Ich überreichte ihm das Päckchen mit den Bildern.
«Werfen Sie mal einen Blick drauf«, sagte ich,»ob sie auch in Ordnung sind.«
Er zuckte die Achseln.»Warum sollten Sie nicht in Ordnung sein?«Trotzdem öffnete er den Umschlag und zog den Inhalt heraus.
Das oberste Bild zeigte ihn in seiner Landjunkertracht, direkt in die Kamera blickend. Brille. Trilby. Herrschergebaren.
«Drehen Sie es um«, sagte ich.
Er tat es mit erhobenen Augenbrauen und las, was Mrs. Jackson auf die Rückseite geschrieben hatte. Das ist der Steuerbeamte…
Von einem Moment zum anderen verwandelte er sich derartig, daß man den Eindruck hatte, eine völlig andere Person wäre in seine Haut geschlüpft; er streifte den aufgeblasenen, selbstsicheren Blender ab und wurde zum unberechenbaren labilen Wirrkopf. Die grelle Kleidung, die zu dem einen Charakter gepaßt hatte, wirkte an dem anderen grotesk — wie um eine Handgranate gewickeltes Geschenkpapier. Ich sah den Lance Kinship, von dessen Existenz ich nur etwas geahnt hatte. Nicht den ziemlich lächerlichen Poseur, der vorgab, etwas zu sein, was er nicht war, sondern den wirren Psychotiker, der alles tun würde, um den äußeren Schein zu wahren.
Wahrscheinlich lag die wirkliche Gefahr gerade in seiner Unzulänglichkeit. In seiner Entfremdung von der Realität. In seiner theatralischen Gedankenverwirrung, die einen Mord als Problemlösung zuließ.
«Bevor Sie etwas sagen, schauen Sie sich besser auch die anderen Sachen in dem Umschlag an«, sagte ich.
Mit zornigen Fingern ging er sie durch. Die bestellten Abzüge. und die glänzenden Schwarzweißreproduktionen von Dana den Relgans Drogenliste und den Brief, den ich auf dem Diazopapier gefunden hatte.
Sie waren die totale Katastrophe für ihn.
Er ließ die Bilder von dem großen Filmproduzenten auf den Boden fallen wie buntes Laub im Format zwanzig mal fünfundzwanzig, und behielt die drei Schwarzweißabzüge mit sichtbarem Grausen in der Hand.
«Sie hat gesagt…«, setzte er heiser an.»Sie hat geschworen, daß Sie sie nicht haben. Sie hat geschworen, daß Sie nicht wußten, wovon sie redet.«
«Sie hat von den Drogen geredet, mit denen sie von Ihnen versorgt wurde. Komplett mit Datum und Preisen. Die Liste, die Sie in der Hand halten, eindeutig in ihrer Handschrift, auch wenn sie es ursprünglich nur auf Zellophan geschrieben hatte. Und natürlich erscheint Ihr Name, wie Sie sehen, dick und breit darauf.«
«Ich bringe Sie um«, sagte er.
«Nein, das lassen Sie schön bleiben. Sie haben Ihre Chance verpaßt. Jetzt ist es zu spät. Wenn das Gas mich getötet hätte, wären Sie davongekommen, aber es hat mich nicht getötet.«
Er sagte nicht:»Welches Gas?«Er sagte:»Alles ist danebengegangen. Aber es war nicht schlimm. Ich dachte… es sei nicht schlimm. «Er sah hilflos auf die Schwarzweißabzüge hinab.
«Sie haben gedacht, es sei nicht schlimm, weil Sie von Dana den Relgan gehört haben, daß ich die Liste nicht habe. Und wenn ich die Liste nicht hatte, hatte ich auch den Brief nicht. Was immer ich von George Millace haben mochte, die Liste und den Brief hatte ich offenbar nicht… Haben Sie das gedacht?… Wenn ich sie gar nicht hatte, gab es keinen Grund mehr, mich zu töten. Stimmt’s?«
Er antwortete nicht.
«Jetzt ist es dazu viel zu spät«, sagte ich,»weil ich diese
Schriftstücke noch x-mal abgezogen und verteilt habe. Es existiert auch ein weiterer Abzug von Ihrem. Bild, auf dem Mrs. Jackson sie erkannt hat. Eine Bank, Anwälte, verschiedene Freunde haben Anweisung, alles der Polizei zu übergeben, falls mir ein tödlicher Unfall zustoßen sollte. Sie haben von jetzt an großes Interesse daran, daß ich am Leben bleibe.«
Nur langsam begriff er, was meine Worte bedeuteten. Er blickte wiederholt zweifelnd von meinem Gesicht auf die Fotos und wieder zurück.
«George Millaces Brief…«, sagte er.
Ich nickte. George Millaces handgeschriebener Brief lautete:
Lieber Lance Kinship,
ich habe von Dana den Relgan eine außerordentlich interessante Liste von Drogen erhalten, mit denen sie in den letzten Monaten von Ihnen beliefert wurde. Ich bin sicher, daß ich richtig gehe in der Annahme, daß Sie ein professioneller Dealer dieser illegalen Substanzen sind.
Es ist in den einschlägigen Kreisen, in denen Sie zur Stärkung Ihres Selbstbewußtseins gerne verkehren, nur allzu bekannt, daß Sie dieses Privileg nur genießen, weil Sie sie sozusagen als Gegengabe mit Haschisch, Heroin und Kokain beliefern.
Ich könnte Dana den Relgans Drogenliste natürlich an geeigneter Stelle vorlegen. Ich werde Ihnen jedoch in Kürze telefonisch einen Alternativvorschlag machen.
Hochachtungsvoll George Millace
«Er war getippt, als ich ihn bekam«, sagte Lance Kinship matt.»Ich habe ihn verbrannt.«
«Hat George Millace Ihnen seinen Alternativvorschlag am Telefon gemacht?«sagte ich.
Der Schock legte sich allmählich und machte einer wachsenden Feindseligkeit Platz.
«Ich erzähle Ihnen gar nichts.«
Ich beachtete ihn nicht und sagte:»Hat George Millace gefordert, daß Sie damit aufhören sollen, Drogen zu verhökern… und daß Sie dem Fond für verletzte Jockeys etwas spenden sollen?«
Sein Mund ging auf und schnappte heftig zu.
«Hat er angerufen…?«fragte ich.»Oder hat er Ihnen seine Bedingungen gestellt, als er hier vorbeigekommen ist?«
Eisiges Schweigen.
«Haben Sie. etwas. aus Ihrem Vorratsschrank in seinen Whisky geschüttet?«
«Beweisen Sie es!«sagte er in abartigem Triumph.
Das war natürlich nicht möglich. George war eingeäschert worden, und man hatte sein Blut nur auf Alkohol untersucht. Nach anderen Drogen hatte man nicht gesucht. Zum Beispiel nicht nach Tranquilizern, die geschmacklos waren und den Fahrer bei genügend hoher Dosierung mit Sicherheit einschläfern konnten.
George hatte sich ein Opfer zuviel ausgesucht, dachte ich bedauernd. Hatte sich ein Opfer ausgesucht, das er für einen Wurm hielt, und nicht erkannt, daß es sich um eine Kobra handelte.
George hatte einen gewaltigen Fehler gemacht, falls er dieses eine Mal sehen wollte, wie sich sein Opfer wand, wenn er seine Bedingungen stellte. George wäre nicht im Traum darauf gekommen, daß dieser unfähige Schwächling zum Todesschlag ausholen würde, um seinen erbärmlichen Lebensstil zu bewahren; er hatte nicht wirklich begriffen, wie fanatisch Lance Kinship an seiner Tuchfühlung mit dem Jet-Set hing, der ihn bestenfalls tolerierte. George hatte Lance Kinships Raserei sicher mit Genuß gesehen. Sicher war er lachend davongefahren. Armer George.
«Haben Sie nicht damit gerechnet, daß George eine Kopie seines Briefs hinterlassen hat?«sagte ich.
Seinem Gesichtsausdruck nach war das nicht der Fall. Vermutlich hatte er impulsiv gehandelt. Um ein Haar hätte er damit richtig gelegen.
«Als Sie gehört haben, daß George andere Leute erpreßt hat… Dana eingeschlossen… ist Ihnen dann wohl der Gedanke gekommen, ich könnte Ihren Brief haben.«
«Ich hab’s gehört«, sagte er wütend.»Ich hab’s gehört… in den Clubs. Philip Nore hat die Briefe. er hat den Relgan ruiniert. dafür gesorgt, daß er aus dem Jockey Club flog. Haben Sie etwa gedacht. nachdem ich’s wußte. haben Sie wirklich geglaubt, ich würde warten, bis Sie zu mir kommen?«
«Unglücklicherweise bin ich jetzt zu Ihnen gekommen«, sagte ich langsam,»ob es Ihnen gefällt oder nicht.«
«Nein.«
«Doch«, sagte ich.»Ich sage Ihnen gleich, daß ich genau wie George kein Geld haben will.«
Er war mißtrauisch.
«Sie sollen auch wissen, daß es Ihr Pech ist, daß meine Mutter an Heroin gestorben ist.«
«Aber ich habe Ihre Mutter nicht gekannt«, empörte er sich.
«Nein, natürlich nicht. Und Sie haben sie ohne Frage nie mit Drogen versorgt… Ich habe nur seit langem ein gewisses Vorurteil gegen Drogendealer. Das können Sie ruhig wissen. Sie sollen ruhig verstehen, warum ich verlange., was ich verlange.«