Sie sagte drängend:»Bitte geben Sie mir… was ich für George Millace geschrieben habe.«
Ich lag wortlos da und schloß mein ausdauerndes Auge. Sie mißdeutete meine Passivität, die in Wahrheit auf Ahnungslosigkeit zurückzuführen war, und überschüttete mich mit einer Flut leidenschaftlichen Bettelns.
«Ich weiß, daß Sie denken… wie ich Sie fragen kann, nachdem Ivor Sie so zugerichtet hat. wie ich auch nur das geringste Entgegenkommen erwarten kann. oder Vergebung. oder Freundlichkeit. «Aus ihr sprach ein Wirrwarr aus Scham und Verzweiflung und Wut und Beschwörung, jede Empfindung erhob sich wie eine Welle und ebbte ab, um der nächsten Platz zu machen. Es war nicht eben die leichteste Aufgabe, jemanden um einen Gefallen zu bitten, der vom eigenen Vater. Ehemann?. Liebhaber?. halb massakriert worden war, aber sie tat ihr Bestes.»Bitte, bitte, ich flehe Sie an, geben Sie sie mir zurück.«
«Ist er Ihr Vater?«sagte ich.
«Nein. «Ein Hauch, ein Flüstern, ein Seufzer.
«Was dann?«
«Wir haben… eine Beziehung.«
Was du nicht sagst, dachte ich trocken.
Sie sagte:»Bitte geben Sie mir die Zigaretten.«
Die was? Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
Ich bemühte mich, nicht zu murmeln, meine schwere Zunge geschmeidig zu machen, und sagte:»Erzählen Sie mir von. Ihrer Beziehung. zu den Relgan. und von. Ihrer Beziehung zu Lord White.«
«Wenn ich’s Ihnen erzähle, geben Sie’s mir dann? Bitte, bitte, ja?«
Sie schloß aus meinem Schweigen, daß sie zumindest hoffen konnte. Sie verhaspelte sich in Erklärungen, die Worte purzelten übereinander, immer wieder durchsetzt von stockenden Pausen, und von vorne bis hinten voller Bedauern und Rechtfertigung, mit einem deutlichen Beigeschmack von >Ich Ärmste, man hat mich ausgenutzt, ich kann nichts dafür.<
Ich öffnete meinen Augenschlitz, um sie zu beobachten.
«Ich bin seit zwei Jahren mit ihm zusammen… nicht verheiratet, so eine Beziehung war es nie… nichts Häusliches, nur.«
Nur Sex, dachte ich.
«Sie reden wie er«, sagte ich.
«Ich bin Schauspielerin. «Sie wartete leicht herausfordernd auf meinen Widerspruch, aber da gab es nichts zu widersprechen. Eine sehr gute Schauspielerin, wenn man mich fragte. Gewerkschaftsausweis? dachte ich hämisch, hatte aber keine Lust zu fragen.
«Letzten Sommer kam Ivor eines Tages mit einer fantastischen Idee an«, sagte sie.»Er schäumte über vor Selbstzufriedenheit… wenn ich mitmachte, würde er dafür sorgen, daß es nicht zu meinem Schaden wäre… Ich meine, er meinte…«Sie unterbrach sich, aber es war klar, was er gemeint hatte: nicht zu ihrem finanziellen Schaden. hübscher Euphemismus für eine saftige Bestechung.
«Er hat gesagt, bei den Rennen gebe es einen Mann, der gerne flirte. Vorher hatte er mich nie zur Rennbahn mitgenommen. Aber er hat mich gefragt, ob ich mit ihm hingehen und mich als seine Tochter ausgeben und dem Mann den Kopf verdrehen wolle. Es sollte ein Scherz sein, verstehen Sie, Ivor hat gesagt, der Mann hätte einen untadeligen Ruf und er wolle ihm einen Streich spielen… Das hat er jedenfalls gesagt. Er hat gesagt, dem Mann sei deutlich anzumerken, daß er auf ein Sexabenteuer aus sei… so, wie er den hübschen Mädchen nachsah, ihre Arme tätschelte, Sie wissen schon, was ich meine.«
Ich dachte, wie sonderbar es sein mußte, ein hübsches Mädchen zu sein und es ganz normal zu finden, daß Männer in mittleren Jahren auf der Suche nach Sex durch die Gegend liefen, und damit zu rechnen, daß sie einem die Arme tätschelten.
«Also sind Sie mitgegangen?«sagte ich.
Sie nickte.»Er war süß… John White. Es war ganz leicht. Ich meine… er hat mir gefallen. Ich habe einfach gelächelt… und er hat mir gefallen… und er… also… ich meine, es stimmte, was Ivor gesagt hatte, er war auf der Suche — und ich war zur Stelle.«
Sie war zur Stelle, dachte ich, hübsch und nicht zu beschränkt und bemüht, ihn einzufangen. Armer Lord White, an der Angel, weil er es nicht anders wollte. Zum Narren gemacht durch sein närrisches Alter, durch seine Sehnsucht nach Jugend.
«Ivor wollte John natürlich für seine Zwecke nutzen. Das habe ich gewußt, das war offensichtlich, aber ich fand das nicht so schlimm. Ich meine… was war schon dabei? Alles lief gut, bis Ivor und ich für eine Woche nach St. Tropez gefahren sind. «Das hübsche Gesicht verfinsterte sich vor Wut beim Gedanken daran.»Und dieser widerliche Fotograf hat Ivor geschrieben. ihn aufgefordert, Lord White in Ruhe zu lassen, sonst würde er ihm die Fotos von uns. von Ivor und mir. zeigen. Ivor war fuchsteufelswild, ich habe ihn noch nie so wütend gesehen. außer diese Woche.«
Wir dachten beide an die gleiche Wut, die wir diese Woche bei Ivor den Relgan miterlebt hatten.
«Weiß er, daß Sie hier sind?«sagte ich.
«Um Gottes willen, nein. «Sie sah entsetzt aus.»Er weiß es nicht. er haßt Drogen. deswegen haben wir immer Streit. George Millace hat mich gezwungen, die Liste zu schreiben… hat gesagt, daß er John die Bilder zeigen würde, wenn ich mich weigere… Ich habe George Millace gehaßt. aber Sie. Sie werden sie mir doch zurückgeben?
Bitte… bitte… Sie müssen doch einsehen, daß… daß ich damit bei allen, die eine Rolle für mich spielen, unten-durch wäre… Ich bezahle auch. Ich bezahle dafür… wenn Sie sie mir geben.«
Jetzt kommt der spannende Moment, dachte ich.
«Was soll ich Ihnen eigentlich geben?«sagte ich.
«Die Zigarettenschachtel natürlich. Auf der alles draufsteht.«
«Ja. warum haben Sie auf eine Zigarettenschachtel geschrieben?«
«Ich habe mit dem roten Filzstift auf die Hülle geschrieben. George Millace hat gesagt, ich soll eine Liste machen, und ich habe gesagt, daß ich das nie machen würde, egal was er tut, und er hat gesagt, ich soll’s mit dem Stift auf die Zellophanhülle von den Zigaretten schreiben, dann könnte ich jederzeit abstreiten, daß ich’s getan hätte, weil niemand ein Gekritzel auf einer Zigarettenhülle ernstnehmen würde…«Sie verstummte jäh und sagte mit erwachendem Argwohn:»Sie haben es doch? George Millace hat es Ihnen doch gegeben. zusammen mit den Bildern. oder?«
«Was steht auf. dieser Liste?«
«Mein Gott«, sagte sie.»Sie haben sie gar nicht. Sie haben sie nicht, und ich bin hierhergekommen… habe Ihnen alles erzählt… für nichts und wieder nichts… Sie haben sie nicht…«Sie erhob sich abrupt, aus Schönheit wurde Wut.»Sie gemeines Arschloch. Ivor hätte sie umbringen sollen. Hätte auf Nummer Sicher gehen sollen. Hoffentlich leiden Sie ordentlich.«
Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt, dachte ich ruhig. Ich nahm den Relgan seine Rache erstaunlicherweise nicht besonders übel — Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich hatte sein Leben zerschlagen, er hatte meinen Körper zerschlagen. Ich war insgesamt besser davongekommen, fand ich. Meine Nöte waren vorübergehender Natur.
«Sie können dankbar sein.«
Aber sie war zu wütend darüber, daß sie alles ausgeplaudert hatte. Sie rauschte in ihrer Seide und ihrer Duftwolke durch die Diele davon und knallte die Haustür hinter sich zu. Die Luft in ihrem Kielwasser vibrierte vor weiblicher Gewalt. Ganz gut, daß die Welt nicht voller Dana den Relgans war, dachte ich benommen.
Clare und Jeremy kamen aus der Küche.
«Was wollte sie?«sagte Clare.
«Etwas, was ich… nicht habe.«
Sie wollten wissen, was überhaupt passiert sei, aber ich sagte:»Ich erzähl’s euch… morgen. «Und sie gaben sich zufrieden. Clare setzte sich neben mich auf die Treppe und strich mir mit einem Finger über die Hand.