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Sie durchsuchten ihre Gefangenen nach weiteren Waffen, fanden aber nur Messer und das Geld. Die beiden wurden mit Stoffetzen ihrer eigenen Kleidung gefesselt. Als das geschehen war, setzten sich Devlin und die Auswanderer um das Feuer.

»Wir könnten zum Norden der Insel gehen und das Boot der beiden nehmen«, schlug Martin vor.

Devlin schüttelte den Kopf. »Der Mississippi ist um diese Jahreszeit ziemlich reißend. Mit einer Nußschale kommen wir nicht weit, jedenfalls nicht flußaufwärts. Und das ist die Richtung, in die wir müssen, um LaGrange aufzuspüren. Deshalb sollten wir hier auf ein Schiff warten, das flußaufwärts fährt.«

Jacob waren der Haß und die Verachtung aufgefallen, mit der Devlin von dem Plantagenbesitzer gesprochen hatte. Das schien nicht nur an Illinois' Tod und dem Mordauftrag, den Tomlinson und Potter vermasselt hatten, zu liegen. Schon vorher hatte eine Feindschaft zwischen Devlin und LaGrange bestanden, die sich Jacob nicht zu erklären vermochte.

Er gab sich einen Ruck. »Was ist zwischen Ihnen und LaGrange, Devlin? Ich denke, daß Sie Martin und mir eine Erklärung schulden.«

Der Spieler überlegte kurz und meinte dann: »Sie haben wohl recht, Jacob. Ich habe Sie und Ihre Freunde in einen lebensgefährlichen Schlamassel hineingezogen. Wenn Sie es wissen wollen, ich hasse LaGrange schon seit vielen Jahren. Er ist schuld am Tod meines Vaters. LaGranges Baumwollplantage gehörte meinem Vater; ich bin auf ihr aufgewachsen und sollte sie eines Tages übernehmen. Mein Vater war ein ebenso leidenschaftlicher wie guter Spieler, und er spielte immer ehrlich. Was man von LaGrange nicht sagen kann. Er betrieb einen Spielclub und nahm meinem Vater durch sein betrügerisches Spiel alles ab, was er besaß.«

»Wenn es Betrug war, hätte Ihr Vater es zurückfordern können«, warf Martin ein. »Jedes Gericht hätte ihm recht gegeben.«

»Aber nicht ohne Beweise und Zeugen«, erwiderte Devlin. »Und die gab es nicht. Nicht für meinen Vater. Die Mitspieler der Pokerrunde gehörten zu LaGranges Freunden, falls ein Mann wie er überhaupt Freunde hat. Wahrscheinlich hat LaGrange sie bestochen, für ihn auszusagen. Jedenfalls verlief die gerichtliche Untersuchung im Sande. Meine Eltern und ich mußten die Plantage verlassen und waren von den reichsten Leuten Missouris zu den ärmsten geworden. Mein Vater ertrug die Schande nicht und schoß sich eine Kugel durch den Kopf. Kein halbes Jahr später starb meine Mutter. An Altersschwäche, sagte der Arzt. Aber sie war erst vierundfünfzig. In Wahrheit starb sie aus Gram. Seitdem versuche ich, LaGrange als Betrüger zu entlarven. Bis jetzt ohne Erfolg.« Er zeigte auf die Gefangenen. »Mit den beiden als Zeugen habe ich vielleicht endlich Glück und kann ihn hinter Gitter bringen. Vielleicht sogar an den Galgen!«

Jetzt konnte Jacob Devlin verstehen. Wohl besser, als der Spieler ahnte. Dessen Schicksal erinnerte den Deutschen an sein eigenes. Jacobs Familie war durch die betrügerischen Machenschaften der Bierbrauerfamilie Arning um Haus und Hof gebracht worden, und Jacobs Mutter war darüber verstorben.

Wenigstens hatte Jacob das Glück, daß sein Vater und seine drei Geschwister noch lebten. Jedenfalls vermutete er das. So wie er sie hier in Amerika vermutete, wahrscheinlich auf der Plantage seines Onkels Nathan in Texas. Dorthin wollte er aufbrechen, sobald er Irene und Jamie sicher zu Irenes Geliebtem Carl Dilger nach Oregon gebracht hatte.

Nach Devlins Erzählung breitete sich schwermütiges Schweigen in dem Lager aus. Nur das Feuer tanzte, unbeeindruckt von den Sorgen der Menschen, durch die Nacht.

*

Die Ausgesetzten schienen Glück im Unglück zu haben. Gegen drei Uhr morgens verdunkelte der Rauch zweier mächtiger Schornsteine den Himmel über dem Mississippi. Das Schiff kam von Süden, fuhr also in die Richtung, in die sie wollten: flußaufwärts.

Freudig erregt sprangen Devlin und die Auswanderer auf -niemand von ihnen hatte sich schlafen gelegt - und warfen alles verfügbare Holz ins Feuer. Dann liefen sie zum Strand und versuchten sich durch lautes Schreien bemerkbar zu machen.

»Das ist ein riesiger Kahn«, meinte Martin zwischendurch, als er frischen Atem schöpfte. »Kaum kleiner als die QUEEN OF NEW ORLEANS.«

Devlin kniff die Augen zusammen. »Kein Wunder. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ihr Schwesterschiff, die QUEEN OF ST. LOUIS.«

Es sah so aus, als würde der große Dampfer das Feuer und seine Entfacher nicht bemerken oder aus irgendwelchen Gründen ignorieren.

»Es ist die QUEEN OF ST. LOUIS«, stellte Devlin mit Bestimmtheit fest, als der Steamer auf einer Höhe mit der Insel war.

»Aber sie fährt weiter, kümmert sich nicht um uns«, sagte Jacob.

»Vielleicht hat es Captain Henry F. Wilcox zu eilig, seinen Bruder einzuholen. Ein Halt würde einigen Zeitverlust bedeuten.«

Kaum hatte Devlin ausgesprochen, als der Wind Glockengeläut vom Schiff herüberwehte, und schon verstummte das dumpfe Hämmern der Maschinen.

»Sie hält an!« jubelte Martin. »Die ST. LOUIS hat uns gesehen!«

Die Männer beobachteten, wie ein Boot zu Wasser gelassen wurde. Zwei Männer bedienten die Riemen, und das Kommando führte der Erste Offizier des Dampfers, ein Mr. Finch.

Er staunte nicht wenig über die Geschichte der Ausgesetzten und brachte sie wie auch ihre Gefangenen dann zur QUEEN OF ST. LOUIS, wo sie ihren Bericht gegenüber Kapitän Wilcox wiederholten.

Henry F. Wilcox erinnerte in vielem an seinen Bruder, hatte dessen rötliches Haar und auch die weit vorspringende Nase. Aber er war ein paar Jahre jünger, etwas größer, und sein Gesicht wirkte nicht ganz so verhärtet.

Der Steamer war längst wieder unterwegs, als Devlin und die Auswanderer mit ihrem Bericht fertig waren. Wilcox wollte nicht mehr Zeit verlieren als unbedingt nötig.

»Eine fast unglaubliche Geschichte«, befand der Kapitän. »Aber da dieser Mr. Potter sie bestätigt hat, muß ich sie wohl glauben. Ich hätte allerdings nicht gedacht, daß mein Bruder sich mit einem Halsabschneider einläßt. Diese verdammte Rivalität macht uns beide noch kaputt!«

»Wie meinen Sie das, Sir?« erkundigte sich Jacob.

»In dem Bemühen, einander auszustechen, achten wir beide weniger auf den Gewinn, als wir es eigentlich sollten. Vermutlich ist Homer in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weshalb er sich mit LaGrange einlassen mußte. Hoffentlich wird dieser Betrüger für seine Untaten zur Rechenschaft gezogen. Wenn wir Potter und Tomlinson in St. Louis der Polizei übergeben haben, sollte dem eigentlich nichts im Wege stehen.«

»Es wäre besser, wenn wir eher in St. Louis eintreffen als die NEW ORLEANS«, sagte Devlin. »Ich möchte gern sichergehen, daß uns LaGrange und Prescott nicht entwischen.«

»Die QUEEN OF ST. LOUIS tut, was sie kann«, meinte der Kapitän. »Schließlich versuche ich schon seit unserer Abfahrt aus Cairo, die NEW ORLEANS einzuholen. Wenn ich den Maschinen noch mehr Druck zuführe, bringe ich die Kessel an den Rand der Belastbarkeit. Wenn ich Pech habe, darüber hinaus.«

Devlin zählte sein ihm verbliebenes Geld. »Ich habe noch zweitausendfünfhundert Dollar, Captain. Das Geld gehört Ihnen, wenn die ST. LOUIS die NEW ORLEANS einholt.«

Wilcox starrte auf das Geld, während es hinter seiner Stirn arbeitete. »Also gut. Ich werde aus dem Schiff herausholen, was nur irgend möglich ist!«

Kapitän Henry F. Wilcox stieg hinauf ins Ruderhaus, um die nötigen Befehle zu erteilen, und bald erzitterte das ganze Schiff unter dem erhöhten Kesseldruck. Die Rauchfahnen über dem Schiff wurden noch dicker, als es sich mit gesteigerter Geschwindigkeit durch die dunklen Fluten schaufelte.

Devlin ließ Jacob und Martin stehen, ohne ein Wort zu sagen, trat nach vorn aufs Promenadendeck, stützte sich dort auf das Geländer und sah den Fluß hinauf, als könnten seine Augen die Nacht durchdringen, die Entfernung überbrücken und die Distanz ermessen, welche die beiden Schwesterschiffe voneinander trennte.