Ich war es nicht gewesen.
«George Millace war übel«, sagte er.»Sie sind schlimmer.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt in der Lage sein würde zu sprechen, aber ich versuchte es. Meine Stimme klang sonderbar, fast piepsig.
«Haben Sie…«, sagte ich,»… sein Haus angesteckt?«
Sein Blick flackerte. Sein von Natur aus arroganter Gesichtsausdruck, der überstanden hatte, was immer Lord White ihm gesagt haben mochte, war durch irgendwelche sinnlosen Fragen in letzter Minute nicht zu erschüttern. Seine Notlage hatte seine Überheblichkeit eher noch gesteigert, als wäre der Glaube an seine eigene Bedeutung das einzige, was ihm geblieben war.
«Eingebrochen, verwüstet, abgebrannt«, sagte er voller
Wut,»und die ganze Zeit hatten Sie das Zeug… Sie falsche Schlange.«
Ich hatte das Fundament seiner Macht zerstört. Ihm seine Autorität geraubt. Nun stand er buchstäblich so nackt da wie auf dem Balkon in St. Tropez.
George mußte die Bilder als Druckmittel benutzt haben, um zu bewirken, daß den Relgan aufhörte, sich an den Jockey Club heranzumachen. Ich hatte sie dazu benutzt, daß man ihn hinauswarf.
Er hatte sich in den Augen der Rennleute etwas Ansehen verschafft, Vertrauen erworben. Jetzt hatte er alles verloren. Nicht drin zu sein war eine Sache, aber drin zu sein und dann wieder draußen, war etwas ganz anderes.
George hatte die Bilder niemandem außer den Relgan gezeigt.
Ich schon.
«Zurück«, sagte er.»Da rüber. Wird’s bald.«
Er wedelte mit der Pistole. Eine Automatic. Blöder Gedanke. Spielte keine Rolle.
«Meine Nachbarn werden den Schuß hören«, sagte ich hoffnungslos.
Er grinste spöttisch und sagte nichts.»Zurück, an der Tür da vorbei.«
Es war die Tür zur Dunkelkammer. Fest geschlossen. Selbst wenn ich lebendig da reinspringen konnte. keine Rettung. Kein Schloß. Ich ging daran vorbei.
«Halt«, sagte er.
Ich mußte rennen, dachte ich wild. Mußte es wenigstens versuchen. Ich drehte mich bereits auf dem Ballen eines Fußes, als krachend die Küchentür aufflog.
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, den Relgan hätte mich verfehlt, und die Kugel hätte irgendwelches Glas zertrümmert, aber dann ging mir auf, daß er gar nicht geschossen hatte. Durch die Hintertür kamen Leute ins Haus. Zwei Leute. Zwei übereifrige, kräftige junge Männer. mit Strumpfmasken.
Sie hatten es sehr eilig, prallten gegeneinander, schnell, gierig, voller Zerstörungswut.
Ich versuchte, mich zur Wehr zu setzen.
Ich versuchte es.
Allmächtiger Gott, dachte ich, nicht dreimal am Tag. Wie konnte ich es ihnen klarmachen. Es waren schon genug Adern geplatzt und bluteten unter der Haut… schon zu viele Muskelfasern gequetscht und zerrissen… schon zuviel Schaden angerichtet. Wie konnte ich das erklären. und wenn, hätte es doch nichts genützt. Sie eher noch gefreut.
Gedanken zerstreuten sich und verflogen. Ich konnte nicht sehen, nicht schreien, kaum atmen. Sie trugen rauhe Lederhandschuhe, die mir die Haut aufrissen, und die Schläge in mein Gesicht raubten mir die Sinne. Als ich zu Boden ging, benutzten sie ihre Stiefel. Gegen Glieder, Rücken, Magen, Kopf.
Ich trat vollends weg.
Als ich wieder zu mir kam, war alles ruhig. Ich lag auf dem weißen Fliesenboden, die Wange in einer Blutlache. Ich fragte mich umnebelt, wessen Blut es war. Trat wieder weg.
Es ist mein Blut, dachte ich.
Versuchte, die Augen zu öffnen. Irgendwas nicht in
Ordnung mit den Augenlidern. Wenn schon, dachte ich, ich lebe — und trat wieder weg.
Er hat nicht auf mich geschossen, dachte ich. Hat er auf mich geschossen? Ich versuchte, mich zu bewegen, um es herauszufinden. Übler Fehler.
Als ich versuchte, mich zu bewegen, versteifte sich mein ganzer Körper, verspannte sich von Kopf bis Fuß in einem gewaltigen Krampf. Die vernichtende, unerwartete Schmerzensqual raubte mir den Atem. Schlimmer als ein Bruch, schlimmer als ausgekugelte Gelenke, schlimmer als alles andere.
Meine Nerven schreien, dachte ich. Fordern mein Gehirn auf abzuschalten. Meldeten, daß zuviel verletzt war, zuviel zerstört, nichts sich bewegen durfte. Zuviel blutete in meinem Innern.
Herr im Himmel, dachte ich, laß mich, hör auf. Ich bewege mich schon nicht. Ich bleibe einfach hier liegen.
Nach langer Zeit löste sich der Krampf, und ich lag erleichtert da, ein kraftloser Haufen. Zu nichts in der Lage als zu beten, daß der Krampf nicht zurückkam. Zu zerschlagen, um einen vernünftigen Gedanken fassen zu können.
Auf die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, hätte ich gut und gern verzichten können. Gedanken an Menschen, die an der Verletzung innerer Organe starben… Niere, Leber, Milz. Gedanken daran, wie schwer es mich eigentlich erwischt hatte, daß die Reaktion so heftig ausfiel. Gedanken daran, daß den Relgan zurückkäme, um seinen Job zu Ende zu bringen.
Den Relgans Weltbürgerstimme:»Sie werden für das bezahlen, was Sie mir angetan haben.«
Bezahlen mit Fleischwunden, inneren Blutungen und grauenhaften Schmerzen. Bezahlen mit der Angst, daß ich hier im Sterben lag. Innerlich verblutend. Wie Leute eben starben, die man zu Tode geprügelt hatte.
Jahre vergingen.
Wenn irgendein inneres Organ verletzt war, dachte ich. Leber, Niere, Milz. und blutete, müßte sich das irgendwie bemerkbar machen: flacher Atem, flatternder Puls, Durst, Unruhe, Schweiß. Nichts davon schien einzutreten.
Nach einiger Zeit faßte ich Mut, in dem Bewußtsein, daß es zumindest nicht schlimmer wurde. Vielleicht konnte ich mich sachte und vorsichtig bewegen.
Weit gefehlt. Wieder befiel mich der Starrkrampf, genauso schlimm wie zuvor.
Schon die Absicht, mich zu bewegen, hatte genügt. Schon die ausgesandte Botschaft. Sie wurde nicht in Bewegung umgesetzt, sondern in einen Krampf. Für meinen Körper war es wohl die beste Art der Verteidigung, aber ich konnte es kaum aushalten.
Es dauerte zu lange und ließ nur langsam nach, zögernd, als drohte es, zurückzukommen. Ich rühr mich nicht, versprach ich. Ich rühr mich nicht… nur hör auf… hör auf.
Die Lichter im Haus waren an, aber die Heizung war aus. Mir wurde sehr kalt, ich erstarrte buchstäblich. Kälte stoppt Blutungen, dachte ich. Kälte war nicht das Schlechteste. Kälte würde all die offenen Blutgefäße in meinem Innern verengen und das rote Zeug daran hindern herauszutröpfeln, an Stellen, wo es nicht hingehörte. Die inneren Blutungen würden gestoppt. Die Genesung konnte beginnen.
Ich lag stundenlang ruhig da und wartete. Verwundet, aber lebendig. Zunehmend sicher, daß ich Glück gehabt hatte.
Wenn ich nicht tödlich verletzt war, kam ich mit dem übrigen schon zurecht. Vertrautes Gebiet. Nervtötend, aber bekannt.
Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Konnte meine Uhr nicht sehen. Ob ich wohl meinen Arm bewegen kann, dachte ich. Nur meinen Arm. Das könnte ich schaffen, wenn ich vorsichtig war.
Es hörte sich einfach an. Der totale Krampf blieb aus, aber die gezielte Meldung an meinen Arm führte nur zu einem Zucken. Verrückt. Nichts funktionierte. Alle Leitungen blockiert.
Nach einer weiteren langen Pause versuchte ich es noch einmal. Versuchte es zu heftig. Der Krampf kam wieder, raubte mir den Atem, umklammerte mich wie ein Schraubstock, am schlimmsten jetzt im Magen, nicht so heftig in den Armen, aber starr, schrecklich, furchterregend, zu lange anhaltend.
Ich lag die ganze Nacht und weit in den Morgen hinein auf dem Boden. Die Blutlache unter meinem Kopf wurde klebrig und trocknete ein. Mein Gesicht fühlte sich an wie ein klumpig ausgestopftes Kissen. Mein Mund war voller Schnitte, die sich entzündet hatten, und mit der Zunge konnte ich die gezackten Ränder abgebrochener Zähne fühlen.
Schließlich hob ich den Kopf vom Boden.
Kein Krampf.
Ich lag im hinteren Teil der Diele, nicht weit von der
Treppe entfernt. Zu dumm, daß das Schlafzimmer oben war. Genau wie das Telefon. Ich könnte Hilfe herbeirufen. wenn ich die Treppe hinaufkäme.