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Jacob und Martin gesellten sich zu dem Spieler, denn an Schlaf konnte und wollte keiner von ihnen denken. Ein innerer Aufruhr ergriff von ihnen Besitz. Wie die Vorahnung eines kommenden großen Ereignisses.

Aber es war eine dunkle Vorahnung, jedenfalls für Jacob. Das unheimliche Leuchten, das die entschwindende QUEEN OF NEW ORLEANS begleitet hatte, spukte in seinem Kopf herum.

*

So fuhr die QUEEN OF ST. LOUIS in einen leuchtenden Sonnenaufgang hinein, dessen rotgoldene Strahlen Jacobs Sorgen vergeblich zu verdrängen versuchten. Er würde erst wieder ruhig sein, wenn Irene und Jamie wohlbehalten bei ihm waren. Die beiden bedeuteten ihm fast soviel wie seine eigene Familie. Er rief sich ins Gedächtnis zurück, daß sich ihre Wege in Oregon für immer trennen würden. Doch dann zog er es vor, lieber nicht daran zu denken. Denn der Gedanke, Irene zu verlieren, schmerzte ihn sehr.

Mit dem Tageslicht kamen auch die Passagiere an Deck. Mehr und mehr strömten nach dem Frühstück zusammen, um Zeugen des aufregenden Ereignisses zu werden, das sich über die Mannschaft zu ihnen herumgesprochen hatte: ein Wettrennen auf dem Mississippi. Und nicht irgendein Wettrennen, sondern das Duell zwischen den beiden größten, prächtigsten und modernsten Dampfern, die der Vater der Ströme je gesehen hatte.

Das war ein Ereignis, in dessen Bann nach und nach das gesamte Schiff geriet. Niemand an Bord, vom geschniegelten Offizier bis zum verlausten Deckspassagier, schien sich ihm entziehen zu können. Es war, als übertrügen sich die Vibrationen des schwer arbeitenden Schiffes auf die Menschen, nahmen sie gefangen und machten sie zu einem Teil der fieberhaft stampfenden Maschinen.

Die Anspannung und Ruhelosigkeit ließ unter Passagieren und Flußschiffern die Wettleidenschaft ausbrechen. Man setzte darauf, welches Schiff als erstes St. Louis erreichte, oder -wenn man etwas mutiger war und an den sicheren Sieg des eigenen Schiffes glaubte - auf die Tageszeit, zu der die QUEEN OF ST. LOUIS ihr Schwesterschiff überholen würde.

Jedesmal, wenn voraus am Horizont eine Rauchfahne zu sehen war, drängte alles zum Vorschiff, und diejenigen, die auf einen raschen Triumph der QUEEN OF ST. LOUIS gewettet hatten, rieben sich erfreut die Hände. Doch es war jedesmal ein anderes Schiff, dem man begegnete oder das man überholte.

Doch auch diese Begegnungen erhöhten das Fieber, das auf dem großen Steamer grassierte. Denn Kapitän Wilcox hob jedesmal die Flüstertüte an die Lippen und fragte die Besatzungen der anderen Schiffe, wann man der QUEEN OF NEW ORLEANS begegnet sei. Jede Antwort bewies, daß man dem verfolgten Schiff wieder ein Stück näher gerückt war.

Und das Fieber stieg.

Auch Devlin wurde davon ergriffen. Zwar stand er nach so vielen Stunden noch immer auf dem Promenadendeck, unbeweglich wie eine aus Holz geschnitzte Galeonsfigur, aber Jacob und Martin erkannten bei näherem Hinsehen seine wachsende Erregung. Das Mahlen seiner Kiefer, das krampfartige Zucken seiner Hände und sein heftiger werdender Atem, das alles waren Anzeichen von Devlins wachsender Erregung. Der Spieler schien nur noch für den Moment zu existieren, in dem er mit Simon LaGrange und Steve Prescott abrechnen konnte.

Seltsamerweise wurden Jacob und Martin von diesem Fieber nicht gepackt. Vielleicht, weil bei ihnen die Sorge um Irene und Jamie an erster Stelle stand. Das ließ sie nachdenklicher werden als alle anderen an Bord. Obwohl die junge Frau und ihr Sohn in keiner unmittelbaren Gefahr schwebten und eine solche auch nicht ersichtlich war, lastete auf Jacob und Martin ein Ungewisser, aber unleugbarer Druck, der das Gegenteil zu besagen schien.

Obwohl sie keinen Hunger verspürten, nahmen die beiden Freunde ein Frühstück ein. Sie versprachen sich davon etwas Ablenkung, aber das war nur bedingt der Fall. Denn inzwischen hatte sich auch herumgesprochen, daß die beiden Deutschen etwas mit der erhöhten Geschwindigkeit des Schiffes zu tun hatten, und sie wurden von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Sie gaben sich sehr einsilbig, doch es dauerte eine ganze Weile, bis die erregten Menschen sie in Ruhe ließen.

Als am späten Nachmittag zum x-ten Mal der Rauch eines anderen Schiffes den Himmel am Horizont durchschnitt, war die Aufregung weit weniger groß als bei den ersten Schiffen, denen man am Morgen begegnet war. Niemand schien mehr so recht daran zu glauben, heute noch der QUEEN OF NEW ORLEANS zu begegnen.

Doch allmählich zeichnete sich die ungeheure Größe des anderen Dampfers und auch seine Schnelligkeit ab. Bei keinem anderen Schiff hatte die QUEEN OF ST. LOUIS so lange gebraucht, um es einzuholen. Je näher man dem noch unbekannten Steamer kam, desto größer wurde der Verdacht, daß es diesmal tatsächlich das Schwesterschiff war.

Und das Fieber stieg wieder.

Als gerade jedermann mit scheinbarer Gewißheit behauptete, die QUEEN OF NEW ORLEANS vor sich zu sehen, schien sich der Abstand zwischen den Schiffen wieder zu vergrößern. Offenbar hatte man auf dem anderen Dampfer bemerkt, daß man verfolgt wurde, und den Kesseldruck erhöht. Aber das erhärtete nur den Glauben, daß es tatsächlich die QUEEN OF NEW ORLEANS war.

Devlin, Jacob und Martin hielten es auf dem mit Menschen vollgestopften Promenadendeck nicht mehr aus. Sie erklommen die Treppe zur Brücke und durften sie ungehindert betreten, obwohl Passagiere hier oben normalerweise nichts zu suchen hatten. Aber die Matrosen wußten um den besonderen Status der drei Männer, die von Devil's Head gekommen waren.

Im Ruderhaus trafen die drei auf Kapitän Wilcox, Mr. Finch und die beiden Lotsen des Schiffes, Anderson und Haggerty. Anderson stand am Ruder und führte den Steamer mit sicherer Hand durch das leichteste Fahrwasser.

Das Ruderhaus mit seinem Pagodendach sah nicht nur von außen prunkvoll aus, es war auch von innen entsprechend ausgestattet und von einer unerwarteten Geräumigkeit. Hebel und Griffe waren vergoldet, zwei große Sofas mit rotem Samt bezogen, und an den Fensterfronten hingen Vorhänge aus blauem Samt.

Doch die drei Männer vom Promenadendeck hatten dafür kaum einen Blick übrig. Sie interessierte nur das Schiff etwa eine halbe Meile voraus.

»Captain, ist es die NEW ORLEANS?« fragte Devlin erregt.

Zum wiederholten Mal griff Wilcox zu seinem Fernrohr und sah lange hindurch, während alle anderen seine Antwort mit Spannung erwarteten.

»Ja«, sagte er dann, und das Zittern seiner Stimme verriet, daß auch er erregt war. »Sie ist es. Definitiv!«

»Aber wir kommen ihr nicht näher«, stellte Devlin fest.

»Nicht mehr«, sagte der Kapitän. »Offenbar hat mein Bruder bemerkt, daß wir ihm auf den Fersen sind, und den Kesseldruck erhöhen lassen.«

»Dann lassen Sie auch den Druck erhöhen!«

»Das wäre gefährlich. Wir sind bereits an der Belastungsgrenze.«

»Was können wir denn sonst tun?« fragte der Spieler mit einer Spur von Verzweiflung, die gar nicht zu seiner sonst so ruhigen, überlegenen Art paßte.

»Nichts, Mr. Devlin. Die beiden Schiffe gleichen sich wie ein Ei dem anderen, auch ihre Maschinen. Keines ist deshalb wesentlich schneller als das andere. Das einzige, was uns helfen könnte, wäre ein Fehler des Rudergängers drüben auf der NEW ORLEANS.«

»Es ist wirklich ein verflucht harter Job bei dieser Strömung«, bestätigte der Lotse am Ruder. »Wenn man nicht höllisch aufpaßt und das Ruder quer zum Heck dreggen läßt, hat man das Rennen bereits verloren.«

Devlin sah Wilcox mit fast hypnotischem Blick an. »Sie müssen noch mehr Druck geben lassen, Captain! Denken Sie an das Geld und an den Sieg über Ihren Bruder!«

Vielleicht waren es die zweitausendfünfhundert Dollar, die Wilcox lockten, vielleicht auch der Gedanke, über seinen Bruder zu triumphieren. Oder es war Devlins Verlangen, das keinen Widerspruch duldete. Vielleicht alles zusammen. Jedenfalls griff Wilcox zum Sprachrohr und befahl den Maschinisten, mehr Druck zu geben.