«Ist alles in Ordnung?«wollte Harold wissen.
«Klar.«
«Ich fahr dich nach Hause«, sagte er.»Ben kann deinen Wagen fahren.«
Ich sah die große Sorge in beiden Gesichtern und protestierte nicht dagegen. Langte in meine Tasche und gab Ben meine Schlüssel.
«Das war ein verdammt übler Sturz«, sagte Harold, als wir zum Tor hinausfuhren.»Echt brutal.«
«Mhm.«
«Ich war froh, wie du wieder aufgestanden bist.«
«Ist das Pferd o.k.?«
«Ja, das blöde Mistvieh.«
Wir fuhren in angenehmem Schweigen Richtung Lam-bourn. Ich fühlte mich völlig zerschlagen und zittrig, aber das würde vorübergehen. Es ging immer vorüber und würde auch in Zukunft vorübergehen, bis ich zu alt dafür war. Bevor mein Körper aufgab, würde ich innerlich zu alt dafür sein, dachte ich.
«Sagst du mir Bescheid, wenn Victor Briggs wieder mal herkommt?«sagte ich.
Er sah mich von der Seite an.»Du willst ihn sprechen? Hat doch sowieso keinen Sinn. Victor macht, was er will.«»Ich will wissen… was er will.«
«Warum läßt du’s nicht einfach gut sein?«
«Weil es nicht gut ist. Ich hab’s versucht… es geht nicht. Ich will mit ihm reden… und keine Bange. Ich geh diplomatisch vor. Ich will den Job nicht verlieren. Ich will nicht, daß du Victors Pferde verlierst. Keine Bange. Mir ist das alles klar. Ich will mit ihm reden.«
«Na schön«, sagte Harold zweifelnd.»Wenn er auftaucht, sag ich dir Bescheid.«
Er hielt vor meiner Haustür.
«Bist du wirklich soweit o.k.?«sagte er.»Du siehst ganz schön durchgeschüttelt aus. häßlicher Sturz. Schrecklich.«
«Ich werd ein heißes Bad nehmen… das löst die Verspannung. Danke fürs Heimbringen.«
«Meinst du, du bist nächste Woche wieder fit? Dienstag in Plumpton?«
«Ganz sicher«, sagte ich.
Es wurde bereits dunkel. Ich ging durchs Haus, zog die Vorhänge zu, knipste das Licht an, setzte Kaffee auf. Bad, Essen, Fernsehen, Aspirin, Bett, dachte ich, und beten, daß ich mich am nächsten Morgen nicht zu zerschlagen fühlen würde.
Ben parkte mein Auto auf dem Abstellplatz, gab mir die Schlüssel durch die Hintertür und sagte gute Nacht.
Mrs. Jackson, die Frau des Pferdetransportfahrers von nebenan, kam herüber, um mir zu sagen, daß ein Steuerbeamter dagewesen sei.
«Ach ja?«sagte ich.
«Ja. Gestern. Ich hoffe, es ist Ihnen recht, daß ich ihn reingelassen hab, oder? Aber keine Sorge, Mr. Nore, ich hab ihn nicht aus den Augen gelassen. Ich hab nämlich mit ihm die Runde gemacht. Er war nur fünf Minuten hier drin. Hat nichts angerührt. Nur die Zimmer gezählt. Ist doch in Ordnung, oder? Hat Papiere vom Amt gehabt.«
«Es hat sicher alles seine Ordnung, Mrs. Jackson.«
«Und Ihr Telefon«, sagte sie.»Es hat dauernd geklingelt, x-mal. Ich hör das nämlich durch die Wand, wenn alles ruhig ist. Ich wußte nicht, ob Sie wollen, daß ich rangehe. Ich mach das gern, jederzeit, wenn Sie wollen.«
«Nett von Ihnen«, sagte ich.»Ich sag Ihnen Bescheid, wenn’s nötig ist.«
Sie nickte mir strahlend zu und ging. Sie würde mich liebend gern bemuttern, wenn ich sie ließe, und sie hatte den Steuerbeamten sicher mit Freuden eingelassen, da sie sich gern in meinem Haus umsah. Neugierige, freundliche, adleräugige Nachbarin, die Päckchen entgegennahm und stets mit Klatsch und Tratsch und Ratschlägen zur Stelle war. Ihre zwei Jungs hatten einmal mit ihrem Fußball mein Küchenfenster kaputtgeschossen.
Ich rief Jeremy Folk an. Er war außer Haus, ob ich eine Nachricht hinterlassen wolle? Richten Sie ihm aus, daß ich gefunden habe, was wir gesucht haben, sagte ich.
In dem Moment, als ich den Hörer auflegte, klingelte das Telefon. Ich nahm wieder ab und hörte eine atemlose Kinderstimme:»Ich kann Ihnen sagen, wo der Reitstall ist. Bin ich die erste?«
Ich mußte bedauernd verneinen. In den nächsten zwei Stunden mußte ich die traurige Nachricht noch zehn anderen Kindern mitteilen. Einige davon fragten enttäuscht nach, ob ich auch wirklich die richtige Auskunft bekommen hatte — >Zephyr Farm<? Und einige erkundigten sich, ob ich wüßte, daß der Hof schon seit Jahren irgendwelchen religiösen Spinnern gehöre. Ich fragte sie, ob sie wüßten, wie die >Auserwählten< an den Hof gekommen seien, und kam schließlich an einen Vater, der es wußte.
«Wir waren mit den Leuten, die die Reitschule hatten, befreundet«, sagte er.»Sie wollten nach Devon umziehen und suchten nach einem Käufer für den Hof, und diese Fanatiker sind einfach eines Tages mit Koffern voller Geld aufgetaucht und haben das Anwesen auf der Stelle gekauft.«
«Wie haben die Fanatiker denn davon erfahren? War der Hof inseriert?«
«Nein…«Er dachte nach.»Ach, jetzt fällt es mir wieder ein. Durch eins von den Kindern, die die Ponys geritten haben. Ja, richtig. Süßes kleines Mädchen. Mandy Soundso. War immer da. Die Kleine hat oft wochenlang bei unseren Freunden gewohnt. Ich habe sie oft gesehen. Da war irgendwas mit ihrer Mutter, ich glaube, sie lag im Sterben, und dieser religiöse Verein hat sich um sie gekümmert. Durch die Mutter haben sie gehört, daß der Reitstall zum Verkauf stand. Sie haben damals in irgendeiner Ruine gewohnt, glaube ich, und wollten was Besseres.«
«Sie erinnern sich nicht zufällig an den Namen der Mutter?«
«Nein, leider nicht. Ich glaube, ich habe ihn nie gewußt, und nach all den Jahren.«
«Sie haben mir außerordentlich geholfen«, sagte ich.»Ich werde Ihrem Peter die zehn Pfund schicken, obwohl er nicht der erste war.«
Der Vater kicherte.»Da wird er sich freuen.«
Ich ließ mir seine Adresse und auch den Namen der Leute geben, denen der Hof gehört hatte, aber Peters Vater sagte, daß er über die Jahre den Kontakt verloren hatte und nicht mehr wußte, wo sie lebten.
Jeremy konnte sie ausfindig machen, dachte ich, falls es nötig war. Nachdem ich gebadet und gegessen hatte, nahm ich das Telefon aus der Küche mit nach oben und stöpselte es im Wohnzimmer ein, wo es mich eine weitere Stunde lang beim Fernsehen störte. Gott segne die kleinen Kinder, dachte ich und fragte mich, wieviel tausend wohl noch anrufen würden. Kein Kind war je hinter der hohen Holzbarrikade gewesen, es waren immer die Mütter und Väter, die in jungen Jahren dort geritten waren.
Um neun Uhr hatte ich gründlich die Nase voll davon. Trotz des langen heißen Einweichens versteiften sich meine schwer geprellten Muskeln allmählich, und der beste Platz für meine geschundenen Glieder war das Bett. Da mußt du durch, dachte ich. Ich würde mich lausig fühlen. Das war immer so, für etwa vierundzwanzig Stunden, nach so vielen Tritten. Wenn ich ins Bett ging, konnte ich das Schlimmste verschlafen.
Ich zog den Telefonstecker heraus und ging in Hemdsärmeln runter ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen; da klingelte es an der Haustür.
Fluchend ging ich nachsehen, wer da war.
Öffnete die Tür.
Vor mir stand Ivor den Relgan mit einer Pistole in der Hand.
Ich starrte fassungslos auf die Waffe.
«Zurück«, sagte er.»Ich komme rein.«
Es wäre glatt gelogen, wenn ich behaupten würde, daß ich keine Angst hatte. Ich war sicher, daß er mich töten würde. Ich fühlte mich körperlos. Schwebend. Mein Blut raste.
Zum zweiten Mal an diesem Tag blickte mir der blanke Haß entgegen, und verglichen mit dem von den Relgan war der von Elgin Yaxley bloße Gereiztheit gewesen.
Er scheuchte mich mit der tödlichen schwarzen Waffe zurück, und ich machte ein paar Schritte rückwärts, fast ohne meine Füße zu spüren.
Er trat durch meine Haustür und stieß sie mit dem Fuß hinter sich zu.
«Sie werden bezahlen«, sagte er,»für das, was Sie mir angetan haben.«
Seien Sie vorsichtig, hatte Jeremy gesagt.