Devlin quittierte das mit einem weiteren Hundert-DollarChip und sorgte damit für angespanntes Schweigen in der immer größer werdenden Runde, die sich um den Pokertisch versammelt hatte. Es war offensichtlich, daß Devlin den Plantagenbesitzer, der bislang den Tisch beherrscht hatte, herausfordern wollte.
»Was wollen Sie mit Ihrem Verhalten beweisen, Devlin?« fragte LaGrange, der ihm fast gegenübersaß.
»Vielleicht, daß man auch auf ehrliche Weise gewinnen kann.«
»Ich verstehe Sie nicht«, meinte der Plantagenbesitzer, aber das heftige Zucken in seinem Gesicht schien ihn Lügen zu strafen.
»Das wundert mich«, meinte Devlin knapp.
»Also gut«, brummte LaGrange und legte zweihundert Dollar auf den Tisch. »Ihre hundert und noch einmal hundert zum Sehen.«
»Einverstanden.«
Devlin deckte seine Karten auf und hatte nicht mehr vorzuweisen als ein Zwillingspaar Damen. Die Menschen waren enttäuscht. Er hatte nicht das vermutete außergewöhnliche Blatt und war auch kein hundertprozentiger Bluffer. Aber eher ein Bluffer. Jedenfalls fanden die Zuschauer das, als LaGrange seine Karten auf den Tisch gelegt und einen Dreierpaar Zehnen präsentiert hatte. Zufrieden strich er seinen Gewinn ein.
»Tja«, meinte Devlin gedehnt und steckte sich einen Zigarillo an. »Offenbar habe ich mich getäuscht. Auf ehrliche Weise kann man doch nicht gewinnen.«
LaGrange erstarrte mitten in der Bewegung, als er gerade die gewonnenen Chips vor sich auftürmen wollte. Das Zucken in seinem Gesicht wollte fast unkontrollierbar werden und übertrug sich auf seine Hände, die so sehr zu zittern begannen, daß seine Chipstapel umstürzten.
Prescott warf seinem Boß fragende Blicke zu, als wartete er nur auf den Befehl, mit Devlin auf seine Weise abzurechnen. Hinter dem Mann mit dem Zigarillo stand mit unerschütterlicher Ruhe Jim Illinois und behielt sowohl LaGrange als auch Prescott im Auge.
»Was sollen Ihre dauernden Anspielungen, Devlin?« zischte der Plantagenbesitzer. »Wenn Sie etwas zu sagen haben, tun Sie es laut und deutlich! Werfen Sie mir etwa vor, falsch zu spielen?«
»Nicht ich habe das Wort gebraucht, sondern Sie, LaGrange.«
»Aber denken Sie es?«
»Was ich denke, geht niemanden etwas an.«
»Dann unterlassen Sie gefälligst Ihre Anspielungen!«
»Was ich sage, geht auch niemanden etwas an.«
»Wenn Sie es zu mir sagen, geht es mich etwas an!« schnappte LaGrange.
»Wir sollten uns nicht so aufregen, sondern lieber Poker spielen«, schlug Devlin mit seinem typischen unschuldigen Lächeln vor und fand damit Beifall bei den anderen Mitspielern.
Die Situation entspannte sich in den nächsten Runden, die niemandem einen klaren Vorteil brachten. Zwar waren es meistens LaGrange oder Devlin, die das Spiel gewannen, aber keiner der beiden konnte von sich behaupten, wesentlich erfolgreicher als der andere zu sein.
Nach zwei Stunden jedoch schien sich Devlins erstes Spiel zu wiederholen. Wieder kaufte er keine neuen Karten, und wieder setzte er gleich das Limit, tat dies in jeder Runde erneut. Diesmal stiegen seine Mitspieler nicht so schnell aus, hielten sein Verhalten für einen erneuten Bluff, der jetzt viel an Wirkung verloren hatte. Aber als der Gesamteinsatz in der Tischmitte immer weiter in die Höhe kletterte, verabschiedeten sie sich doch nach und nach aus der Partie, bis wieder nur Devlin und LaGrange übrig waren.
Als der letzte der Mitspieler seine Karten weggelegt hatte, beinhaltete der Pool die beachtliche Summe von etwa fünftausend Dollar. Das sprach sich schnell im Spielsalon herum. Alle anderen Spiele wurden unterbrochen, weil jeder sehen wollte, wie das Duell ausging. Würde der fragwürdige Devlin gewinnen, der schon einmal einen Bluff in den Sand gesetzt hatte? Oder LaGrange, der immerhin zwei neue Karten gekauft hatte, um sein Blatt zu verbessern?
*
Die beiden Kontrahenten erhöhten den Inhalt des Pools auf sechstausend Dollar, bis es schließlich der Plantagenbesitzer nicht mehr aushielt und die Karten sehen wollte.
»Auch wenn Sie wahrscheinlich wieder nur bluffen«, fügte LaGrange mit spöttischem Tonfall hinzu.
»Sie etwa nicht?« fragte Devlin herausfordernd.
Der Plantagenbesitzer deckte seine Karten auf. »Nennen Sie das einen Bluff, Devlin?«
Ein Raunen ging durch die Menge, als vor LaGrange vier Asse lagen. Das war kaum zu überbieten.
»Das ist tatsächlich alles andere als ein Bluff«, gab Devlin zu. »Ich würde fast sagen, ein ehrlicher Mann hat selten so ein Blatt, würde ich nicht ein noch besseres haben.«
Damit deckte er einen Straight Flush in Pik auf: Bube, Zehn, Neun, Acht und Sieben.
»Vier Asse sind außergewöhnlich gut, aber ein Straight Flush ist noch besser«, meinte Devlin und strich seinen Gewinn ein, während sich die erregten Zuschauer gar nicht mehr einkriegen konnten. »Möchten die Gentlemen noch weiterspielen?«
Sie mochten nicht.
Devlin strich die Chips in seinen Hut und brachte sie, begleitet von Illinois, zur Bar, um sie dort in Geld einzutauschen. Dann verließen die beiden den Salon.
Die unerhörte Anspannung, die sich seit der Begegnung zwischen Devlin und LaGrange aufgebaut hatte, war auf einmal verschwunden. Die Menschen wirkten wieder unbeschwert und gingen ihren Vergnügungen nach.
*
Bald danach verließen auch die Auswanderer den Salon und begaben sich aufs Promenadendeck, um noch etwas frische Luft zu schnappen, bevor sie sich schlafen legten.
Irene berichtete ihren Freunden von ihren seltsamen Beobachtungen bei Devlin und LaGrange. »Es ist nichts Greifbares, nur so ein Gefühl, daß zwischen den beiden mehr steht als die Frage, wer der bessere Pokerspieler ist.«
»Aber was soll das sein?« fragte Martin.
»Ich habe keine Ahnung«, gab Irene zu.
»Irene hat recht«, meinte Jacob. »Ich habe so etwas ebenfalls gespürt. Auch Devlins Bemerkungen gegenüber LaGrange deuten darauf hin. Ich glaube nicht, daß er sie nur gemacht hat, um LaGrange zu verunsichern.«
»Da wir gerade vom Verunsichern sprechen«, sagte Irene im Flüsterton. »Kann mir einer von euch sagen, was das für ein seltsames Licht dort im Wasser ist?«
»Wo?« fragte Jacob, aber da sah er es auch schon.
Es war das mysteriöse Leuchten, das am vorherigen Abend an der Backbordwand der QUEEN OF NEW ORLEANS entlanggewandert war. Das war im Hafen von Cairo gewesen, viele Meilen entfernt. Aber genau dasselbe Leuchten - oder ein zum Verwechseln ähnliches - lag jetzt auf den Fluten des Mississippi. Wieder befand es sich an der Backbordwand. Aber diesmal wanderte es nicht aufgeregt hin und her, sondern schien den Dampfer ruhig zu begleiten.
»Es sieht so unheimlich aus«, fand Irene. »So, als käme es direkt aus dem Wasser. Ist es... der Geist, von dem der Steward euch erzählt hat?«
»Der Geist des Mississippi, ja«, antwortete Jacob, während er nach einer Erklärung für das Leuchten suchte. »Vermutlich nur die Spiegelung einer der vielen Schiffslichter«, versuchte er Irene zu beruhigen. Aber er glaubte selbst nicht daran. Die reflektierten Lichter sahen anders aus.
Sie beobachteten das Licht eine Weile und gingen dann, als es sich nicht veränderte, schlafen.
*
Jim Illinois konnte nicht schlafen. Beauregard Devlin hinderte ihn daran.
Es hatte ihn gewundert, daß Devlin nach der Pokerpartie so schnell eingeschlafen war. Als wäre eine innere Anspannung, die seine ganze Energie beansprucht hatte, plötzlich von ihm abgefallen.
Aber es war ein unruhiger Schlaf, in dem sich Devlin auf seinem schmalen Bett hin und her wälzte. Er fand einfach keine Ruhe und redete unentwegt im Schlaf vor sich hin. >Vater<, >LaGrange< und >Betrüger< waren die Worte, die Illinois verstand.
Schließlich hielt er es in der Kabine nicht mehr aus, stand auf, zog sich an und ging hinaus aufs Promenadendeck. Es war zwei Stunden nach Mitternacht, und die meisten Menschen an Bord schliefen jetzt.