Выбрать главу

Bei all dem wich Sloane nicht von seinem Plan ab, er hielt seine gefährlichen Streifzüge in Grenzen und war so fast immer verfügbar für diplomatische und militärische Lagebesprechungen, die zu der Zeit durchaus Nachrichtenwert hatten. Erst viel später sollte man erkennen, wie oberflächlich Sloanes Art der Berichterstattung gewesen war und wie sehr -im Fall des Fernsehens - dramatische Bilder eine nachdenkliche Analyse und manchmal sogar die Wahrheit in den Hintergrund drängten. Doch als es dann offensichtlich wurde, konnte es Crawford Sloane bereits egal sein.

Sloanes langfristiger Plan ging auf. Er war vor der Kamera schon immer sehr eindrucksvoll gewesen, und in Vietnam war er es um so mehr. Er wurde zum Liebling der Produzenten am Hufeisen in New York und war häufig in den Abendnachrichten zu sehen, manchmal sogar drei- oder viermal pro Woche. Durch ebendiese Bildschirmpräsenz konnte er sich eine Gefolgschaft heranziehen, nicht nur unter den Zuschauern, sondern vor allem auch unter den Entscheidungsträgern in der CBA-Zentrale.

Harry Partridge dagegen hielt sich an seinen eigenen Schlachtplan und ging ganz anders vor. Er entschied sich für komplexere Themen, die längere Recherchen erforderten und ihn, zusammen mit einem Kameramann, in die entferntesten Teile Vietnams führten. Er arbeitete sich in die militärische Taktik sowohl der Amerikaner wie des Vietcong ein und verstand so, warum manchmal beide nicht funktionierten. Er untersuchte das Gleichgewicht der Kräfte und hielt sich an vorderster Front auf, wo er Material über die Wirksamkeit von Boden- und Luftangriffen, über Verluste und Nachschub sammelte. Einige seiner Berichte widersprachen den offiziellen militärischen Verlautbarungen aus Saigon, andere bestätigten sie, und es war ebendiese zweite Art der Berichterstattung -Fairneß gegenüber den amerikanischen Streitkräften -, die Partridge und eine Handvoll anderer von der Mehrheit der Korrespondenten in Vietnam unterschied.

Der Großteil der Berichterstattung über den Krieg in Vietnam war zu dieser Zeit bereits negativ und kritisch. Eine Generation junger Journalisten, darunter einige Sympathisanten der Antikriegsbewegung zu Hause, mißtraute dem Militär, ja verachtete es sogar, und diese Überzeugung spiegelte sich in der Berichterstattung der meisten Medien wieder. Die Tet-Offensive war nur ein Beispiel. In den Medien erschien sie als totaler, überwältigender Sieg der Kommunisten, eine Behauptung, die, wie objektivere Untersuchungen zwei Jahrzehnte später belegten, ganz und gar nicht zutraf.

Harry Partridge war einer derjenigen, die schon damals berichteten, daß sich die amerikanischen Streitkräfte in der TetOffensive viel besser schlugen, als man ihnen zugestand, daß der Feind viel weniger erfolgreich war, als allgemein berichtet, und daß er bei weitem nicht alle seiner Ziele erreichte. Zunächst zweifelte die Hufeisen-Belegschaft am Wahrheitsgehalt dieser Berichte und wollten sie zurückstellen. Doch nach längerer Diskussion verließ man sich auf Partridges Ruf als solider Rechercheur und sendete die meisten seiner Reportagen.

Eine von denen, die nicht gesendet wurden, enthielt seine Kritik an der negativen Einstellung, die der hochverehrte Walter Cronkite, zu der Zeit der Chefsprecher bei CBS, in einer Nachrichtensendung zum Ausdruck brachte.

In einer »Tet-Sondersendung« von CBS erklärte Cronkite, der damals ebenfalls aus Vietnam berichtete, daß »die blutige Erfahrung in Vietnam in einer Sackgasse enden« würde, und daß »der Feind jeder Eskalation unserer Mittel erfolgreich begegnen kann...«

Er fuhr fort: »Heute zu behaupten, wir seien näher am Sieg, heißt doch nur... den Optimisten zu glauben, die sich bereits in der Vergangenheit geirrt haben.« Deshalb, so drängte Cronkite, sollte Amerika »verhandeln, aber nicht als Sieger, sondern als anständiges Volk, das sein Versprechen, die Demokratie zu verteidigen, erfüllt hat und dabei sein Bestes gab.«

Wegen seines Verfassers hatte dieser stark persönlich gefärbte Kommentar, der übrigens mit reinen Faktenmeldungen vermischt war, eine enorme Wirkung und gab »der Antikriegsbewegung Auftrieb und Legitimation«, wie es ein anderer Kommentator formulierte. Präsident Lyndon Johnson soll angeblich gesagt haben, wenn er Walter Cronkite verloren hätte, dann hätte er auch das Land verloren.

Partridge gelang es nun durch eine Reihe von Interviews mit Leuten vor Ort in seinem Bericht anzudeuten, daß sich Cronkite nicht nur getäuscht haben könnte, sondern daß er, im Bewußtsein seiner Macht und seines Einflusses als Chefsprecher von CBS, aufgetreten sei »wie ein Präsident ohne Wählervotum und unter Mißachtung seiner lautstark propagierten Maxime des unparteiischen Journalismus« - so einer der Interviewten.

Als Partridges Bericht in New York eintraf, wurde zunächst stundenlang darüber diskutiert. Er machte die Runde bis in die höchsten Ebenen des CBA-Managements, bis man schließlich zu der Entscheidung kam, daß ein Angriff auf die nationale Vaterfigur Walter Cronkite ein Spiel sei, das man nicht gewinnen könne. Doch in Insiderkreisen fanden heimlich gezogene Kopien des Berichts große Verbreitung.

Partridges Ausflüge in heftig umkämpfte Gebiete hielten ihn häufig eine Woche, manchmal sogar länger, von Saigon entfernt. Während seiner Recherchen über den kambodschanischen Untergrund blieb er sogar fast einen Monat verschwunden.

Doch jedesmal kehrte er mit eindrucksvollen Berichten zurück, von denen einige wegen ihrer tiefgehenden Einsichten auch nach dem Krieg in Erinnerung blieben. Keiner zog je Partridges außergewöhnliche journalistische Fähigkeiten in Zweifel, auch Crawford Sloane nicht. Da seine Berichte aber spärlicher kamen und er deshalb nicht so häufig wie Sloane im Fernsehen auftrat, erhielt er bei weitem nicht so viel Beachtung wie sein Kollege.

Doch in Vietnam gab es noch etwas anderes, das Einfluß auf die Zukunft von Partridge und Sloane haben sollte.

Sie hieß Jessica Castillo.

Jessica...

Crawford Sloane fuhr die Strecke, die er an jedem Arbeitstag zweimal zurücklegte, fast automatisch. Er war inzwischen von der Fifty-ninth Street in die York Avenue abgebogen und fuhr nun nach rechts in die nördliche Zufahrt zum FDR Drive. Die Autobahn führte am East River entlang aus der Stadt hinaus, und da nun keine Kreuzungen und Ampeln mehr störten, beschleunigte er sein Tempo. Sein Haus in Larchmont, nördlich der Stadt am Long Island Sound, war nur noch eine halbe Stunde entfernt.

Ein blauer Ford Tempo hinter ihm beschleunigte ebenfalls.

Sloane war entspannt, wie meistens zu dieser Tageszeit, und seine Gedanken kehrten zu Jessica zurück... die damals in Saigon Harry Partridges Freundin gewesen war... die aber schließlich Crawford Sloane geheiratet hatte.

Jessica war damals in Vietnam sechsundzwanzig gewesen, schlank, mit langen braunen Haaren, einem wachen Verstand und gelegentlich einer scharfen Zunge. Sie ließ sich nichts gefallen von den Journalisten, mit denen sie als junge Angestellte der United States Information Agency (USIS, wie man sie nannte) umgehen mußte.

Die Agentur hatte ihre Zentrale in der Le Qui Don Street, in der hinter Bäumen versteckten »Lincoln Library«, dem ehemaligen Rex Theatre, dessen Theaterschild während der ganzen USIS-Zeit an seinem Platz blieb. Viele Journalisten fanden sich häufiger als sie eigentlich mußten in der Agentur ein, und oft waren ihre Anfragen nur ein Vorwand, um einige Zeit mit Jessica verbringen zu können.

Jessica ließ sich die Aufmerksamkeiten gefallen, sie amüsierte sich darüber. Doch als Crawford Sloane sie kennenlernte, gehörte ihre eigentliche Zuneigung bereits ganz Harry Partridge.

Auch nach all den Jahren noch, dachte Sloane, gab es Bereiche in der Beziehung zwischen Partridge und Jessica, von denen er nichts wußte, einige Dinge, nach denen er nie gefragt hatte und die er nie erfahren würde. Doch die Tatsache, daß vor mehr als zwanzig Jahren gewisse Türen zugeschlagen und seitdem nicht mehr geöffnet worden waren, hatte ihn nie davon abgehalten - und würde ihn auch nie davon abhalten -, sich Gedanken zu machen über die intimen Details dieser Zeit.