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Dazu kam Vietnam. Partridge wußte, daß er sein Leben riskierte, so oft er Saigon verließ, und daß das Glück, das ihm bis jetzt zur Seite gestanden hatte, ihn irgendwann einmal im Stich lassen könnte. Es wäre deshalb nicht fair, so überlegte er, einen anderen - in diesem Fall Jessica - mit dieser Sorge zu belasten, die Gefahr einer Enttäuschung war einfach zu groß.

Eines Morgens, nachdem sie die Nacht miteinander verbracht hatten, vertraute er Jessica ein paar dieser Überlegungen an. Er hätte sich keinen schlechteren Augenblick aussuchen können. Jessica war tief enttäuscht, denn sie sah darin nur das pubertäre Ausbruchverhalten eines Mannes, dem sie ihr Herz und ihren Körper geschenkt hatte. So erwiderte sie nur kalt, daß sie die Beziehung als beendet betrachte.

Erst viel später erkannte sie, daß sie mißverstanden hatte, was in Wirklichkeit Zuneigung und tiefe Besorgnis gewesen war. Wenige Stunden danach verließ Partridge Saigon; es war die Zeit seiner Reise nach Kambodscha, wo er einen Monat lang verschwunden blieb.

Crawford Sloane hatte Jessica einige Male in Harry Partridges Begleitung gesehen und kannte sie auch von seinen gelegentlichen Besuchen im Büro der USIS. Er fand sie bei allen Gelegenheiten äußerst attraktiv und hätte sie gern näher kennengelernt. Doch er wußte, daß sie Partridges Freundin war, und da er sich in solchen Angelegenheiten immer äußerst korrekt verhielt, bat er sie nie um eine Verabredung, wie viele andere es taten.

Aber als Sloane von Jessica selbst erfuhr, daß »Schluß sei« mit Partridge, lud er sie sofort zum Essen ein. Sie nahm an, und die beiden trafen sich von da an häufiger. Zwei Wochen später gestand er ihr, daß er sie aus der Ferne seit langem liebe und nun, da er sie näher kenne, geradezu anbete, und fragte sie schließlich, ob sie seine Frau werden wolle.

Jessica war überrascht und bat um Bedenkzeit.

Ihre Gefühle waren im Aufruhr. Die Liebe zu Harry war leidenschaftlich gewesen. Nie hatte ein Mann sie so überwältigt wie er, sie glaubte auch nicht, daß es je wieder einem gelingen würde. Und sie wußte instinktiv, daß das, was sie mit Harry erlebt hatte, eine einzigartige Erfahrung gewesen war. Sie liebte ihn immer noch, auch das wußte sie sehr genau. Sie sehnte sich noch immer verzweifelt nach ihm; würde er jetzt zurückkommen und sie bitten, seine Frau zu werden, würde sie höchstwahrscheinlich ja sagen. Aber es war offensichtlich, daß Harry sie nicht darum bat. Er hatte sie verstoßen, und Wut und Enttäuschung nagten noch an ihr. Ein Teil ihrer selbst wollte... es ihm einfach zeigen! So!

Und da war nun Crawf. Jessica mochte Crawford Sloane... Nein! Mehr als das!... Sie empfand eine tiefe Zuneigung für ihn. Er war sanft und freundlich, liebevoll und interessant. Und Crawf war solide. Sie mußte sich eingestehen, daß er eine Stabilität besaß, die Harry, so aufregend er auch war, manchmal abging. Doch welche Liebe war für ein ganzes Leben, denn so sah Jessica die Ehe, wichtiger - die mit mehr Aufregung oder die mit mehr Stabilität? Sie wünschte sich, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu wissen.

Jessica hätte sich noch eine andere Frage stellen können, doch sie tat es nicht: Warum überhaupt eine Entscheidung treffen? Warum nicht warten? Sie war doch noch so jung...

Ohne sich dessen bewußt zu sein, wurde ihr Denken, wie das aller anderen, vom Leben in Vietnam beeinflußt. Der Krieg war allgegenwärtig wie die Luft, die sie atmeten. Man hatte das Gefühl, die Zeit sei komprimiert und tempogeladen, als würden Uhren und Kalender schneller laufen. Jeder Tag des Lebens schien wie ein Sturzbach aus den geöffneten Schleusen eines Dammes hervorzubrechen. Wer von ihnen wußte denn, wie viele Tage ihm noch blieben? Wer von ihnen würde je zu einem normalen Lebensrhythmus zurückfinden?

In keinem Krieg in der Geschichte der Menschheit war es je anders gewesen.

Sorgfältig wägte Jessica beide Seiten ab. Am Tag darauf nahm sie Crawford Sloanes Antrag an.

Die Trauung wurde sofort vollzogen, von einem Militärgeistlichen in der Amerikanischen Botschaft. Der Botschafter war bei der Zeremonie anwesend und gab danach einen Empfang in seinen Privaträumen.

Sloane war außer sich vor Glück. Jessica redete sich ein, daß sie es auch sei; sie hatte die feste Absicht, ihre Gefühlsverfassung der seinen anzugleichen.

Partridge erfuhr von der Heirat erst nach seiner Rückkehr nach Saigon. Tief traurig erkannte er nun, wieviel er verloren hatte. Als er Jessica und Sloane besuchte, um ihnen zu gratulieren, bemühte er sich, seinen Schmerz zu verbergen. Doch Jessica kannte ihn zu gut, um es nicht zu bemerken.

Auch wenn sie ähnliche Gefühle wie Partridge haben mochte, behielt Jessica sie für sich und versuchte, sie zu überwinden. Sie sagte sich, daß sie eine Entscheidung getroffen hatte, und sie war entschlossen, Sloane eine gute Frau zu sein, was sie in den ganzen Jahren auch wirklich war. Wie in jeder normalen Ehe gab es Streitigkeiten und Zerwürfnisse, doch die heilten wieder. Und nun waren es nur noch fünf Jahre bis zur Silberhochzeit von Jessica und Crawford Sloane - so unglaublich das für alle Beteiligten auch schien.

6

Crawford Sloane am Steuer seines Buick Somerset war bereits auf halbem Weg nach Hause. Die Triboro Bridge lag hinter ihm, er fuhr nun auf dem Bruckner Expressway und würde bald auf den Interstate 95 abbiegen, den sogenannten New England Thruway, auf dem er Larchmont erreichte.

Der Ford Tempo, der ihn seit dem Verlassen der Zentrale von CBA News verfolgte, war noch immer hinter ihm.

Es war nicht überraschend, daß Sloane das andere Auto nie bemerkt hatte, weder an diesem Abend noch an all den anderen in den letzten Wochen, in denen es ihn verfolgt hatte. Ein Grund dafür war, daß es sich bei dem Fahrer, einem jungen Kolumbianer mit dünnen Lippen und kalten Augen, der zur Zeit den Decknamen Carlos benutzte, um einen Beschattungsexperten handelte.

Carlos, der vor zwei Monaten mit einem gefälschten Paß in die Vereinigten Staaten eingereist war, hielt diese heimliche Beobachtung nun schon seit fast vier Wochen aufrecht, zusammen mit sechs weiteren Kolumbianern, fünf Männern und einer Frau. Wie Carlos versteckten sich auch die anderen hinter fiktiven Vornamen, die bei den meisten ein kriminelles Vorleben verschleierten. Bis kurz vor Beginn ihrer gegenwärtigen Aufgabe hatten sich die Mitglieder der Gruppe untereinander nicht gekannt. Und auch jetzt wußte nur Miguel, ihr Anführer, der an diesem Abend einige Meilen entfernt war, von ihren wahren Identitäten.

Der Ford Tempo war während der kurzen Zeit seiner Benutzung zweimal umgespritzt worden. Er war auch nur eines von mehreren verfügbaren Fahrzeugen, denn die Gruppe wollte unauffällig bleiben.

Das Resultat dieser Überwachung war eine präzise und detaillierte Studie der Gewohnheiten von Crawford Sloane und seiner Familie.

In dem schnellen Verkehr auf dem Expressway blieb Carlos immer drei Autos hinter Sloane zurück, doch ließ er den Buick nie aus den Augen. Neben Carlos saß ein zweiter Mann, der die einzelnen Etappen in ein Notizbuch eintrug. Er nannte sich Julio - ein dunkelhäutiger, streitsüchtiger und immer schlechtgelaunter Typ mit einer häßlichen Messernarbe in der linken Gesichtshälfte. Hinter ihm auf dem Rücksitz lag ein Funktelefon, einer von sechs Apparaten, die das versteckte provisorische Hauptquartier mit den einzelnen Fahrzeugen verbanden.