Выбрать главу

Sie redeten nicht viel und erwarteten offenbar auch nicht, daß ich es tat. Ich war keine angenehme Gesellschaft. Zu sehr geschwächt. Beim Kaffee fragte ich, ob ich in Swindon anrufen könne.

«Jeremy?«sagte Clare. Ich nickte.

«Ich mach das. Sag mir die Nummer.«

Ich sagte sie ihr, und sie rief an und fragte nach.

«Wird immer noch künstlich beatmet«, sagte sie,»aber es geht weiter bergauf.«

«Wenn Sie müde sind, gehen Sie ins Bett«, sagte Samantha ruhig.

«Na ja.«

Beide kamen mit nach oben. Ich ging automatisch, oh-ne nachzudenken, in das kleine Schlafzimmer neben der Badezimmertür.

Beide lachten.»Wir haben uns gefragt, ob Sie das tun würden«, sagte Samantha.

Clare ging zur Arbeit, und ich döste fast den ganzen Mittwoch in dem schaukelnden Korbsessel in der Küche vor mich hin. Samantha kam und ging, am Vormittag zu ihrem Halbtagsjob, am Nachmittag zum Einkaufen. Ich wartete in überaus friedlicher Stimmung darauf, daß die Energie in meinen Verstand und meine Glieder zurückkehrte, und fand, daß ich Glück hatte, daß mir so ein Tag zur Regeneration vergönnt war.

Am Donnerstag hatte ich zwei lange Behandlungen in der Unfallklinik, Elektrotherapie, Massage und allgemeine Physiotherapie, und vereinbarte zwei weitere Termine für Freitag.

Zwischen den Behandlungen am Donnerstag rief ich bei vier Fotografen und einem Bekannten an, der für eine Fachzeitschrift arbeitete, und fand keinen, der wußte, wie man aus Plastikfolie oder Schreibmaschinenpapier Bilder herausholen konnte. Frag mich was Leichteres, alter Knabe, meinte der Fachjournalist müde.

Als ich nach Chiswick zurückkam, stand die Sonne niedrig am winterlichen Horizont, und Samantha putzte in der Küche die Scheiben der großen Flügeltür.

«Sie sehen immer so schmutzig aus, wenn die Sonne draufscheint«, sagte sie, während sie emsig mit einem Tuch hantierte.»Tut mir leid, wenn’s kalt ist, aber ich brauche nicht mehr lange.«

Ich setzte mich in den Korbstuhl und sah zu, wie sie das flüssige Reinigungsmittel aus einer weißen Plastikflasche spritzte. Sie machte die Flügeltür von außen fertig, kam herein, zog sie hinter sich zu und schloß die Riegel. Die Plastikflasche stand auf dem Tisch neben ihr.

AJAX stand in großen Buchstaben darauf.

Ich starrte stirnrunzelnd auf die Schrift und versuchte, mich zu erinnern, wo ich das Wort Ajax gehört hatte.

Ich erhob mich aus dem schaukelnden Sessel, um die Flasche aus der Nähe zu betrachten. Ajax Fensterreiniger< stand in kleineren, roten Buchstaben auf dem weißen Plastik. Mit Ammoniak. Ich nahm die Flasche in die Hand und schüttelte sie. Flüssig. Ich hielt sie mir unter die Nase und schnupperte daran. Seifig. Süß parfümiert. Nicht ätzend.

«Was ist los?«sagte Samantha.»Was schauen Sie sich da an?«

«Diesen Reiniger.«

«Was ist damit?«

«Warum würde ein Mann seine Frau beauftragen, ihm Ajax zu besorgen?«

«Was für eine Frage«, sagte Samantha.»Keine Ahnung.«

«Sie hatte auch keine Ahnung«, sagte ich.»Sie wußte nicht, warum.«

Samantha nahm mir die Flasche aus der Hand und fuhr mit ihrer Arbeit fort.»Man kann damit jedes Glas reinigen«, sagte sie.»Badezimmerkacheln, Spiegel. Ziemlich nützliches Zeug.«

Ich ging zu dem Korbsessel zurück und schwang mich sachte darin hin und her. Samantha warf mir lächelnd einen Seitenblick zu.

«Vor zwei Tagen haben Sie wie der Tod ausgesehen«, sagte sie.

«Und jetzt?«

«Jetzt würde man sich’s zweimal überlegen, bevor man den Leichenbestatter ruft.«

«Morgen rasiere ich mich«, sagte ich.

«Wer hat Sie verprügelt?«sagte sie beiläufig. Ihr Blick und ihre Aufmerksamkeit galten dem Fenster. Trotzdem war die Frage ernst gemeint. Sie wollte nicht mit einer knappen Antwort abgespeist werden, es ging um ihr persönliches Engagement in der Sache. Sie erwartete eine Art Gegenleistung für die Zuflucht, die sie mir ohne zu fragen gewährt hatte. Wenn ich es ihr nicht erzählte, würde sie mich nicht drängen. Aber wenn ich es ihr nicht erzählte, war unsere Beziehung an ihren Grenzen angelangt.

Was wollte ich in dem Haus, dachte ich, in dem ich mich zunehmend zu Hause fühlte. Ich hatte nie eine Familie gewollt, Menschen, die immer nah waren, Beständigkeit. Ich hatte keine liebevollen Fesseln gewollt. Keine erdrückenden emotionalen Abhängigkeiten. Wenn ich mich also gemütlich einnistete, mich in dem Leben, das in diesem Haus gelebt wurde, verankerte, würde ich dann nicht nach kurzer Zeit den Drang verspüren auszubrechen, mit wild schlagenden Flügeln meine Freiheit zu suchen? Ob man sich je grundlegend ändern konnte?

Samantha las aus meinem Schweigen genau das ab, was ich erwartet hatte, und in ihrem Verhalten war eine leichte Veränderung zu spüren. Sie wurde nicht unfreundlicher, aber die Vertrautheit war dahin. Noch bevor sie mit dem

Fenster fertig war, war ich ihr Gast, nicht ihr… ihr was? Ihr Sohn, Bruder, Neffe… ein Teil von ihr.

Sie schenkte mir ein kurzes oberflächliches Lächeln und setzte Teewasser auf.

Clare kam von der Arbeit zurück, erschöpft, aber fröhlich, und auch sie war voller Erwartung, wenn sie auch keine Fragen stellte.

Das Abendessen war noch nicht halb vorüber, als ich mich dabei ertappte, wie ich ihnen von George Millace erzählte. Letztendlich war es überhaupt keine schwere Entscheidung. Nichts fertig Durchdachtes. Es ergab sich ganz natürlich.

«Es wird euch nicht gefallen«, sagte ich.»Ich habe da weitergemacht, wo George aufgehört hat.«

Sie hörten zu, die Gabeln in der Luft, aßen mit langen Pausen zwischen den einzelnen Bissen bedächtig Erbsen und Lasagne.

«Ihr seht also, es ist noch nicht zu Ende«, sagte ich abschließend.»Es gibt kein Zurück, auch wenn ich mir noch so sehr wünsche, daß ich gar nicht erst begonnen hätte… Ich weiß nicht, ob ich mir das wirklich wünsche… aber ich habe euch gebeten, mich für ein paar Tage aufzunehmen, weil ich mich in meinem Haus nicht sicher fühle, und ich gehe erst wieder auf Dauer dorthin zurück, wenn ich weiß, wer versucht hat, mich zu töten.«

Clare sagte:»Vielleicht erfährst du es nie.«

«Sag doch so was nicht«, sagte Samantha scharf.»Wenn er es nicht herausfindet. «Sie verstummte.

Ich redete für sie weiter:»… werde ich mich nicht schützen können.«

«Vielleicht kann die Polizei…«, sagte Clare.

«Vielleicht.«

Den Rest des Abends verbrachten wir eher in nachdenklicher als in deprimierter Stimmung, und aus Swindon gab es gute Neuigkeiten. Jeremys Lungen erholten sich von der Lähmung. Immer noch am Atemgerät, aber einschneidende Besserung in den letzten vierundzwanzig Stunden. Die nüchterne Stimme, die den Bericht vorlas, klang gelangweilt. Ich fragte, ob ich Jeremy schon selbst sprechen könnte. Man würde nachfragen. Die nüchterne Stimme meldete sich wieder. Nicht auf der Intensivstation. Versuchen Sie es am Sonntag.

Am Freitagmorgen verbrachte ich lange Zeit im Badezimmer, um mir den Bart abzurasieren und die nicht aufgelösten Enden des feinen Fadens abzuschnippeln, den die Schwester auf der Unfallstation zum Nähen benutzt hatte. Sie hatte gute Arbeit geleistet, das mußte ich zugeben. Die Risse waren alle geheilt und würden wahrscheinlich keine Narben hinterlassen. Die Schwellungen waren auch zurückgegangen. Ein paar blaue Flecken, die langsam gelb wurden, waren noch übrig, und die abgebrochenen Zähne. Aber was mir schließlich aus dem Spiegel entgegensah, war eindeutig ein Gesicht und kein Alptraum.

Samantha war erleichtert, daß ich wieder einigermaßen zivilisiert aussah, und bestand darauf, ihren Zahnarzt anzurufen.»Sie brauchen Kronen«, sagte sie.»Und Sie werden Kronen bekommen. «Und am späten Nachmittag bekam ich Kronen. Provisorische, bis Porzellankronen angefertigt werden konnten.

Zwischen den zwei Behandlungen in der Klinik fuhr ich von London Richtung Norden nach Basildon in Essex, wo eine britische Firma Fotopapier herstellte. Ich fuhr hin, statt anzurufen, weil ich dachte, daß es ihnen schwerer fallen würde, mich abzuspeisen, wenn ich leibhaftig vor ihnen stand; und so war es auch.