Währenddessen hatten sich LaGrange und Devlin in ein Handgemenge verstrickt, in dessen Verlauf Devlin den Plantagenbesitzer zu Boden schlug. Als Devlin den anderen hochziehen wollte, um ihm einen weiteren Schlag zu versetzen, stürmten mehrere Matrosen in den Raum, rissen ihn zurück und hielten ihn fest.
In ihrer Begleitung erschien Homer F. Wilcox, einen Navy Colt in der Rechten, den er auf Jacob richtete.
»Legen Sie die Waffe weg und lassen Sie den Mann in Ruhe!« befahl der kleine, zähe Mittdreißiger in der Kapitänsuniform.
»Prescott hat angefangen«, erklärte Jacob. »Er hat die Waffe gezogen. Ich habe sie ihm abgenommen, um einen Mord zu verhindern.«
»Die Waffe weg, habe ich gesagt!« schnarrte Wilcox mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Jacob sah ein, daß er gegen den Kapitän nichts ausrichten konnte, ließ langsam den Hahn zurückgleiten und legte den kurzläufigen Revolver vorsichtig auf den Boden, wo ihn ein stiernackiger Bootsmaat an sich nahm.
Simon LaGrange stand auf und wischte mit dem Handrücken einen Blutfaden aus seinem Mundwinkel.
»Mr. LaGrange, Sie sind mir als ehrenwerter Mann bekannt«, sagte der Kapitän. »Erzählen Sie mir, was vorgefallen ist.«
Der Plantagenbesitzer zeigte auf Devlin, der sich noch immer in der Gewalt der Matrosen befand. »Ich habe diesem Mann, Devlin, beim ehrlichen Poker einige tausend Dollar abgenommen, was er offenbar nicht wegstecken kann. Er hat mich zu Unrecht des Betrugs bezichtigt und mich tätlich angegriffen.«
Dann zeigte LaGrange auf Jacob. »Devlins Komplize hat Mr. Prescott, meinen Angestellten, angegriffen, als der mir zu Hilfe kommen wollte.«
»Das ist nicht wahr!« rief Martin laut. »So war es nicht!«
»Der Mann gehört auch dazu«, sagte LaGrange. »Die beiden Deutschen stecken mit Devlin unter einer Decke. Offenbar ist es ihre Aufgabe, für Aufruhr zu sorgen, wenn der Kartenhai zu viel Geld verliert.«
Wilcox nickte, von der Erklärung offenbar befriedigt. »Ich muß als Kapitän für die Sicherheit der Passagiere und der Besatzung sorgen. Deshalb kann und will ich keine Gewalt an Bord der QUEEN OF NEW ORLEANS dulden. Wir erreichen bald die Insel Devil's Head. Dort werden die drei Lumpen an Land gesetzt. Bis das nächste Schiff sie aufnimmt, haben sie Zeit, über ihr Verhalten nachzudenken.«
Die Matrosen nahmen Devlin, Jacob und Martin in Gewahrsam und brachten sie ungeachtet ihrer Proteste hinunter aufs Hauptdeck. LaGrange und Prescott sahen ihnen zufrieden grinsend nach.
*
Eine halbe Stunde später wurden Devlin, Martin und Jacob mit einem Ruderboot zu der Insel mitten im Mississippi gebracht, die ihren Namen - >Teufelskopf< - der seltsamen Form verdankte, die an ein Gesicht mit zwei länglichen Auswüchsen, den Hörnern des Teufels, erinnerte. Es war eine große Flußinsel, etwa eine Meile lang und über eine halbe Meile an ihrer breitesten Stelle. Zwei Matrosen saßen an den Rudern, während zwei weitere und ein Maat mit ihren Karabinern dafür sorgten, daß sich die drei Verbannten nicht gegen ihr Schicksal auflehnten.
Als sich Devil's Heads dunkle Masse immer deutlicher aus dem sternenklaren Nachthimmel herausschälte, heftete Jacob seinen Blick auf den allmählich kleiner werdenden Steamer, dessen Maschinen stillstanden, solange er auf die Rückkehr des Beibootes wartete. Er dachte an Irene und den kleinen Jamie und fragte sich, ob sie es schaffen würden, sich allein durchzuschlagen. Irene hatte mitkommen wollen, aber Jacob und Martin hatten sie davon überzeugt, daß es im Interesse ihres Babys besser war, auf dem Schiff zu bleiben. Irene sollte in St. Louis auf ihre Freunde warten.
Wenigstens hatte Kapitän Wilcox den Verbannten gestattet, ihre ganze Habe mit auf die Insel zu nehmen. Irene paßte derweil auf Jim Illinois' Sachen auf. Aber die Hoffnung, daß der Schwarze noch unter den Lebenden weilte, war gering.
Als der Rumpf des Bootes über Land schrammte, forderte der Maat die drei Verbannten zum Aussteigen auf. Sie mußten durch das immerhin noch knietiefe Wasser waten und holten sich dabei nasse Füße.
Das jetzt viel leichtere Boot kam ohne große Mühe von der Sandbank wieder hinunter und entfernte sich ohne ein Abschiedswort mit schnellen Ruderschlägen von der Insel. Die Ausgesetzten standen am Strand und sahen zu, wie es zurück an Bord der QUEEN OF NEW ORLEANS gehievt wurde. Der Wind wehte auf die Insel zu und trug die Kommandos und Rufe der Flußschiffer zu ihr herüber.
Als das Boot wieder fest am Davit hing, röhrte die Dampfpfeife ein langgezogenes Signal über den Fluß, das in der Nacht noch um ein Vielfaches lauter klang als bei Tag. Im Ruderhaus schob der Lotse oder der diensthabende Rudergänger den Befehlshebel nach vorn. Die Maschinen begannen zu arbeiten und übertrugen die Kraft aus der Kesselbatterie auf die großen Schaufelräder beidseits des Steamers. Die Schaufeln verdrängten das Wasser und schoben den Dampfer voran, brachten ihn rasch von der Insel fort, bis er nur noch eine ferne Ansammlung von Lichtpunkten war, die das nächtliche Sternenzelt durch zwei große Rauchfahnen verdunkelte.
Jacob, der dem Schiff lange nachsah, fuhr plötzlich zusammen. Täuschte er sich, oder wurde die QUEEN OF NEW ORLEANS an der Backbordseite durch jenes seltsame Leuchten begleitet, das im Wasser zu schwimmen schien?
*
Die Ereignisse im Spielsalon und die Entscheidung des Kapitäns, dessen Wort an Bord Gesetz war, hatte sich schnell auf der QUEEN OF NEW ORLEANS herumgesprochen. Die Menschen eilten an Deck und bevölkerten in Scharen die Backbordfront, um das Aussetzen der drei Männer mitzuerleben.
So kam es, daß niemand darauf achtete, was zur selben Zeit auf der Steuerbordseite geschah. Auch dort wurde von ein paar ausgesuchten Matrosen leise und heimlich ein kleines Ruderboot zu Wasser gelassen, in dem nur zwei Männer saßen.
Sie legten sich in die Riemen, sobald die Verbindungen des Bootes zum Davit gelöst waren, und umrundeten den Steamer in einem weiten Bogen, um nicht von den Schaulustigen bemerkt zu werden.
Während Devlin, Martin und Jacob am Kinn des Teufelskopfes ausgesetzt wurden, steuerten die beiden Männer eine Bucht zwischen den beiden Hörnern am entgegengesetzten Ende der Insel an. Dort zogen sie das Boot weit aufs Land, damit es nicht von den anbrandenden Wellen in den Fluß gezogen wurde. Sie brauchten es noch, um von Devil's Head fortzukommen, sobald sie ihre Aufgabe hier erledigt hatten.
Die Aufgabe, für die sie die großen Revolver benötigten, die man ihnen auf dem Dampfer gegeben hatte.
Als die QUEEN OF NEW ORLEANS ihren Weg nach St. Louis fortsetzte, schlichen die beiden Männer durch das Buschwerk der Insel auf deren südliches Ende zu. Dort warteten ihre ahnungslosen Opfer auf sie.
*
»Wenigstens werden wir hier nicht verhungern und verdursten«, meinte Beauregard Devlin pragmatisch, als der Dampfer immer kleiner wurde. »Jedenfalls nicht in den nächsten Tagen.« Er sah auf das kleine Wasserfaß und die Beutel mit Zwieback, Dörrfleisch und Konserven, die man ihnen - gegen Bezahlung - mitgegeben hatte. »Bis wir das aufgebraucht haben, sollte uns längst jemand hier entdeckt haben.«
Jacob hörte nur mit halbem Ohr zu. Seine Gedanken kreisten um das seltsame Leuchten, das sich mit dem Schiff entfernte und immer treu an seiner Seite blieb. Treu bis in den Tod?
»Ist das hier ein Flachskopf?« fragte Martin und machte mit seinem gesunden Arm eine weit ausholende Geste über die ganze Insel.
»Nein«, antwortete der Spieler. »So nennt man nur die neuen Inseln, auf denen sich gerade erst ein Bewuchs gebildet hat. Devil's Head gibt es schon, solange ich denken kann. Auf der Insel wachsen immerhin kleine Bäume. Leider sind sie kaum stark genug, um ein Floß zu bauen. Aber das würde uns auch nicht weiterhelfen. Beide Flußufer sind an dieser Stelle unbewohnt. Es wird tatsächlich das beste sein, auf ein vorbeikommendes Schiff zu warten. Hier in der Flußmitte haben wir die größten Chancen, entdeckt zu werden. Wir sollten Holz für ein Feuer sammeln. Falls in der Nacht ein Schiff kommt, können wir es so auf uns aufmerksam machen. Außerdem sollten wir unsere nassen Hosen trocknen, damit wir uns keine Erkältung einfangen.«