Vor meinen Augen kramte er in seinen Taschen herum und zog ein Scheckbuch und einen Stift hervor. Umständlich legte er das Scheckbuch auf den Pappumschlag, trug das Datum und einen Geldbetrag ein und unterschrieb. Dann trennte er mit zitternden Fingern das Blatt aus dem Buch heraus und hielt es mir hin.
«Nicht nach Hongkong«, sagte er.
Ich verstand nicht gleich, was er meinte, verlegte mich daher wieder aufs Starren.
«Nicht nach Hongkong. Nicht wieder dorthin. Es gefällt mir nicht. «Er flehte wieder, bettelte um Krumen.
«Oh…«Ich versteckte meine Erleuchtung hinter einem Hüsteln.»Irgendwohin«, sagte ich.»Irgendwohin außerhalb von England.«
Es war die richtige Antwort, verschaffte ihm aber keinen Trost. Ich streckte die Hand nach dem Scheck aus.
Er gab ihn mir mit zitternder Hand.
«Danke«, sagte ich.
«Fahr zur Hölle.«
Er drehte sich um und stolperte davon, halb rennend, halb torkelnd, am Boden zerstört. Geschah ihm recht, dachte ich herzlos. Soll er leiden. Es würde nicht allzu lange dauern.
Ich hatte vor, den Scheck zu zerreißen, wenn ich gesehen hatte, wieviel ihm mein Schweigen wert war, wieviel er George bezahlt hatte. Ich hatte es vor, aber ich tat es nicht.
Als ich mir den Scheck ansah, ging mir ein gewaltiges Licht auf, überkam mich ein strahlendes, zunehmend freudiges Gefühl der Ehrfurcht und des Begreifens.
Ich hatte mir Georges Grausamkeit zu eigen gemacht. Ich hatte gefordert, was er selbst gefordert hatte. Sein Alternativvorschlag für Elgin Yaxley.
Ich hatte ihn. Komplett.
Elgin Yaxley ging ins Exil, und ich hielt seinen Scheck über siebeneinhalbtausend Pfund in der Hand.
Er war nicht auf mich oder auf den Überbringer oder gar auf den Nachlaß von George Millace ausgestellt, sondern auf den Fonds für verletzte Jockeys.
Kapitel 16
Ich lief eine Weile durch die Gegend, um einen ganz bestimmten Ex-Jockey zu finden, der einer der Hauptverwalter des Fonds war, und spürte ihn schließlich in der Gästeloge einer Fernsehgesellschaft auf. Dort herrschte großes Gedränge, aber ich konnte ihn loseisen.
«Drink gefällig?«sagte er und hob sein Glas.
Ich schüttelte den Kopf. Ich trug Rennfarben, Reithose, Stiefel und Anorak.»Ich bin doch nicht lebensmüde und sauf vor dem Rennen mit euch.«
Er sagte freundlich:»Was kann ich für dich tun?«
«Einen Scheck entgegennehmen«, sagte ich und übergab ihn ihm.
«Puh«, sagte er einen Blick darauf werfend.»Oder besser gesagt, Donnerwetter.«
«Ist Elgin Yaxley zum ersten Mal so großzügig?«
«Nein«, sagte er.»Er hat uns vor ein paar Monaten zehntausend gegeben, kurz bevor er nach Übersee gegangen ist. Wir haben natürlich angenommen, aber einige der Treuhänder haben sich gefragt, ob er nicht vielleicht mit dem Geld sein Gewissen beschwichtigen wollte. Ich meine… die Versicherung hatte ihm gerade hunderttausend ausgezahlt für seine Pferde, die erschossen wurden. Die ganze Geschichte hat ja verdammt faul ausgesehen.«
«Mhm. «Ich nickte.»Tja… Elgin Yaxley sagt, daß er das Land wieder verläßt, und er hat mir den Scheck für euch übergeben. Nimmst du ihn an?«
Er lächelte.»Wenn sein Gewissen ihn wieder plagt, können wir ruhig wieder davon profitieren. «Er faltete den Scheck, steckte ihn ein und klopfte auf die Tasche, in der er sich befand.
«Hast du schon öfter solche hohen Schecks bekommen?«erkundigte ich mich beiläufig.
«Manchmal hinterläßt jemand eine große Summe in seinem Testament, aber nicht. nicht soviel wie Elgin Yaxley.«
«Ist Ivor den Relgan zufällig ein großer Spender?«
«Na ja, er hat uns zu Beginn der Saison tausend gegeben. Irgendwann im September. Sehr großzügig.«
Ich überlegte.»Führt ihr Buch über die Leute, die spenden?«
Er lachte.»Nicht über alle. Tausende von Leuten spenden im Laufe der Jahre. Rentner, Kinder, Hausfrauen. Alle nur erdenklichen Leute. «Er seufzte.»Wir scheinen nie genug zu haben für das, was wir tun müssen, aber wir sind stets für jede noch so kleine Unterstützung dankbar… Aber das weißt du doch alles.«
«Ja. Trotzdem vielen Dank.«
«Nichts zu danken.«
Er ging zu der munteren Gesellschaft zurück, und ich ging zum Waageraum und ließ mich und meinen Sattel für das letzte Rennen wiegen.
Ich war genauso schlimm wie George, dachte ich. Haargenau so schlimm. Ich hatte mittels Drohung Geld erpreßt. Es erschien mir gar nicht mehr so gemein, nachdem ich es selbst getan hatte.
Harold sagte im Führring scharf:»Du wirkst verdammt zufrieden mit dir selbst.«
«Nur mit dem Leben im allgemeinen.«
Ich hatte einen Sieger geritten. Ich hatte mit ziemlicher Sicherheit Amanda gefunden. Ich hatte erheblich mehr über George herausgefunden. Ich hatte zwar auch diverse Tritte und Schläge einstecken müssen, aber das war nicht der Rede wert. Alles in allem kein übler Tag.
«Das hier ist der Hurdler, der bei der Übungsrunde am letzten Samstag Mist gebaut hat. Ich weiß, daß du ihn nicht geritten hast. es war nicht deine Schuld. aber achte bloß darauf, daß er klar und deutlich sieht, wo er drüber muß. Klar? Setz dich an die Spitze und mach das Rennen, damit er freie Sicht hat. Er wird nicht die ganze Strecke durchhalten, aber es ist ein großes Feld, und ich will nicht, daß er gleich am Anfang von der Meute angerempelt wird und die Übersicht verliert. Kapiert?«
Ich nickte. Es gab dreiundzwanzig Teilnehmer, fast die zulässige Höchstzahl für diese Art von Rennen. Harolds Hurdler lief nervös im Führring herum und schwitzte jetzt schon vor Aufregung, und ich wußte aus Erfahrung, daß es ein Tier war, an das man besänftigend und ruhig herangehen mußte.
«Jockeys, bitte aufsitzen«, ertönte die Ansage, und der Hurdler und ich kamen einigermaßen ruhig zusammen und zum Start.
Ich stellte mich darauf ein, mich an die Spitze zu setzen, weg aus der Gefahrenzone, und als das Band hochflog, flitzten wir los. Über das erste Hindernis, in Führung wie befohlen; guter Sprung, kein Problem. Über das zweite
Hindernis, knapp in Führung; passabler Sprung, kein Problem. Über das dritte.
In Führung, wie befohlen, beim dritten. Miserabler, katastrophaler Sprung, alle vier Beine schienen sich im Hindernis zu verfangen, statt darüber hinwegzusetzen, genau der gleiche Mist, den er am Übungshindernis zu Hause angerichtet hatte.
Wir krachten zusammen auf die Bahn, und zweiundzwanzig Pferde setzten nach uns über das Hindernis.
Pferde bemühen sich nach Kräften, nicht auf am Boden liegende Menschen oder Pferde zu treten, aber bei so vielen, die so dicht gedrängt und so schnell waren, wäre es ein Wunder gewesen, wenn mich keins erwischt hätte. Man konnte in solchen Fällen nie sagen, wie viele galoppierende Hufe einen trafen, dazu ging es immer viel zu schnell. Man kam sich vor wie eine Puppe, die unter eine wildgewordene Herde geraten ist.
So etwas war mir schon öfters passiert. Es würde auch in Zukunft passieren. Ich lag schmerzverkrümmt auf der Seite, starrte auf ein Grasbüschel vor meiner Nase und dachte, daß das eine verdammt alberne Art war, sich seine Brötchen zu verdienen.
Ich mußte fast lachen. Ich hatte diesen Gedanken schon öfter gehabt, dachte ich. Jedesmal, wenn ich so im Dreck lag, ging er mir durch den Kopf.
Die Erste Hilfe rückte an, und viele Hände halfen mir auf. Offenbar nichts gebrochen. Dem Himmel sei Dank für starke Knochen. Ich schlang die Arme um meinen Körper, als könnte eine Umarmung meine Schmerzen lindern.
Das Pferd war aufgestanden und hatte sich unverletzt davongemacht. Ich fuhr in einem Krankenwagen zur Tribüne zurück, demonstrierte dem Arzt, daß ich im großen und ganzen intakt war, und quälte mich langsam in meine Straßenkleidung.
Als ich aus dem Waageraum kam, waren die Leute schon nach Hause gegangen, aber Harold stand noch da, zusammen mit Ben, seinem ersten Pferdepfleger.