snag auf ihrem Flußabschnitt kannten, wechselten sich bei der Arbeit ab und waren ständig im Ruderhaus präsent, um dem Rudergänger Anweisungen zu geben oder an schwierigen Stellen selbst das Ruder zu übernehmen.

In der Zeit des Hochwassers war ihre Arbeit doppelt anstrengend, mußten sie ihr Schiff doch nicht nur sicher durch die veränderte Flußwelt führen, sondern sich zugleich alle neuen Hindernisse und Durchlässe einprägen. Erschwert wurde ihre Aufgabe noch durch den Umstand, daß viele Markierungspunkte durch die Strömung einfach weggerissen oder vom Hochwasser überflutet waren.

Die QUEEN OF NEW ORLEANS setzte die Fahrt auch nach Einbruch der Dunkelheit mit unverminderter Geschwindigkeit fort. Während die begüterten Passagiere in den Salons und die weniger begüterten in ihren Unterkünften das Abendessen zu sich nahmen, waren Rudergänger, Lotsen und Lotgasten unermüdlich dabei, den Steamer in sicherem Fahrwasser zu halten.

Während diese Männer sowie Maschinisten, Heizer und Matrosen damit beschäftigt waren, das Prunkschiff seinem noch fernen Ziel näher zu bringen, vergnügten sich die Passagiere nach dem Abendessen auf unterschiedliche Weise. Die einfachen Menschen auf dem Zwischen- und dem Hauptdeck holten Musikinstrumente hervor und spielten zum Tanz auf, während Männer wie Brady Tomlinson und Hutch Potter darangingen, auf ihre unsaubere Art Geld zu verdienen. Die vornehmen Leute in den Salons machten ihre Musik nicht selbst, sondern lauschten bezahlten Musikern. Kreisten bei den einfachen Passagieren die Flaschen mit hochprozentigem Selbstgebranntem, bestellten die eleganten Ladies und Gentlemen in den Salons beim Kellner oder Barmann BrandyCocktails, Bourbon, Gin, original französischen Cognac, Eieroder Milchpunsch. Die rauhen, lauten Reden unten standen in scharfem Kontrast zu den kultivierten Gesprächen auf den oberen Decks.

Eigentlich fühlten sich die drei deutschen Auswanderer mehr dem einfachen Volk zugehörig als den Kaufleuten, Pflanzern, Industriellen, Künstlern und Offizieren in den Salons. Aber die von Präsident Lincoln spendierte Schiffspassage hatte sie der Ersten Klasse zugeschlagen. Und da sie neugierig waren, wie es dort zuging, zogen sie ihre besten Kleider an und mischten sich unter die Begüterten.