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»So ähnlich ist es auch«, entgegnete Jonas. »Allerdings hält Captain Wilcox nicht nach einem Kriegsschiff Ausschau, sondern nach der QUEEN OF ST. LOUIS. Er hat nämlich erfahren, daß die Verladearbeiten erst morgen abgeschlossen werden. Dabei hatte er ursprünglich noch heute auslaufen wollen. Das verringert unseren Abstand zur QUEEN OF ST. LOUIS erheblich und vergrößert deren Chancen, St. Louis vor uns zu erreichen.«

Er zeigte ihnen ihre beiden nebeneinanderliegenden Kabinen an der Backbordseite des Schiffes. Eine Kabine teilten sich Jacob und Martin, die andere war für Irene und den kleinen Jamie bestimmt.

»Merkwürdig«, brummte Martin, als er sein Gepäck verstaute.

»Was?« fragte Jacob.

»Diese Eile, die der Kapitän hat. Fast so, als hätte er Furcht vor dem anderen Schiff. Was treibt die beiden Kapitäne nur dazu, ein ständiges Wettrennen zu veranstalten?«

»Keine Ahnung, Martin. Diese Amerikaner sind ein merkwürdiges Volk. Sie scheinen immer in Eile zu sein.«

»Das sind wir ja auch«, gab Martin zu bedenken. »Aber schließlich gehören wir jetzt zu den Amerikanern.«

»Ja«, meinte Jacob lachend. »Da hast du recht.«

Irene wollte sich mit dem Baby ein wenig ausruhen. Jacob und Martin beschlossen, einen Erkundungsgang über die Decks zu unternehmen. Dabei staunten sie erneut über die riesenhafte Größe des Schiffes, die ihnen jetzt, wo sie sich an Bord befanden, noch gewaltiger erschien als von Land aus.

Unter Deck gab es eine Vielzahl von Gängen mit Abzweigungen, als sei dies eine schwimmende Stadt. Und das war die QUEEN OF NEW ORLEANS in gewisser Hinsicht auch, denn es gab richtige kleine Läden an Bord, in denen sich die Passagiere mit manchem Nötigen und vielem Unnötigen während der Fahrt eindecken konnten. Außerdem war eine Vielzahl von Salons vorhanden, die der abendlichen Zerstreuung dienten, nicht zuletzt dem Glücksspiel.

Die beiden Freunde gingen wieder hinaus, und als sie vom Promenadendeck hinunterschauten, waren sie froh, daß Präsident Lincoln ihnen so komfortable Kabinen hatte zukommen lassen. Denn das Zwischendeck für die weniger begüterten Passagiere war so überfüllt, daß an die hundert Menschen gezwungen waren, auf dem Hauptdeck unter freiem Himmel zu hausen. Wo sie nicht von den Decksaufbauten vor Wind und Sonne geschützt wurden, spannten sie Decken und Planen als behelfsmäßige Dächer und Wände auf.

Überhaupt herrschte jetzt ein buntes Treiben auf den Decks. Auf den oberen flanierten die besser gestellten Passagiere und rümpften teilweise die Nasen über die lärmende Menge unter ihnen, die sich groben Flüchen oder lauten Späßen hingab.

Als Jacob und Martin vom Promenaden- zum Kesseldeck spazierten, entdeckten sie unter sich auf dem Hauptdeck einen kleinen Menschenauflauf. Sie beugten sich über das Geländer und staunten nicht wenig, als sie dort den spitzgesichtigen Spieler und seinen bärtigen Freund erkannten, die drauf und dran waren, eine neue Runde Three Card Monte anzuzetteln. Wieder diente eine einfache Holzkiste als Spieltisch, und wieder spielte der Bärtige den tumben Gelegenheitsspieler, dem es gleichwohl ein leichtes war, die Trumpfkarte im Auge zu behalten.

»Diese Schufte!« entfuhr es Martin, und er wäre am liebsten einfach hinuntergesprungen, um den beiden die Meinung zu sagen. »Sie fangen schon wieder mit ihren Betrügereien an. Wir müssen die Reisenden warnen!«

Er wollte zur nächsten Treppe laufen, aber Jacob hielt ihn zurück. »Ich weiß nicht, ob das so klug ist, Martin. Wenn wir die beiden beschuldigen, müssen wir sie auf frischer Tat ertappen. Aber unsere ungeübten Augen werden kaum in der Lage sein, das Rattengesicht und seinen Kumpan zu überführen.«

Martin sah ihn zweifelnd an. »Aber was sollen wir denn tun?«

»Wohl oder übel den Dingen ihren Lauf lassen und hoffen, daß unsere Mitreisenden schnell genug darauf kommen, daß ihnen von diesen Lumpen nur das Geld aus der Tasche gezogen wird.«

In diesem Moment sah sich der Bärtige durch irgend etwas veranlaßt, nach oben zu sehen. Als er die Deutschen erblickte, versteinerte er, was den Spieler dazu bewegte, seinem Blick zu folgen. Als auch er die beiden Männer sah, die zu ihm hinunterschauten, gaben seine großen Augen das Gekullere auf und fixierten sich auf die Auswanderer. Denen war, als würde der Spitzgesichtige aus seinen Augen tödliche Blitze auf sie abschießen.

Eine allgemeine Aufregung, die das Schiff plötzlich ergriff, enthob Jacob und Martin eines Eingreifens. Das Spiel mit den drei Karten war jetzt nicht mehr interessant. Alles strömte zur flußwärts gelegenen Backbordseite, und auch die beiden Deutschen schlossen sich dem Menschenstrom an.

Dichtgedrängt standen die Menschen dort an den Geländern, ohne die gewiß ein paar Leute von den Nachfolgenden ins Wasser gestoßen worden wären.

»Kannst du etwas sehen?« fragte Martin seinen noch einen halben Kopf größeren Freund.

Der hochgewachsene Zimmermann drängte sich mit seinen breiten Schultern ein Stück weiter nach vorn, stellte sich auf die Zehenspitzen, um über den riesenhaften, mit Federn geschmückten Hut einer eleganten Lady zu blicken, und sah zwei schwarze Rauchsäulen, die von Norden den Fluß herunterkamen.

Da pflanzte sich auch schon ein überall begierig aufgenommener Ausruf von Deck zu Deck: »Die QUEEN OF ST. LOUIS kommt!«

Unwillkürlich drehte sich Jacob um und sah hinauf auf die Brücke, wo der Kapitän noch immer neben dem Ruderhaus stand. Er wirkte wie versteinert, aber in seinen dunklen Augen schien ein Feuer zu brennen. Ein von Haß genährtes Feuer.

*

Die drangvolle Enge an Bord des Schiffes veranlaßte Jacob und Martin, am Abend noch einmal an Land zu gehen und ein letztes Mal durch die Straßen von Cairo zu streifen. Irene fühlte sich nicht recht wohl und blieb mit Jamie an Bord. Deshalb hatten die beiden Freunde Zeit, ihren Streifzug in einem deutschen Bierlokal ausklingen zu lassen, wo sie sich über die bevorstehende Reise unterhielten.

»Ganz so ruhig wie erwartet wird die Fahrt den Mississippi hinauf wohl nicht werden«, meinte Jacob.

»Du meinst, wegen dieses seltsamen Wettrennens, das sich die Schiffe liefern.«

»Allerdings. Ich möchte zu gern wissen, was dahintersteckt.«

Als hätten sie auf dieses Stichwort gewartet, stürmte in diesem Moment eine Gruppe Matrosen lärmend in das Lokal und ließ sich direkt am Nachbartisch nieder. Lautstark zitierten die fünf kräftigen, bereits ordentlich angeheiterten Burschen den Kellner herbei und bestellten >die fünf größten Biere diesseits des Mississippic.

Die plötzliche Unruhe behagte Jacob und Martin nicht. Sie bezahlten ihre Rechnung und standen auf, um das Lokal zu verlassen. Einer der Matrosen, dessen schwarzer Bart fast bis auf seinen Bauch fiel, packte Jacob grob am Arm und hielt ihn fest.

»Was soll das, Sir?« fragte Jacob scharf und riß sich los.

»Will doch nur wissen, weshalb ihr schon wegwollt«, stieß der Vollbärtige mit schwerer Zunge hervor. »Wird doch erst jetzt richtig gemütlich hier drin.«

»Wir wollen auf unser Schiff, damit wir morgen die Abfahrt nicht versäumen«, erklärte Jacob ruhig, weil er einsah, daß er mit einem Betrunkenen Nachsicht üben mußte.

»Aufs Schiff also. Welches Schiff denn?«

»Die QUEEN OF NEW ORLEANS«, antwortete Jacob, wünschte den Matrosen noch einen schönen Abend und verließ mit Martin das Lokal.

Sie gingen durch die belebten Straßen der nächtlichen Stadt zurück zum Hafen. Passagiere und Besatzungen der beiden großen Flußdampfer, die heute eingetroffen waren, sorgten für Trubel und bescherten den Wirtsleuten Cairos ein gutes Geschäft.

Als sie durch eine schmale, unbelebte Gasse gingen, um den Weg zu ihrem Schiff zwischen hohen Lagerhäusern hindurch abzukürzen, hörten sie Schritte hinter sich. Nicht die lauten, ziellosen Schritte von Nachtschwärmern, sondern die auf ungeschickte und erfolglose Art bewußt leisen Schritte von Männern, die Jacob und Martin zu folgen schienen.