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«Und ist sie dazu bereit?«

«Oh, ich glaube schon. Wendy sagt, daß alle Männer um fünfzig solche Probleme haben, weil sie sich beweisen wollen, daß sie noch jung sind. Sie versteht ihn offenbar.«

«Sie verstehen ihn offenbar auch«, sagte ich.

Sie lächelte liebenswürdig.»Aber ja doch. Man sieht das doch immer wieder.«

Als wir unsern Kaffee getrunken hatten, gab ich ihr eine kurze Liste von Agenten, bei denen sie es probieren könnte, und versicherte, daß ich ihr helfen würde, wo ich könne. Danach sagte ich ihr, daß ich ein Geschenk für sie mitgebracht habe. Ich hatte es Steve für sie mitgeben wollen, aber da sie selbst hier war, konnte ich es ihr direkt geben. Es war in meiner Tasche im Umkleideraum.

Ich holte es und gab ihr einen zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter großen Pappumschlag mit der Aufschrift >Fotografien — nicht knicken< um den Rand.

«Machen Sie ihn erst auf, wenn Sie alleine sind«, sagte ich.

«Ausgeschlossen«, sagte sie und öffnete ihn auf der Stelle.

Er enthielt ein Foto, das ich einmal von George gemacht hatte. George sah mit seiner Kamera in der Hand in meine Richtung und lächelte sein sardonisches Lächeln. George in Farbe. George in einer typischen George-Pose: ein Bein vorgestellt, das Gewicht auf dem anderen, Kopf zurück, die Welt als einen schlechten Scherz betrachtend. George wie er leibte und lebte.

Auf der Stelle fiel Marie Millace mir in aller Öffentlichkeit um den Hals und drückte mich an sich, als wollte sie mich nie mehr loslassen, und ich spürte, wie ihre Tränen mir in den Kragen tropften.

Kapitel 15

Die >Zephyr Farm< war tatsächlich befestigt wie ein Fort, umgeben von einem zwei Meter hohen, stabilen Holzzaun und gesichert durch ein Tor, das dem Hochsicherheitsgefängnis Alcatraz alle Ehre gemacht hätte. Ich saß untätig in meinem Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite und wartete darauf, daß es sich auftat.

Ich wartete, während die Kälte nach und nach durch meinen Anorak kroch und meine Hände und Füße betäubte. Wartete, während ein paar unerschrockene Fußgänger ohne einen Blick auf das Tor den schmalen Weg am Zaun entlangeilten. Wartete in der fast vorstädtischen Straße am Stadtrand von Horley, wo das Licht der letzten Straßenlaternen sich in der Dunkelheit verlor.

Niemand ging am Tor aus oder ein. Es blieb hartnäckig geschlossen, verschwiegen und unfreundlich, und nach zwei fruchtlosen Stunden gab ich die kalte Wache auf und nahm mir ein Zimmer in einem Motel am Ort.

Auf meine Nachfragen erhielt ich eine griesgrämige Antwort. Ja, meinte die Frau an der Rezeption, bei ihnen stiegen manchmal Leute ab, die hofften, daß sie ihre Söhne oder Töchter zur Heimkehr von der >Zephyr Farm< bewegen könnten. Es gelinge so gut wie nie, weil man ihnen nicht gestatte, ihre Kinder unter vier Augen zu sprechen, wenn überhaupt. Richtiger Skandal, sagte die Frau an der Rezeption, und das Gesetz sei völlig machtlos. Alle über achtzehn, die Kleinen, verstehen Sie? Alt genug, um zu wissen, was sie tun. Eine Schande.

«Ich will nur herausfinden, ob jemand bestimmtes sich dort aufhält«, sagte ich.

Sie schüttelte den Kopf und meinte, ich hätte keine Chance.

Ich verbrachte den Abend damit, in Hotels und Pubs herumzuziehen und mit diversen Einheimischen, die sich an den Theken festhielten, über die >Auserwählten< zu sprechen. Im wesentlichen teilte man die Auffassung der Empfangsdame: was oder wen auch immer ich von der >Zephyr Farm< wollte, ich würde es nicht bekommen.

«Kommen die nie da raus?«fragte ich.»Vielleicht zum Einkaufen?«

Ich erntete nur ein bedauerndes, spöttisches Lächeln und wurde belehrt, daß die >Auserwählten< sehr wohl herauskamen, immer in Gruppen und immer mit ihren Sammelbüchsen.

«Sie verkaufen irgendwas«, sagte ein Mann.»Versuchen, einem irgendwelche polierten Steine oder so’n Kram zu verkaufen. Betteln eigentlich eher. Für die Sache, sagen sie. Für die Liebe Gottes. Quatsch, sag ich. Ich sag denen, sie sollen doch in die Kirche gehen, und das hören die gar nicht gern, können Sie mir glauben.«

«Und streng geht’s bei denen zu«, sagte eine Kellnerin.»Keine Zigaretten, kein Alkohol, kein Sex. Ich kapier nicht, was die Schwachköpfe da dran finden.«

«Sie tun niemand was«, sagte jemand.»Sind ständig am Lächeln.«

Ich fragte, ob sie morgen vormittag wohl zum Sammeln rauskommen würden. Und wenn ja, wann?

«Im Sommer treiben sie sich immer am Flughafen rum und schnorren die Urlauber an, und manchmal greifen sie sich einen für sich selber… wie Rekruten… aber am ehesten erwischen Sie sie im Stadtzentrum. Gleich hier. Am Samstag… da sind sie sicher da. Ganz sicher.«

Ich dankte allen und ging schlafen, und am nächsten Morgen parkte ich so nah wie möglich am Zentrum und ging zu Fuß durch die Gegend.

Um zehn Uhr herrschte geschäftiges Treiben in der Stadt, und ich rechnete mir aus, daß ich spätestens um halb zwölf aufbrechen mußte, um rechtzeitig nach Newbury zu gelangen, und selbst das war schon ein bißchen knapp. Das erste Rennen war wegen der kurzen Wintertage um halb eins, und obwohl ich in den ersten beiden Rennen nicht ritt, mußte ich eine Stunde vor dem dritten da sein, sonst würde Harold verrückt spielen.

Ich sah keine Sammelgruppen der >Auserwählten<. Überhaupt keine Gruppen. Keine singenden Leute mit rasierten Köpfen und Glöckchen oder etwas dergleichen. Statt dessen berührte ein lächelndes Mädchen mich am Arm und fragte, ob ich einen hübschen Briefbeschwerer kaufen wollte.

Der Stein lag in ihrer Handfläche, keilförmig, grünbraun und poliert.

«Ja«, sagte ich.»Was kostet er?«

«Es ist für einen wohltätigen Zweck«, sagte sie.»Soviel Sie wollen. «Mit der anderen Hand brachte sie ein hölzernes Kästchen zum Vorschein, mit einem Schlitz im Dek-kel, aber ohne den Namen irgendeines Wohltätigkeitsvereins auf den Seiten.

«Was für ein wohltätiger Zweck?«fragte ich freundlich und angelte nach meiner Brieftasche.

«Für viele gute Zwecke«, sagte sie.

Ich nahm eine Pfundnote heraus, faltete sie und schob sie durch den Schlitz.

«Gibt es hier viele Sammlerinnen?«fragte ich.

Sie drehte unwillkürlich den Kopf zur Seite, und als ich ihrem Blick folgte, sah ich ein anderes Mädchen, das jemandem, der an einer Bushaltestelle wartete, einen Stein anbot, und auf der anderen Straßenseite noch eines. Alle waren hübsch, trugen normale Kleidung und lächelten.

«Wie heißen Sie?«fragte ich.

Sie lächelte noch breiter, als wäre das Antwort genug, und gab mir den Stein.»Vielen Dank«, sagte sie.»Ihre Gabe wird viel Segen bringen.«

Ich beobachtete, wie sie die Straße hinunterging, einen anderen Stein aus der Tasche ihres Glockenrocks zog und eine freundlich aussehende alte Dame ansprach. Für Amanda war sie zu alt, dachte ich, obwohl das nicht immer so leicht einzuschätzen war. Vor allem wegen des überirdisch frommen Gesichts, das offenbar alle Mädchen wie ein Abzeichen zur Schau trugen, wie mir kurz darauf klar wurde, als ich einer anderen Steinverkäuferin vor die Füße lief.

«Möchten Sie einen Briefbeschwerer kaufen?«

«Ja«, sagte ich, und das ganze Spiel wiederholte sich.

«Wie heißen Sie?«fragte ich.

«Susan«, sagte sie.»Und Sie?«

Diesmal lächelte ich sie an, schüttelte den Kopf und ging weiter. Binnen einer halben Stunde kaufte ich vier Briefbeschwerer. Zum vierten Mädchen sagte ich:»Ist Amanda heute morgen unterwegs?«

«Amanda? Bei uns gibt’s keine…«Sie stockte, und auch ihr Blick nahm einen verräterischen Weg.